BGH II ZR 152/21
Klage trotz nicht eingeleiteter Schlichtung unter Schlichtungsklausel

29.03.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
14.03.2023
II ZR 152/21
ZPG 2023, 334

Leitsatz | BGH II ZR 152/21

  1. Durch eine Schlichtungsklausel wird die Durchführung der Schlichtung zur Prozessvoraussetzung erhoben, die bereits bei der Erhebung der Klage vorliegen muss, so dass damit regelmäßig die sofortige Klagbarkeit ausgeschlossen ist. Die Nichteinhaltung der Schlichtungsvereinbarung ist nur auf die Einrede des Beklagten hin zu beachten.
  2. Das Rechtschutzbedürfnis entfällt nicht dadurch, dass die Gesellschaft den Anspruch des Gesellschafters auf Einsichtnahme in die Unterlagen der Gesellschaft und Auskunft bei unzureichender Informationsgewinnung durch die Einsichtnahme im Grundsatz nicht in Abrede stellt.
  3. Der Einsicht verlangende Gesellschafter kann allgemein auf künftige Einsichtsgewährung in die Handelsbücher und Papiere der Gesellschaft klagen, die sodann auch mehrfach ausgeübt werden kann. Über ein zum Ausschluss oder zur Beschränkung des Einsichtsrechts führendes Verweigerungsrecht ist grundsätzlich erst im Vollstreckungsverfahren zu entscheiden.
  4. Es kann das Informationsrecht des einzelnen Gesellschafters zu einem Auskunftsrecht erstarken, wenn die erforderlichen Angaben nicht aus den Büchern und Papieren der Gesellschaft ersichtlich sind und sich der Gesellschafter etwa bei Lückenhaftigkeit oder Widersprüchlichkeit der Unterlagen ohne die Auskunft keine Klarheit über die Angelegenheiten der Gesellschaft verschaffen kann.

 

Sachverhalt | BGH II ZR 152/21

Die Parteien sind zusammen in einer Partnergesellschaft als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater verbunden. Dabei ist in § 17 PartV geregelt, dass im Falle von Streitigkeiten aus diesem Vertrag jeder Vertragspartner innerhalb von 4 Wochen die Steuerberaterkammer oder den -verband zwecks Vermittlung anrufen muss. Sollte nach dem Schlichtungsversuch keine Einigung erzielt werden, kann ein ordentliches Gericht angerufen werden. Außerdem ist in § 25 PartV ein umfassendes Informations- und Kontrollrecht der Partner festgelegt, welches auch das Einsehen der Bücher umfasst.

Nachdem es zwischen den Parteien zum Streit gekommen ist, fand im Mai 2016 ein erfolgloser Schlichtungstermin statt. Daraufhin verlangte die Klägerin von der Beklagten Einsicht in die Bücher der Partnergesellschaft (Klageantrag I). Sie erweiterte die Klage auf die Feststellung der Nichtigkeit von Beschlüssen, die gegen ihre Stimme bestimmte Tätigkeiten der Beklagten genehmigten (Klageantrag VI) und die Rückzahlung von Mietzahlungen an die Beklagte (Klageantrag VII). Diesbezüglich erhoben die Beklagten in der Verhandlung die Einrede der Schlichtungsvereinbarung aus § 17 PartV. Ein darauffolgender Anruf der Steuerberaterkammer für ein Schlichtungsverfahren wurde abgelehnt. Das Landgericht hat die Klage bzgl. Antrag I als unzulässig erachtet, bzgl. Antrag VI und VII mangels Durchführung eines Schlichtungsverfahrens verneint. Auch die Berufung wurde als unzulässig zurückgewiesen.

 

Entscheidung | BGH II ZR 152/21

Die Revision ist erfolgreich und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Anders als vom Berufungsgericht angenommen ist die Berufungsbegründung ausreichend. Sie muss nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Vorliegend setzte sich die Klägerin mit den Erwägungen des Landgerichts umfassend auseinander und machte geltend, dass der behauptete Informationsanspruch weiterhin nicht erfüllt sei, da sie nicht den vollständigen Zugriff auf die begehrten Informationen erhalten habe und der Anspruch auch mehrfach ausgeübt werden könne. Das Rechtsschutzbedürfnis ergibt sich daraus, dass der behauptete materielle Anspruch nicht erfüllt ist. Der Einsicht verlangende Gesellschafter kann auf künftige Einsichtsgewährung klagen, die auch mehrfach ausgeübt werden kann. Dabei kann das Informationsrecht sogar zu einem Auskunftsrecht erstarken, wenn die erforderlichen Angaben nicht aus den Büchern ersichtlich sind und sich der Gesellschafter ohne Auskunft keine Klarheit über die Angelegenheiten der Gesellschaft verschaffen kann.

Zunächst richtig hat das Berufungsgericht zwar erkannt, dass die Anrufung der Gerichte so lange ausgeschlossen wird, bis die vertraglich bestimmte Schlichtungsstelle den Versuch unternommen hat, eine einvernehmliche Regelung herbeizuführen. Dabei ist die Nichteinhaltung der Vereinbarung nur auf Einrede der Beklagten zu beachten, welche hier erhoben wurde. Im vorliegenden Fall konnten sich die Beklagten jedoch nicht mehr darauf berufen. Denn die in § 17 S. 1 PartV vorgesehene vier Wochen Frist zur Anrufung der Schlichtungsstelle ist eine Ausschlussfrist, nach deren Ablauf der vereinbarte Klageverzicht entfällt. Als Vorbild für die Regelung galt § 7 Abs. 3 BOStB. Dieser statuiert eine berufsrechtliche Vorgabe, die zivilprozessual aber nicht zwingend zu befolgen ist und nicht zu einer Unzulässigkeit der Klage führt. Zudem wurde keine Regelung für den Fall getroffen, dass ein Anruf der Schiedsgerichtsstelle nicht erfolgt ist. Daher kann der Vertragspartner durch Untätigkeit von vier Wochen die Schlichtung umgehen. Hingegen ist eine materielle Ausschlussfrist, wonach die Klageanträge nicht mehr geltend gemacht werden können, nicht gewollt. Die Einigung zwischen den Berufsangehörigen auf Vermittlung der Steuerberaterkammer ist ausschließlich ein privatrechtlicher Vertrag, mit dem die Streitigkeit beigelegt werden soll. Durch § 17 PartV wird somit nur ein Einigungsversuch, nicht aber eine abschließende, die Vertragspartner bindende Entscheidung über die Streitigkeit gewährleistet.

 

Praxishinweis | BGH II ZR 152/21

Der BGH stellt in der vorliegenden Entscheidung fest, dass Ansprüche auch dann klageweise weiter verfolgt werden können, wenn eine gesellschaftsvertraglich vereinbarte Schlichtungsklausel nicht eingehalten wurde. Da die Ausführungen nicht ausschließlich eine Partnerschaftsgesellschaft betreffen, sind sie auch auf andere Personengesellschaftsformen anwendbar. Zudem ist anzumerken, dass die Pflicht zur Einleitung der Schlichtung allseitig verpflichtet und auch die Beklagten betrifft. Diese würden daher gegen den Grundsatz venire contra factum proprium verstoßen, wenn sie das Verfahren nicht selbst einleiten, sich dann aber im Prozess auf die Notwendigkeit eines Schlichtungsverfahrens berufen.