OLG Schleswig 11 U 18/21
Notwegerecht bei ursprünglich herrenlosen Grundstücken

24.11.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Schleswig
30.09.2021
11 U 18/21
NJOZ 2021, 1285

Leitsatz | OLG Schleswig 11 U 18/21

  1. Bei einer Mehrheit von Störern besteht ein Unterlassungsanspruch gegen jeden denkbaren Störer unabhängig vom Tatbeitrag.
  2. Bei einer Mehrheit von denkbaren Notwegen i.S.v. § 917 BGB wird den Berechtigten nicht das Recht eingeräumt, einen für sie bequemen Wegverlauf zu wählen. Das Notwegerecht entsteht in seiner konkreten gesetzlichen Ausgestaltung mit dem Vorliegen von dessen Voraussetzungen.
  3. Im Rahmen der Ausübung eines Notwegerechts ist der Verlauf zu wählen, der für den Duldungspflichtigen die geringstmögliche Belastung darstellt. Die Nutzung eines bereits bestehenden Weges als Notweg ist dabei für die Grundstückseigentümer grundsätzlich nur mit geringen Belastungen verbunden.

(Amtliche Leitsätze)

 

Sachverhalt | OLG Schleswig 11 U 18/21

Es stehen zwei Miteigentümer eines Wohngrundstückes (Kläger) mit dem Inhaber eines Wegegrundstückes (Beklagter) im Disput.

Das klägerseitige Hausgrundstück ist über ein Straßengrundstück begehbar und befahrbar (im Urteil nachfolgend als „Weg X“ bezeichnet). Weg X wurde herrenlos. Die Kläger und Gemeinde unterließen es, sich das Grundstück anzueignen. Am 27.12.2018 erwarb es der Beklagte zusammen mit seiner Ehefrau käuflich von Herrn S, der es sich vorher aneignete.

Der Beklagte wandte sich an die Kläger, demnach jegliche Nutzungen vorher einer schriftlichen Zustimmung durch ihn benötigen. Er sperrte den Weg mit Flatterbändern ab, errichtete Verbotsschilder und verlegte Betonringe, um eine Durchquerung zu verhindern.

Die Kläger wehrten sich dagegen erfolgreich anhand einer einstweiligen Verfügung. Das Landgericht verurteilte den Beklagten antragsgemäß, das Begehen und Befahren seines Grundstückes zu dulden. Er sei dazu verpflichtet, die Absperrungen zu beseitigen, da den Klägern gemäß § 917 BGB ein Notwegerecht zustehen.

Der Beklagte legte dagegen Berufung vor dem Oberlandesgericht Schleswig ein. Nach seiner Auffassung bestehe kein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dazu führte er mehrere Gründe an.
Zum einen müsse der Anspruch gegen sämtliche Miteigentümer, also seine Ehefrau eingeschlossen, geltend gemacht werden. Zum anderen könne das Notwegerecht aus § 917 BGB nicht auf Weg X angewandt werden, da bereits über den Weg A die Erschließung gesichert sei.

Im Übrigen seien die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB wegen fehlender Wiederholungsgefahr nicht erfüllt. Schließlich sei das Begehr der Klägerseite wegen widersprüchlichen Verhaltens treuwidrig (§ 242 BGB), da sie sich vorsätzlich in die Notsituation des § 917 BGB begeben hätten. Man hätte eine eigene Aneignung des Grundstückes unterlassen, um öffentlich-rechtliche Lasten zu verhindern und es auf die unentgeltliche Nutzung durch Dritte angelegt.

Entscheidung | OLG Schleswig 11 U 18/21

Die Berufung des Beklagten vor dem OLG Schleswig ist zulässig, aber unbegründet und ist damit erfolglos. Der Senat bejaht den Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Der Beklagte verursachte die Störung durch aktives Aufstellen der Absperrungen und gelte mithin als Handlungsstörer im Sinne der Norm. Der Einwand fehlender Wiederholungsgefahr sei in Anbetracht der Beweislast haltlos. Die tatsächlich ergangene Beeinträchtigung stelle ein gewichtiges Indiz dar, dass solche auch in Zukunft zu erwarten sind. Es lag folglich am Kläger, das Gegenteil zu beweisen. Dies hätte er etwa durch eine strafbewährte Unterlassungserklärung glaubhaft machen können. Daran fehlt es jedoch. Nach Auffassung der Richter erhärte zudem seine fehlende Einsicht eines klägerseitigen Wegerechts sogar die gegenteilige Annahme.

Sodann geht das OLG auf die Voraussetzungen des § 917 BGB näher ein. Darin wird von einer „ordnungsgemäßen Benutzung“ gesprochen. Die Richter stellen klar, dass dies nicht nur das Begehen, sondern auch Befahren mit Kraftfahrzeugen umfasst. Ein Notwegerecht kommt allerdings nur in Betracht, wenn das betroffene Grundstück nicht mithilfe einer öffentlichen Verbindung erschlossen ist. Im konkreten Fall wurde das bejaht.

Zwar hätten auch die Wegegrundstücke D und Y benutzt werden können. Allerdings ist dasjenige Grundstück zu wählen, welches objektiv die geringsten Belastungen für den Eigentümer beinhaltet. Dies richtet sich nach Art und Zuschnitt des Grundstückes. Die Grundstücke D und Y stehen ebenfalls im Eigentum des Beklagten. Grundstück X wurde bereits in der Vergangenheit stets als Weg genutzt. Angesichts der Beschaffenheit von Weg X sei eine andere Verwendungsweise vernünftigerweise nicht denkbar, als es zu Wegezwecken zu benutzen. Aufgrund dessen stellte die Nutzung der zwei anderen Zufahrtsmöglichkeiten keine geringere Belastung dar.

Gen Ende der Entscheidung weisen die Richter den Vorwurf von Rechtsmissbräuchlichkeit von der Hand. Die Kläger dürften sich danach auf den quasinegatorische Unterlassungsanspruch dürfte geltend gemacht werden. Denn ihre Erwägung, dass sich die Gemeinde das Grundstück aneignen müsste, ist nicht sachfremd, sodass kein Verstoß gegen § 242 BGB vorliegt.

 

Praxishinweis | OLG Schleswig 11 U 18/21

Das Notwegerecht geht nicht verloren, wenn das betroffene Zufahrtsgrundstück vormals herrenlos gewesen ist. Wer versäumt, sich das Grundstück rechtzeitig anzueignen, muss folglich nicht befürchten, vom neuen Eigentümer „ausgesperrt“ zu werden. Ebenso ist zu beachten, dass das Notwegerecht nicht nur ein Begehen, sondern auch Befahren beinhaltet.