FG Münster 8 K 19/20 E
Nutzung einer Immobilie zu gemeinsamen Wohnzwecken bei Überlassung an Ex-Ehefrau und Kinder aufgrund Scheidungsfolgenvereinbarung

08.01.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

FG Münster
19.05.2022
8 K 19/20 E
BeckRS 2022, 13418

Leitsatz | FG Münster 8 K 19/20 E

Eine die Besteuerung eines Veräußerungsgewinns ausschließende Nutzung einer Immobilie zu eigenen Wohnzwecken liegt nicht darin, dass der Eigentümer die Immobilie aufgrund einer Scheidungsfolgenvereinbarung seiner ehemaligen Ehefrau und den gemeinsamen Kindern überlässt (nicht amtl. Leitsatz).

Sachverhalt | FG Münster 8 K 19/20 E

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer Nutzung zu eigenen Wohnzwecken nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG. Der Kläger war mit seiner Ehefrau von 1989 bis 2014 verheiratet. 1994 und 2000 wurden die gemeinsamen Kinder geboren. 2008 erwarben der Kläger und seine damalige Ehefrau mit jeweils hälftigen Miteigentumsanteil ein Einfamilienhaus zu Preis von insgesamt 300.000 Euro, dass die Familie zunächst gemeinsam als Familienheim bewohnte.

Im Jahr 2014 schlossen der Kläger und seine Ehefrau eine Scheidungsfolgenvereinbarung ab. Bestandteil dieser war die Übertragung des Miteigentumsanteils der Ehefrau an den Kläger gegen Freistellung von privaten Verbindlichkeiten inklusive Darlehensverbindlichkeiten für die Grundschulden, mit denen das Eigenheim besichert war. Überdies leistete der Kläger eine Ausgleichszahlung in Höhe von 359.000 Euro. Teil der Scheidungsfolgenvereinbarung war weiter eine Nutzungsregelung zum Familienheim. Dieses sollte von der Ex-Ehefrau und den Kindern bis spätestens 31.12.2019 unentgeltlich bewohnt werden dürfen. Dies war als Teil der Unterhaltsleistung des Klägers definiert. Bei vorzeitigem Kauf sollte der Kläger zur Leistung von Barunterhalt verpflichtet werden. Der ältere Sohn zog 2016 aus dem Familienheim aus.

2018 verkaufte der Kläger das Familienheim zum Preis von 1,13 Mio Euro. Hierauf setzte das Finanzamt mit dem Jahressteuerbescheid eine Einkommenssteuer fest, die den Verkauf des Familienheims in vollem Umfang als Veräußerungsgewinn berücksichtigte. Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger Klage zum Finanzgericht Münster mit dem Antrag den Einkommensteuerbescheid 2018 vom 17.09.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.12.2019 dahin zu ändern, dass bei den Besteuerungsgrundlagen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.H.v. 0 EUR berücksichtigt werden, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

 

Entscheidung | FG Münster 8 K 19/20 E

Das Finanzgericht Münster wies die Klage ab.

Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2018 und die Einspruchsentscheidung seien rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 FGO. Denn das Finanzamt habe den Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften gem. §§ 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zutreffend in Höhe von 155.716,00 EUR der Besteuerung unterworfen.

Private Veräußerungsgeschäfte gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 S.1 Nr. 1 EStG sind solche Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung weniger als zehn Jahre beträgt. Der Miteigentumsanteil der Ex-Ehefrau wurde 2014 im Rahmen der Scheidungsfolgenvereinbarung erworben, sodass die 10-jährige Spekulationsfrist bei Verkauf des Familienheims 2018 noch nicht verstrichen war. Unabhängig davon, ob mit der Literatur eine generelle Gewinnerzielungsabsicht als Tatbestandsmerkmal abzulehnen war oder mit der Rechtsprechung von einer einkunfts- und bereichsspezifischen Ausgestaltung auszugehen war, lag hier eine Einkünfteerzielungsabsicht nicht vor. Denn nach der typisierenden Betrachtungsweise der Rechtsprechung werde bei einer, wie hier, sehr kurzen Haltefrist die Einkünfteerzielungsabsicht objektivierbar vermutet.

Auch eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Sinne des § 23 Ab. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG läge nicht vor. Nach dieser Regelung sind von dem steuerbaren Veräußerungsgeschäft Wirtschaftsgüter ausgenommen, die im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken (Alt. 1) oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken (Alt. 2) genutzt wurden. Eine „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ setzt in beiden Alternativen voraus, dass eine Immobilie zum Bewohnen geeignet ist und vom Steuerpflichtigen bewohnt wird. Der Steuerpflichtige muss das Gebäude zumindest „auch“ selbst nutzen; unschädlich ist, wenn er es gemeinsam mit seinen Familienangehörigen oder einem Dritten bewohnt

Es besteht ein Gleichlauf zu § 10e EStG und in § 4 S. 1 EigZulG. Danach liegt eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken auch vor, wenn der Steuerpflichtige die Wohnung insgesamt einem einkommensteuerlich zu berücksichtigendes Kind unentgeltlich zur alleinigen Nutzung überlässt. Nicht begünstigt sei hingegen eine Überlassung an andere. Im vorliegenden Fall schloss daher die Mitnutzung durch die Kindesmutter die alleinige Nutzung durch die Kinder und damit auch die Selbstnutzung durch den Kläger aus. Eine Selbstnutzung sei auch ausgeschlossen, wenn eine Nutzungsüberlassung an unterhaltungsberechtigte Personen sowie nicht begünstigte Personen zugleich erfolge. Das aus der Unterhaltsverpflichtung abgeleitete Nutzungsrecht sei nicht auf andere Mitbewohner übertragbar oder erweiterbar. Der Betreuungsgedanke genüge insofern nicht. Es liege auch in tatsächlicher Hinsicht kein bloß von den Kindern abgeleitetes Nutzungsrecht, sondern ein selbständiges Nutzungsrecht der Kindesmutter vor. Die Einordnung des Nutzungsrechts der Kindesmutter als eigenständiges Nutzungsrecht resultiert daraus, dass das mietfreie Wohnen laut Scheidungsfolgenvereinbarung eine Unterhaltsleistung des Klägers darstellte. Hierbei handelt es sich auch um eine Unterhaltsleistung unmittelbar an die Kindesmutter und nicht an die gemeinsamen Kinder.

