BGH IX ZR 85/21
Koordinierte Fremdfinanzierung der Schuldnerin durch mehrere Gesellschafter steht Anwendung des Kleinbeteiligtenprivilegs gem. § 39 Abs. 5 InsO entgegen

01.09.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
26.01.2023
IX ZR 85/21
NZI 2023, 383

Leitsatz | BGH IX ZR 85/21

  1. Eine Beteiligung am Haftkapital i.H.v. 10 % (und nicht von weniger als 10 %) steht der Anwendung des Kleinbeteiligtenprivilegs nicht entgegen; eine einschränkende Auslegung der Vorschriften über das Kleinbeteiligtenprivileg scheidet aus.
  2. Eine koordinierte Finanzierung durch mehrere Gesellschafter kann unabhängig von einer Krise der Gesellschaft und auch außerhalb des Anfechtungszeitraums des § 135 Abs. 1 Nummer 2 InsO dazu führen, dass die Beteiligungen der an der Finanzierung beteiligten Gesellschafter am Haftkapital der Gesellschaft zusammenzurechnen sind; maßgeblich ist, ob eine überschießende unternehmerische Verantwortung übernommen wird.
  3. Die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung, die für die Forderung auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder für eine gleichgestellte Forderung Sicherung gewährt hat, setzt nicht voraus, dass die Sicherung dem darlehensgewährenden Gesellschafter oder dem Gläubiger einer gleichgestellten Forderung gewährt wird.
  4. Bei dem Regressanspruch des Gesellschafters gegen die Gesellschaft aus der Besicherung einer Verbindlichkeit der Gesellschaft gegenüber einem Dritten handelt es sich um eine Forderung, die einer Forderung auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens gleichgestellt ist; eine Sicherung des Regressanspruchs durch die Gesellschaft kann daher der Anfechtung unterliegen.
  5. Die Besicherung von Forderungen – hier Zinsen und Avalprovisionen –, die neben die Forderung auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder eine gleichgestellte Forderung treten, unterliegt der Anfechtung, wenn die Nebenforderungen im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch offen sind oder erst nach diesem Zeitpunkt anfallen.

 

Sachverhalt | BGH IX ZR 85/21

Die Parteien streiten über den Anspruch des Klägers auf Rückabtretung einer Grundschuld. Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer GmbH, über deren Vermögen am 15.12.2015 im Eigenantrag das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die drei Gesellschafterinnen der GmbH sind Streithelferinnen. Sie sind am Stammkapital der GmbH mit je 50 Prozent (Streithelferin zu 1), 10 Prozent (Streithelferin zu 2) und 40 Prozent (Streithelferin zu 3) beteiligt. Die GmbH plante die Errichtung eines KV-Terminals. Die Kosten der Errichtung beliefen sich auf 3,8 Millionen Euro. In Höhe von 3 Millionen Euro wurde der GmbH ein nicht rückzahlbarer, aber unter Auflagen und Bedingungen stehender, Baukostenzuschuss durch das Eisenbahn-Bundesamt gewährt. Die restlichen 800.000 Euro gewährten die Gesellschafterinnen durch Gesellschafterdarlehen. In Höhe von insgesamt 3 Millionen Euro verbürgten sich die Gesellschafterinnen außerdem gegenüber dem Eisenbahn-Bundesamt bzw. stellten Bürgschaften Dritter in dieser Höhe. Mit den Bürgschaften wurde der Anspruch auf (Teil-) Rückzahlung bei Verstoß gegen Auflagen und Bedingungen besichert. Darlehen und Bürgschaften erbrachten die Gesellschafterinnen jeweils im Verhältnis ihrer Beteiligung. Die Darlehen waren mit 4 Prozent jährlich zu verzinsen, für die Bürgschaften waren Avalprovisionen i.H.v. 1 Prozent jährlich auf die jeweilige Bürgschaftssumme geschuldet.

Im Rahmen eines Konsortialverhältnisses verpflichteten sich die Gesellschafterinnen untereinander, die Darlehen und Bürgschaften zu erbringen und aufrechtzuerhalten. Sie bildeten eine GbR, in deren Vermögen die Sicherheit für Darlehen und Bürgschaften eingebracht wurde. Als Sicherheit wurde eine verbriefte Eigentümergrundschuld bestellt, welche die GmbH unter der aufschiebenden Bedingung ihrer Eintragung im Grundbuch an die GbR abtrat. Der Sicherungszweck war laut dem Sicherungsvertrag die Bestellung „zur Sicherung aller gegenwärtigen und künftigen Forderungen“ aus den Gesellschafterdarlehen oder -bürgschaften. Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens war das Darlehen erst zum Teil getilgt, auch die Bürgschaften bestanden fort.

