KG Berlin 23 U 14/23
Rechtsschutz gegen falsche Gesellschafterliste

24.11.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

KG Berlin
17.05.2023
23 U 14/23
NZG 2023, 987

Leitsatz | KG Berlin 23 U 14/23

Auch nach der Beschlussfassung muss es uneingeschränkt möglich sein, einstweiligen Rechtsschutz gegen eine (wahrscheinlich) unrichtige Gesellschafterliste zu erlangen. Anderenfalls hinge die Gewährung effektiven Rechtsschutzes von zeitlichen Zufälligkeiten ab und benachteiligte gerade den Gesellschafter, der aufgrund eines Ladungsmangels keine Kenntnis von der Versammlung hat. (nicht amtlicher Leitsatz)

Sachverhalt | KG Berlin 23 U 14/23

Streitgegenstand sind im Wesentlichen die Beschlüsse der Verfügungsbeklagten vom 10.10.2022 über die Einziehung der Geschäftsanteile der Verfügungsklägerin und anschließend über die Aufstockung der Geschäftsanteile sowie die Beschlüsse vom 04. 11.2022 und vom 21.11.2022. Die Einziehung vom 10.10.2022 beruht auf der Pfändung der Geschäftsanteile der Klägerin an der Beklagten aufgrund des Pfändungsbeschlusses des Amtsgerichts Mitte vom 29.06.2022 - 36 M 556/22 - zugunsten der ..., vertreten durch die Nebenintervenientin zu 2. Der Pfändung liegt ein Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Wedding vom 27.09.2021 über rund 1,6 Mio. € zugrunde. Aufgrund der Beschlüsse vom 10.10.2022 wurden am 11.10.2022 neue Gesellschafterlisten zum Handelsregister eingereicht und am 26. und 27.10.2022 in den Registerordner aufgenommen.

Am 24.11.2022 erließ das Landgericht im Hinblick auf die Beschlüsse vom 10.10.2022 eine einstweilige Verfügung mit folgendem Inhalt:
1. Verpflichtung der Beklagten zur Einreichung einer berichtigten Gesellschafterliste mit dem Inhalt der Liste vom 01.07.2021;
2. die Verpflichtung der Antragsgegnerin
a) die Klägerin als Gesellschafterin aufzunehmen
b) den Erhöhungsbeschluss nicht durchzuführen.

Darüber hinaus hat das Landgericht am 29.11.2022 eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung der Umsetzung der Beschlüsse gemäß Protokoll vom 04.11.2022 erlassen. Mit am 21.12.2022 verkündetem Urteil (96 O 30/22) hat es die vorgenannten einstweiligen Verfügungen vom 24. und 29.11.2022 aufrechterhalten und der Verfügungsbeklagte darüber hinaus die Umsetzung der Verfügungen aus dem Protokoll vom 21.11.2022 untersagt. Hiergegen richten sich die von der ... für die Bekl. und die von der Nebenintervenientin zu 1 eingelegten Berufungen. Zwischenzeitlich wurde durch den Geschäftsführer ... eine neue Gesellschafterliste vom 20.12.2022 erstellt und zu den Registerakten gereicht, die inhaltlich der bisherigen Liste vom 01.07.2021 entspricht und die Verfügungsklägerin wieder als Mehrheitsgesellschafterin ausweist. Am 13.2.2023 wurden die Nebenintervenienten zu 2. und 3. als Geschäftsführer gelöscht und ... sowie ... als jeweils alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten in das Handelsregister eingetragen. Die Verfügungsklägerin hat sodann den Rechtsstreit in der Berufungsinstanz insgesamt für erledigt erklärt. Die Verfügungsbeklagte hat sich dem angeschlossen, nicht jedoch die Nebenintervenientin zu 1.

 

Entscheidung | KG Berlin 23 U 14/23

Das KG hat die Berufung der Verfügungsbeklagten als unzulässig verworfen. Auf die Berufung der Nebenintervenientin zu 1) hat es unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21.12.2022 – Az. 96 O 30/22 – abgeändert:

Die einstweiligen Verfügungen des Landgerichts vom 29.11.2022 und vom 21.12.2022 – insoweit in der angefochtenen Entscheidung enthalten – werden aufgehoben und die Anträge auf ihren Erlass zurückgewiesen.

Die Anträge auf Feststellung der Erledigung wies es zurück.

