BFH I R 26/19
Keine grenzüberschreitende Verlustverrechnung ohne tatsächliche Verlusttragung durch inländische Muttergesellschaft

12.04.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
09.08.2023
I R 26/19
ZIP 2024, 229

Leitsatz | BFH I R 26/19

Eine grenzüberschreitende Verrechnung von Verlusten einer ausländischen Tochtergesellschaft bei der inländischen Muttergesellschaft setzt voraus, dass die „Organschaft“ zuvor in dem Sinne faktisch „gelebt“ worden ist, dass die von der Tochtergesellschaft erwirtschafteten Verluste von der Muttergesellschaft nach den Vorgaben der anzuwendenden nationalen Regelungen tatsächlich getragen worden sind.

Sachverhalt | BFH I R 26/19

Die Klägerin, eine deutsche GmbH, streitet darüber, ob Verluste ihrer französischen Tochtergesellschaft bei der Gewinnermittlung der deutschen Muttergesellschaft verrechnet werden können. Die französische Tochtergesellschaft, … s.a.r.l., hatte über mehrere Jahre Verluste angehäuft, und ihre Geschäftstätigkeit wurde 2011 eingestellt. Die Klägerin übernahm das Vermögen der … s.a.r.l. im Rahmen einer Übertragung und ließ diese ohne Liquidation auflösen. Am 30.12.2012 beschloss die Gesellschafterin die Übertragung ihres Vermögens nach Art. 1844-5 des frz. Code civil auf die Alleingesellschaftern. Am 25.1.2013 wurde die s.à.r.l. im französischen Handelsregister gelöscht.

Trotz Lieferung von Waren an die … s.a.r.l. hatte die Klägerin aufgrund ausbleibender Zahlungen umfangreiche Abschreibungen auf die Forderungen vorgenommen. In ihrer Körperschaftssteuererklärung für 2011 zog die Klägerin den Verlust der … s.a.r.l. ab, was jedoch nach einer Außenprüfung vom Finanzamt abgelehnt wurde. Die Klägerin klagte erfolglos vor dem FG Schleswig-Holstein. In ihrer Steuererklärung für das Streitjahr beanspruchte die Klägerin erneut die Verrechnung des Verlustes der … s.a.r.l., was das Finanzamt nicht berücksichtigte. Gegen diese Entscheidung erhob die Klägerin erfolglos Klage, nunmehr mit dem Ziel, den Körperschaftsteuerbescheid und den Gewerbesteuermessbescheid für 2012 zu ändern und den Verlust der … s.a.r.l. zu berücksichtigen. Das Finanzamt argumentiert, dass die Verrechnung nach nationalem und Unionsrecht nicht zulässig sei.

Entscheidung | BFH I R 26/19

Die Revision wird gemäß § 126 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückgewiesen.

Gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 KStG ist für den Abzug der Verluste einer Tochtergesellschaft auf der Ebene der Muttergesellschaft ein Organschaftsverhältnis erforderlich. Dies erfordert eine vertragliche Vereinbarung zwischen der Muttergesellschaft (Organgesellschaft) und der Tochtergesellschaft (Organgesellschaft) über die Abführung des gesamten Gewinns. Für andere Kapitalgesellschaften wie die GmbH gelten modifizierte Anforderungen nach § 17 KStG. Gemäß § 2 Abs. 2 S. 2 GewStG gelten diese Voraussetzungen auch für die gewerbesteuerliche Organschaft.

Da die Tochtergesellschaft (s.a.r.l.) nach den Feststellungen des FG in Frankreich ansässig war und weder über eine inländische Geschäftsleitung noch über einen Sitz im Inland verfügte, wurde zwischen der Klägerin und der s.a.r.l. keine Vereinbarung über eine Gewinnabführung (Verlustübernahme) abgeschlossen. Daher kann keine Organschaft nach § 14 KStG begründet werden.

§ 14 KStG setzt voraus, dass die „Organschaft“ zuvor in dem Sinne faktisch „gelebt“ worden ist. Dies liegt daran, dass die Klägerin der s.a r.l. kontinuierlich Fremdkapital in Form von kreditierten Warenlieferungen (anstatt Eigenkapital) zur Verfügung stellte. Somit hat die Klägerin die laufenden Verluste der Tochtergesellschaft gerade nicht gemäß den Vorschriften der §§ 14 ff. KStG getragen.
Dies ändert sich auch nicht durch eine – wie hier – grenzüberschreitende Anwachsung nach französischem Recht gemäß Art. 1844-5 Code civil. Denn die Übernahme von Verbindlichkeiten durch Anwachsung führt nicht zu einer tatsächlichen Verlustübernahme gemäß den Vorschriften der §§ 14 ff. KStG für das jeweilige Organschaftsjahr.

 

Praxishinweis | BFH I R 26/19

Aus der Entscheidung des BFH lässt sich entnehmen, dass eine grenzüberschreitende Verlustverrechnung dann in Betracht kommt, wenn eine „faktisch gelebte Organschaft“ vorliegt.
Der BFH erkennt offenbar die Möglichkeit eines grenzüberschreitenden Unternehmensvertrags zwischen einer deutschen Muttergesellschaft und einer ausländischen Tochtergesellschaft an. Dabei ist jedoch zu beachten, dass auch das zuständige ausländische Finanzamt der Tochtergesellschaft diese Sichtweise tragen muss.