Das Landgericht Zwickau gab der Klage des Insolvenzverwalters auf Rückabtretung der Grundschuld statt (LG Zwickau vom 20.12.2019 – 7 O 172/18). Das OLG Dresden wies die auf das Urteil des LG Zwickau hin eingelegte Berufung der Beklagten zurück (OLG Dresden vom 05.05.2021 – 13 U 188/20).

 

Entscheidung | BGH IX ZR 85/21

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin, ließ der BGH die Revision zu. Die Revision hatte in der Sache keinen Erfolg und wurde durch den BGH zurückgewiesen. Der BGH bestätigte den Anspruch des Klägers auf Rückübertragung der Grundschuld und Zustimmung zur Herausgabe des vom Notar verwahrten Grundschuldbriefs aus §§ 135 Abs. 1 Nr. 1, 129 Abs. 1, 143 InsO.

Der Anspruch aus § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO setzt die Bestellung einer Sicherheit für ein Gesellschafterdarlehen oder eine gleichgestellte Forderung voraus. Für die Beurteilung ist es unerheblich, ob der Sicherungsnehmer ein Dritter ohne eigenen Finanzierungsbeitrag ist. Zudem erstreckt sich die Anfechtung hier auf die gesamte Sicherheit, da die Forderungen insgesamt unter § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu subsumieren sind.

Dem nur mit 10 Prozent an der Gesellschaft beteiligten Gesellschafter, versagte der BGH das Kleinstbeteiligtenprivileg des § 29 Abs. 5 InsO.

Der BGH stellt zunächst klar, dass es einer Anwendung des § 29 Abs. 5 InsO nicht entgegenstehe, wenn die Beteiligung am Haftkapital genau 10 Prozent und nicht weniger als 10 Prozent beträgt. Es bedarf keiner einschränkenden Auslegung der Vorschrift. Der Gesetzgeber habe mit der Vorgängerregelung in § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG eine starre Grenze bei einer Beteiligung von 10 Prozent oder weniger eingeführt. Diese hat der Gesetzgeber in § 39 Abs. 5 InsO mit dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) bewusst rechtsformneutral übernommen.

Das Kleinbeteiligtenprivileg war jedoch zu versagen, weil die Schwelle einer Beteiligung von 10 Prozent am Haftkapital überschritten war. Dies ergebe sich im konkreten Fall aus der koordiniert vorgenommenen Fremdfinanzierung der GmbH durch ihre Gesellschafterinnen. In der Folge müssten die Haftungsbeteiligungen der Gesellschafterinnen zusammengerechnet werden.

Bereits nach alter Rechtslage war anerkannt, dass eine koordinierte Fremdfinanzierung zur Versagung des Kleinbeteiligtenprivilegs nach § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG führen konnte. Voraussetzung war allerdings, dass die koordinierte Fremdfinanzierung in der Krise der Gesellschaft erfolgte oder bewusst unterlassen wurde. Für die neue Rechtslage nach Inkrafttreten des MoMiG war diese Frage noch nicht entschieden. Der BGH hat festgestellt, dass eine koordinierte Fremdfinanzierung der Anwendung des Kleinbeteiligtenprivilegs entgegenstehen kann, wenn sie mit der Übernahme einer über den nominellen Gesellschaftsanteil hinausgehenden unternehmerischen Verantwortung verbunden ist. Gegebenenfalls sind die Gesellschaftsanteile der an der koordinierten Finanzierung beteiligten Gesellschafter zusammenzurechnen. Maßgeblich bleiben die Umstände des Einzelfalls. Mit Einführung des MoMiG wurde das Merkmal der Krisenfinanzierung bewusst aufgegeben. Nach neuer Rechtslage ist es daher völlig unerheblich, ob die koordinierte Fremdfinanzierung vor oder nach Eintritt der Krise der Gesellschaft aufgenommen wurde. Begründet wurde dies damit, dass in der koordinierten Fremdfinanzierung die Übernahme einer über den nominellen Geschäftsanteil hinausgehenden unternehmerischen Verantwortung zum Ausdruck kommen könne. Im konkreten Fall bejahte der BGH eine unternehmerische Verantwortung und rechnete das Haftungskapital der Gesellschafter zusammen. Er begründete dies mit dem Konsortialvertrag. Durch diese hätten sich die Gesellschafter gegenseitig zur Erbringung der Finanzierungsbeiträge verpflichtet und Regelungen zum Innenausgleich getroffen. Hieraus folge, dass die nur mit 10 Prozent beteiligte Gesellschafterin sich einen Einfluss auf die Finanzierung der GmbH gesichert habe, der erheblich größer ausfalle, als ihre nominelle Haftungsbeteiligung.