1.    Berufung der Verfügungsbeklagten

Die Berufung der Bekl., vertreten durch die Nebenintervenienten zu 2 und 3, verwarf das KG als unzulässig, weil es an einer wirksamen Bevollmächtigung fehle. Die in der mündlichen Verhandlung seitens des Prozessbevollmächtigten vor dem LG vorgelegte Vollmacht stamme von den früheren Geschäftsführern und datiere vom 21.12.2022. Deren Vertretungsmacht für die Bekl. endete jedoch zuvor mit ihrer Abberufung am 30.11.2022. Der über die Abberufung gefasste Beschluss sei mit dem festgestellten Inhalt als vorläufig bindend zu behandeln und die Wirksamkeit der Abberufung im einstweiligen Rechtsschutz durch den Senat mit Beschlüssen vom 1.3.2023 - 23 W 20/22 und 23 W 2/23 - vorläufig bestätigt worden.

2.    Berufung der Nebenintervenientin zu 1)

a)    Verfügungen vom 29.11.2022 und vom 21.12.2022

Die Verfügungen vom 29.11.2022 und vom 21.12.2022 seien aufzuheben, weil die Vollziehungsfrist des § 929 II ZPO nicht eingehalten wurde. Die Versäumung der Vollziehungsfrist kann in der Berufungsinstanz gerügt werden (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 929 Rn. 23). Nach der Abberufung der Nebenintervenienten zu 1. und 2. als Geschäftsführer am 30.11.2022 hätte die Zustellung in den Parteibetrieb nicht nur an den von diesen später bevollmächtigten, sondern jedenfalls auch an den erfolgen müssen. Dieser sei u.a. von dem neuen alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer bevollmächtigt worden und habe unter Berufung auf diese Vollmacht für die Bekl. bestellt.
Es bestünde auch ein Bedürfnis für die Ausdehnung des Schutzbereiches aus Treu und Glauben.

b)    Verfügung vom 24.11.2022

Hinsichtlich der Verfügung vom 24.11.2022 wies das KG die Berufung jedoch als unbegründet zurück. Denn der Antrag eine korrigierte Gesellschafterliste einzureichen, könne auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verfolgt werden. Dies hatte der BGH bereits für den vorbeugenden Unterlassungsanspruch, eine korrigierte Gesellschafterliste im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes einzureichen, entschieden. Mit dieser Entscheidung bejahte das KG dies ausdrücklich auch für die Frage des Beseitigungsanspruchs und gab damit seine noch mit Entscheidung vom 10.12.2015 (=NZG 2016, 624) verfolgte Linie auf. Maßgeblich bezog sich das KG dabei auf eine Entscheidung des BGH vom 02.07.2019 (= NZG 2019,979), in der dieser entschieden hatte, dass ein betroffener Gesellschafter zusätzlich zu Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen einen Einziehungsbeschluss im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes das Verbot erwirken könne, eine neue Gesellschafterliste, in der er nicht mehr aufgeführt sei, einzureichen.

Das KG sah hier eine Vergleichbarkeit der Sachverhalte gegeben. Anderenfalls wäre die Gewährung effektiven Rechtsschutzes von zeitlichen Zufälligkeiten abhängig und würde gerade den Gesellschafter benachteiligen, der aufgrund eines Ladungsmangels keine Kenntnis von der Versammlung hat. Das Argument der ausreichenden Gelegenheit vor Einreichung der geänderten Liste, diese vorsorglich untersagen zu lassen, greife gerade bei einem schwerwiegenden Ladungsmangel nicht. Darüber hinaus sei ein einstweiliger Rechtsschutz im Vorfeld der Gesellschafterversammlung regelmäßig nicht möglich, da nicht in die Entscheidungskompetenz der Gesellschafterversammlung eingegriffen werden solle und der betroffene Gesellschafter nicht die Möglichkeit hat, sich an der Gesellschafterversammlung zu beteiligen. die Möglichkeit hat, die Versammlung von einer rechtswidrigen Beschlussfassung abzuhalten.

Der Kläger kann nicht auf die Möglichkeit eines Widerspruchs gegen die Liste verwiesen werden. Soweit ein solcher bei der Einziehung möglich wäre, würde er nur vor einem Rechtsverlust durch gutgläubigen Erwerb schützen. Die Legitimationswirkung des § 16 I GmbHG bleibe dagegen unberührt. Die Gesellschaft muss den in der Liste eingetragenen Gesellschafter auch dann als solchen behandeln, wenn seine Geschäftsanteile mit einem Widerspruch belastet sind.

Bezüglich der Gewährung des effektiven Rechtsschutzes käme als milderes Mittel insbesondere die Anordnung in Betracht, den von einem Einziehungsbeschluss betroffenen Gesellschafter wie einen Gesellschafter zu behandeln.

Es sei möglich die Behandlung als Gesellschafter anzuordnen. Diese Möglichkeit eröffnet einen effektiven nachträglichen Rechtsschutz. Sie führe bei einer bereits eingereichten Liste dazu, dass sich die Gesellschaft nicht mehr auf die Legitimationswirkung der vorhandenen Liste berufen könne, sondern faktisch die vorherige Liste gelte. Zwischen der Anordnung, als Gesellschafter behandelt zu werden, und der Anordnung, eine berichtigte Gesellschafterliste einzureichen, besteht daher im Hinblick auf die Legitimationswirkung des § 16 I GmbHG und das Innenverhältnis kein Unterschied.

