KG 22 W 32/22
Notbestellung eines organschaftlichen Vertreters eines Vereins bei Unwirksamkeit von Vorstandswahlen

21.04.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

KG
04.07.2022
22 W 32/22
NZG 2022, 1736

Leitsatz | KG 22 W 32/22

  1. Nach § 29 BGB kommt die Notbestellung eines organschaftlichen Vertreters eines Vereins nur dann in Betracht, wenn die erforderliche Anzahl von Mitglieder des Vertretungsorgans fehlt und die zeitweise Behebung des Mangels dringend ist, weil ein Schaden droht oder eine alsbald erforderliche Handlung unterbleibt und der Verein den Mangel nicht selbst beheben kann.
  2. Wird ein Antrag nach § 29 BGB mit der Unwirksamkeit von Vorstandswahlen begründet, muss diese feststehen oder jedenfalls mit wenig Aufwand feststellbar sein. Ist die Unwirksamkeit voraussichtlich nur in einem umfangreichen Strengbeweisverfahren feststellbar, kann der Antragsteller zunächst auf den Zivilprozessweg zur Klärung verwiesen werden. Bei einer Partei kommt zudem die Anrufung des Parteischiedsgerichts in Betracht. (amtl. Leitsätze)

Sachverhalt | KG 22 W 32/22

Der Beteiligte zu 1) ist nach § 1 Abs. 1 seiner Satzung eine Partei im Sinne des Grundgesetzes. In der Zeit vom 4. bis 6. Dezember 2021 ist ein virtueller Bundesparteitag durchgeführt worden, bei dem auch ein neuer Vorstand gewählt worden ist. In der Folge des Parteitages ist eine bestätigende Briefwahl durchgeführt worden.

Der Beteiligte zu 2) war zuvor beim 1. Bundesparteitag als Beauftragter für Medien und Kommunikation in den Vorstand gewählt worden. Mit einem Schreiben vom 2. Februar 2022 hat er beim Amtsgericht Charlottenburg die Bestellung eines Notvorstands für den Beteiligten zu 1) beantragt und drei Personen vorgeschlagen. Diesen Antrag hat das Amtsgericht mit einem Beschluss vom 28. März 2022 zurückgewiesen. Es fehle nicht an einem Vorstand. Ob die bereits erfolgte Anfechtung der Vorstandswahl Erfolg habe, könne nicht in dem Verfahren nach § 29 BGB vorweggenommen werden.

Entscheidung | KG 22 W 32/22

Das KG wies die Beschwerde ab. Das Amtsgericht habe die Bestellung eines Notvorstands zu Recht abgelehnt. Zwar käme die Bestellung eines Notvorstands nach § 29 BGB auch bei Parteien nach § 2 Abs. 1 S.1 ParteienG in Frage. Die Zurückweisung des Antrags sei aber gerechtfertigt, weil die Voraussetzungen für eine Bestellung nicht gegeben seien.

Eine Notbestellung eines organschaftlichen Vertreters eines Vereins komme nur dann in Betracht, wenn die erforderliche Anzahl von Mitgliedern des Vertretungsorgans fehle und die zeitweise Behebung des Mangels dringend sei, weil ein Schaden drohe oder eine alsbald erforderliche Handlung unterbleibe und der Verein den Mangel nicht selbst beheben könne.

Im zu entscheidenden Fall stehe nach Ansicht KG schon gar nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass es an der notwendigen Anzahl von Mitgliedern des Vertretungsorgans fehle. Der Beteiligte zu 2) sei zwar als Beauftragter für Medien und Kommunikation nach seiner Darstellung das einzig verbliebene Mitglied des am 21. März 2021 bestellten Vorstands. Danach stehe ihm keine Vertretungsbefugnis zu, die nach § 16 der Satzung nur den Vorsitzenden und Stellvertretern zukomme. Eine solche Vertretungsbefugnis werde aber zur Einberufung einer Mitgliederversammlung grundsätzlich für erforderlich gehalten.

Hier habe aber Anfang Dezember 2021 ein Bundesparteitag stattgefunden und es sei zur Neuwahl des Vorstands gekommen. Danach verfüge der Beteiligte zu 1) derzeit über einen Vorstand. Die vorgetragenen Bedenken wegen des Ablaufs und der Abstimmungen dieses Parteitages könnten tatsächlich die Annahme rechtfertigen, die Beschlüsse seien nichtig. Entscheidend sei aber, dass die zur Beurteilung der Sachlage hier notwendigen Tatsachen nicht feststünden und auch nicht mit einem vertretbaren Aufwand durch das KG zu ermitteln seien. Denn insoweit wäre eine Beweisaufnahme im Strengbeweisverfahren erforderlich. Ein Zivilprozess sei auch schon anhängig, bei dem der neue Vorstand die Partei entsprechend § 250 Abs. 3 AktG in Verbindung mit § 246 Abs. 2 S. 2 AktG vertrete. Dessen Vertretungsbefugnis sei eine doppelrelevante Tatsache. Stehe die Unwirksamkeit später fest, liege ein Außenhandeln eines faktischen Vorstands vor, das sich der Verein nach den Grundsätzen der Duldungsvollmacht zurechnen lassen müsse. Der Ausgang des Zivilprozesses sei somit abzuwarten.

Besondere Gründe für ein Verfahren nach § 29 BGB seien nicht ersichtlich und nicht vorgetragen. Dass den Bestellungsbeschlüssen ohne weiteres der Makel der Fehlerhaftigkeit anhafte, sei nicht ersichtlich und lasse sich auch dem Vorbringen des Beteiligten zu 2) nicht entnehmen. Des weiteren werde die fehlende Ladung aller Mitglieder zum Parteitag lediglich vermutet, der Wahlprüfungsausschusses lasse keinen Schluss auf eine eindeutige Rechtswidrigkeit zu und aus der bestätigenden Briefwahl allein mit den Teilnehmern des Parteitages ergebe sich ebenfalls nicht zwingend eine Rechtswidrigkeit.

Praxishinweis | KG 22 W 32/22

Diese Entscheidung des KG führt die Anwendbarkeit des § 29 BGB auf Parteien nach § 2 Abs. 1 S. 1 ParteienG nach seinem Beschluss v. 20.05.2020 – 22 W 7/20 konsequent fort. Eine gerichtliche Notvorstandsbestellung muss das letzte Mittel bleiben, der hoheitliche Eingriff subsidiär zur Anrufung des Parteischiedsgerichts. Der Verein muss sich erst mit allen satzungsgemäßen Mitteln versuchen selbst zu helfen.

Wichtig ist für die Praxis, dass das KG für den Verein mit seiner körperschaftlichen Organisation das Beschlussmängelrecht bei der AG heranzieht und den Vorstand die Gesellschaft im Prozess als vertretungsbefugt ansieht. Die Satzung bleibt aber die Grundlage für klärende Festlegungen, z.B. zur zeitlichen Grenze für die Geltendmachung von Beschlussmängeln oder eventuelle (außer-)gerichtliche sowie alternative Formen der Streitbeilegung.