Anfechtbar nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO war auch die abgetretene Eigentümergrundschuld, mit der Regressansprüche aus dem Verhältnis zwischen der GmbH und den Gesellschafterinnen für den Fall der Inanspruchnahme gesichert wurden. Denn die Regressansprüche stehen dem Anspruch auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO gleich. Bereits bisher ist anerkannt, dass die Regressforderung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar ist, wenn der Gesellschafter im letzten Jahr vor der Eröffnung nach Verwertung seiner Sicherheit Regress genommen hat. Ist die gesicherte Forderung noch offen, kann er dagegen nur eine quotale Befriedigung verlangen. Diese Grundsätze hat der BGH nunmehr wie folgt ergänzt: Hat eine Gesellschaft dem Gesellschafter für seine Rückgriffsforderung aus der Besicherung eines Drittdarlehens eine Sicherheit bestellt, so ist auch diese Rückgriffsforderung nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar. Unerheblich ist, ob der Drittgläubiger die Sicherheit des Gesellschafters in Anspruch genommen hat. Denn bei wirtschaftlicher Betrachtung steht die Bestellung einer Drittsicherheit der Kreditgewährung durch den Gesellschafter selbst gleich.

Auch die Besicherung von Zinsen und Avalprovisionen kann anfechtbar sein. Voraussetzung ist allerdings, dass sie im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch offen sind oder erst danach entstehen. Hintergrund der Entscheidung ist, dass der Bundesgerichtshof bereits mit Beschluss vom 27.06.2019 (BGH vom 27.06.2019 - IX ZR 167/18, NJW 2019, 2923) entschieden hat, dass bereits gezahlte Zinsen nicht nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar sind. Denn diese stellen ein Entgelt für die Überlassung eines bestimmten Kapitalbetrages auf Zeit dar. Sie stellen weder eine Finanzierungsleistung an die Gesellschaft noch eine Forderung auf deren Rückzahlung dar. Anders ist dies jedoch, wenn, wie hier, noch gar keine Zinsen angefallen sind und sich eine Anfechtbarkeit nach § 135 Abs.1 Nr. 1 InsO beurteilt. In diesem Fall soll § 135 I Nr. 1 InsO verhindern, dass der Nachrang des § 39 I Nr. 5 InsO durch ein Absonderungsrecht des Forderungsinhabers unterlaufen wird, wenn eine Sicherheit nicht schon vor Anmeldung der Insolvenz erfolgt.

 

Praxishinweis | BGH IX ZR 85/21

Das vorliegende Urteil stellt die erste Entscheidung des BGH zur Kleinstbeteiligtenregelung in nunmehr § 29Abs. 5 InsO nach dem MoMiG dar. Die Entscheidung führt die Rechtsprechung zur Versagung der Kleinstbeteiligtenreglung vor dem MoMiG konsequent fort und passt sie an die neue Rechtslage an (Anm. Görner, EWiR 2023, 304, 305; ausführlich Anm. Wazlawik, NZI 2023, 388 f.).

Für die Praxis stellt sich hier vor allem die Frage nach der Begrenzung der Gestaltungsmöglichkeiten von Konsortialvereinbarungen. So ist künftig Vorsicht bei solchen Konsortialvereinbarungen geboten, mit denen den Gesellschaftern eine erhebliche Einflussnahme auf die Finanzierung der Gesellschaft gestattet wird. Zur Versagung der Kleinstbeteiligtenregelung können auch Vereinbarungen führen, die im Innenverhältnis der Gesellschafter hinsichtlich des Darlehens eine gleiche Beteiligung anstreben. Kritisch zu prüfen wird nach dem Urteil auch die Bestellung einer gemeinsamen Sicherheit namens der Gesellschafter sein (hierzu, Anm. Blöse, GmbHR 2023, 499, 501).

Der BGH nimmt zudem eine weitere Erweiterung der Anfechtung von Gesellschafterleistungen vor und stellt nunmehr klar, dass auch Sicherungsansprüche Dritter sowie noch offene Zinsen und Avialprovisionen der Anfechtung unterliegen sollen (kritisch hierzu, Anm. Blöse, GmbHR 2023, 499, 501).