Ein solcher ergebe sich allenfalls aus § 16 III GmbHG. Nach der Systematik des § 16 III GmbHG verbleibt bei einem Streit über die Richtigkeit einer Gesellschafterliste die betreffende Liste im Registerordner; ein Widerspruch kann „nur“ - soweit einschlägig - dem betreffenden Geschäftsanteil zugeordnet werden. Der aus der Liste berechtigte Gesellschafter habe nichts weiter zu veranlassen. Diese Systematik kehre sich um, wenn die Einreichung einer berichtigten Liste zugelassen werde. Der in der angefochtenen Liste als Berechtigter ausgewiesene Gesellschafter muss dann seinerseits in der berichtigten Liste dem betreffenden Geschäftsanteil einen Widerspruch zuweisen lassen, um eine Verfügung über den Geschäftsanteil zu verhindern.

Ein Anspruch auf Einreichung einer berichtigten Liste bestehe jedenfalls dann, wenn das Vorgehen der beklagten Gesellschaft erkennbar darauf abzielt, einen effektiven präventiven Rechtsschutz des Gesellschafters zu vereiteln.

c)    Anträge auf Feststellung der Erledigung

Die im Verhältnis zur Nebenintervenientin zu 1) als einseitige Erledigungserklärung auszulegende Anträge wies der BGH als unbegründet zurück, weil es an einem erledigenden Ereignis fehle. Insbesondere sei keine Erledigung durch Aufnahme der berichtigten Gesellschafterliste in das Handelsregister vor. Diese sei nicht als Erfüllung anzusehen. Erfüllung setzt die Bewirkung der geschuldeten Leistung voraus (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 362 Rn. 1).

Hinsichtlich des Beschlusses vom 10.10.2022 und des hiergegen gerichteten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 2.11.2022 sowie der hierauf gestützten einstweiligen Anordnung vom 24.11.2022 lag eine Tilgung deshalb nicht vor, weil der Schuldner erkennbar zur Abwendung der Vollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Titel geleistet hatte oder die Befriedigung im Wege der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Titel erfolgt. In diesen Fällen bleibt die - endgültige - Befriedigung bis zur Rechtskraft schwebend unwirksam (vgl. Grüneberg BGB § 362 Rn. 15). Da hier ein Einziehungsbeschluss vorlag, dessen Rechtmäßigkeit zwischen den beiden Hauptgesellschaftern streitig ist, konnte ihre materielle Berechtigung zur Einreichung einer geänderten Liste nur aus dem hier streitgegenständlichen Beschluss vom 24.11.2022 herleiten. Die Befolgung dieser Verfügung stellt noch keine Erfüllung dar, da es sich lediglich um einen vorläufigen Titel handelt. Daher ist auch der Verfügungsgrund nicht entfallen. Hinsichtlich der weiteren Beschlüsse vom 04.11.2022 und 21.11.2022 war ebenfalls keine Erfüllung eingetreten, da zum einen die darin enthaltenen Weisungen an die Geschäftsführung auch von den neuen Geschäftsführern zu beachten wären und zum anderen ein besonderer Vertreter bestellt wurde, dessen Stellung durch die berichtigte Gesellschafterliste bzw. die neue Geschäftsführung nicht berührt wird.

 

Praxishinweis | KG Berlin 23 U 14/23

Welches Vorgehen ist zu raten, wenn die Einziehung der Geschäftsanteile und die Einreichung einer berichtigten Gesellschafterliste droht? Aus Sicht des Gesellschafters bietet sich das folgende Vorgehen an:

1) einstweilige Verfügung gegen eine Einreichung der Liste.

2) ggf. Schreiben an das Registergericht, um dieses zu irritieren und Zeit zu gewinnen.

3) Bei Einreichung: einstweilige Verfügung, dass die eingereichte Gesellschafterliste korrigiert wird.

4) Einstweilige Verfügung auf Einreichung einer neuen Liste, in der er als Gesellschafter ausgewiesen wird.

Die Gesellschaft wiederum sollte Vorsorge vor den obigen Maßnahmen des Gesellschafters treffen und sich mit der Einreichung einer Schutzschrift bei Gericht verteidigen. Der Maßnahmenkatalog verdeutlicht, dass sich die Verteidigung gegen eine unrichtige Gesellschafterliste im Wesentlichen im Rahmen des Eilrechtsschutz abspielt.

Klar ist nach dem Urteil des KG Berlin aber auch, dass nicht geschützt wird, wer sich trotz einer einstweiligen Verfügung auf die Liste verlässt.