Auch eine anteilige Ausnahme von der Besteuerung aufgrund (anteiliger) Eigennutzung durch den volljährigen älteren Sohn sei nicht zu tätigen. Auch ihm sei das Wohngrundstück nicht zur alleinigen Nutzung überlassen. Es scheitere hier schon an der Führung eines eigenständigen Haushalts. Es käme hier nicht auf die Minderjährigkeit an. Vielmehr begründe auch ein volljähriges Kind bei gemeinsamem Wohnen mit der Kindesmutter keinen eigenständigen Haushalt. Die „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ erfordere regelmäßig das Führen eines eigenständigen Haushalts. Hierbei kann dahinstehen, welche konkreten Anforderungen an den Begriff der „Haushaltsführung“ zu stellen sind und ob der Sohn diese erfüllte. Denn unabhängig davon kann ein eigenständiger Haushalt bereits deshalb nicht vorliegen, da es sich bei den genutzten Räumen um gemeinsame und nicht um von der Kindesmutter jeweils abgetrennte Wohnräume handelte. Das Haus habe über ein zu Wohnzwecken ausgebautes Dachgeschoss und ein separat zugängliches (Kinder-)Bad verfügt, jedoch nur über eine einzige Küche, die gemeinsam mit der Kindesmutter genutzt wurde. Es handelt sich gerade nicht um zwei separate Wohnungen, so dass mangels räumlicher Trennung ein gemeinsamer Haushalt mit der Kindesmutter vorgelegen habe. Zudem sind die einzelnen Bereiche des gemeinsam genutzten Wohnhauses nicht unabhängig voneinander veräußerbar, so dass – zumindest im Rahmen der Überschusseinkünfte – ein einheitliches Wirtschaftsgut vorliege.

Auch eine Verletzung des Art. 6 I GG sei nicht gegeben, weil erst der Verkauf und nicht die Beibehaltung des Familienheims zugunsten der gemeinsamen Kinder den Besteuerungsvorgang auslöse. Besteuert werde lediglich der anteilige Verkauf des hinzuerworbenen Miteigentumsanteil. Nicht der Besteuerung unterliege der im Zeitpunkt der Scheidung bereits Miteigentumsanteil. Diese Konstellation ähnele einem Sachverhalt, in dem der Steuerpflichtige eine Wohnung erwerbe und diese sodann ohne unmittelbares Selbstbewohnen zur gemeinsamen Nutzung an begünstigte und nicht begünstige Personen überlasse. Dort greife mangels alleiniger Nutzung der begünstigten Person keine „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ i.S.d. § 23 Abs. 1 Nr. 2 S. 3 EStG. Vorliegend ergebe sich aber aus der Scheidungsfolgenvereinbarung, dass der den Miteigentumsanteil erwerbende Ehegatte das Grundstück nicht selbst bewohne, sondern (anteilig) an den veräußernden Ehegatten überlasse. Bei dem umgekehrten Fall – also dem Erwerb durch den weiterhin das Familienheim bewohnenden Ehegatten – würde der spätere Verkauf des Familienheims vollständig unter die Ausnahmeregelung des § 23 Abs. 1 Nr. 2 S. 3 EStG fallen.

Praxishinweis | FG Münster 8 K 19/20 E

Das Urteil des Finanzgerichts Münster ist noch nicht rechtskräftig. Es wurde eine unter dem Aktenzeichen IX R 10/22 beim BFH geführte Revision eingelegt. Sie reiht sich ein in eine Reihe von Entscheidungen zur Nutzung zu eigenen Wohnzwecken gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 2 S. 3 EStG, die jeweils einen strengen Beurteilungsmaßstab anlegen. Diese sind: FG München vom 11.03.2021 -  11 K 2405/19, DStRE 2022, 202 (Revision eingelegt, Az. des BFH: I R 11/21) und Niedersächsisches FG vom 16.06.2021 -  9 K 16/20, EFG 2022, 670 (Revision eingelegt, Az. des BFH: I R 28/21). Es bleibt abzuwarten, ob der BFH diese für den Steuerpflichtigen sehr ungünstige Auslegung so bestätigt (ausführlich zu dieser Problematik Morawitz, DStRE 2022, 913).

Insbesondere die Darlegungen zur Vereinbarkeit mit Art. 6 GG können kritisiert werden. So ist Teil vom Schutzbereich des Art 6 Abs.2 GG auch das elterliche Erziehungsrecht und das damit verbundene Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie das Recht zur Personensorge. Ersichtlich greift aber eine Beschränkung des § 23 Abs. 1 Nr. 2 S. 3 EStG bereits vor dem Verkauf in die in Art. 6 Abs. 2 GG verbrieften Rechte ein, weil eine Beschränkung die Art und Weise der Unterhaltsgewährung sowie das Aufenthaltsbestimmungsrecht im Rahmen der Lenkungsfunktion der Ausnahmeregelung über den gesetzgeberisch verfolgten Zweck hinaus determiniert (in diese Richtung argumentierend wohl Borth, FamRZ 2023, 97).