OLG Zweibrücken 3 W 12/22
Keine grenzüberschreitende GmbH-Sitzverlegung in die Türkei

02.03.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Zweibrücken
11.07.2022
3 W 12/22
FGPrax 2022, 267

Leitsatz | OLG Zweibrücken 3 W 12/22

  1. Der Satzungssitz einer deutschen GmbHG muss gem. § 4a GmbHG zwingend im Inland liegen.
  2. Bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel einer deutschen GmbH in eine türkische Limited Sirketi kann eine Löschung der Gesellschaft im deutschen Handelsregister selbst dann nicht erfolgen, wenn die Gesellschaft zwischenzeitlich im türkischen Handelsregister eingetragen wurde. (Leitsatz der Schriftleitung)

Sachverhalt | OLG Zweibrücken 3 W 12/22

Die GmbH ist seit 2013 im HR eingetragen. Im Mai 2021 wurde die Sitzverlegung der Gesellschaft in die Türkei gemäß Gesellschafterbeschluss vom selben Tag angemeldet. Auf den Hinweis des Registergerichts auf § 4a GmbHG, wonach der Satzungssitz einer GmbH zwingend im Inland liegen müsse, beantragte der Notar im Oktober 2021 die Löschung gem. § 393 Abs. 1 FamFG analog mit der Begründung, die Gesellschaft sei am 16.07.2021 m türkischen Handelsregister als Limited Sirketi eingetragen worden. Der EuGH habe grenzüberschreitende Sitzverlegungen für rechtmäßig erachtet. Aufgrund des Assoziationsabkommens zwischen der Türkei und der damaligen EWR aus dem Jahr 1963 solle sowohl deutschen Gesellschaften in der Türkei als auch umgekehrt eine der EWR gleichgestellte Möglichkeit zugebilligt werden, den EU-Staaten gleichgestellte Regelungen zu genießen. Da das FamFG die Löschung aufgrund Doppeleintragung nicht vorsehe, sei § 393 FamFG analog anzuwenden.

Das Handelsregister wies beide Anmeldungen zurück. Die Sitzverlegung sei wegen § 4a GmbH unzulässig. Die Löschung sei ebenfalls nicht einzutragen, da die Gesellschaft nicht erloschen, sondern ein Formwechsel eingetreten sei. Dieser werde erst wirksam, wenn die Wirksamkeit nach den Rechtsordnungen sowohl des Weg- als auch des Zuzugsstaats gegeben sei.

Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, das Handelsregister habe unberücksichtigt gelassen, dass die konstitutive Registereintragung in der Türkei als Limited Sirketi bereits erfolgt sei. Der vormalige Sitz in Deutschland bestünde damit nicht mehr. Würde nun die grenzüberschreitende formwechselnde Sitzverlegung verweigert, hätte sich die Gesellschaft gleichsam verdoppelt, was nicht gewollt sei.

 

Entscheidung | OLG Zweibrücken 3 W 12/22

Das OLG Zweibrücken wies die Beschwerde ab. Die Anmeldung der Sitzverlegung in die Türkei sei zu Recht zurückgewiesen worden, weil nach § 4a GmbHG der Satzungssitz einer GmbH zwingend im Inland liegen müsse. Ebenso sei kein Herausformwechsel erfolgt.

Die Voraussetzungen für eine Löschung der GmbH im deutschen Handelsregister lägen nicht vor. Nach § 393 Abs. 1 FamFG sei das Erlöschen einer Firma gem. § 31 Abs. 2 HGB von Amts wegen oder auf Antrag der berufsständischen Organe in das Handelsregister einzutragen. Erloschen sei eine Firma, wenn sie ihren Geschäftsbetrieb endgültig einstelle. Die Beschwerdeführerin mache aber einen grenzüberschreitenden Formwechsel der deutschen GmbH in eine türkische Limited Sirketi geltend. Die Löschung könne demnach nicht nach § 393 Abs. 1 FamFG erfolgen.

Eine analoge Anwendung scheide aus, da es hier schon an der erforderlichen Regelungslücke fehle. Für Umwandlungen würden die Bestimmungen des UmwG gelten (Formwechsel, §§ 190 ff. UmwG).

Die Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister der Türkei reiche nicht aus, um die Wirksamkeit des Formwechsels zu begründen. Die Regelungen des EU-Rechts, und die dazu ergangene Rechtsprechung des EuGH („Vale“ und „Polbud“) seien auf die Türkei nicht anzuwenden. Das von der Beschwerdeführerin angeführte Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (64/733/EWG) enthalte gerade keine Regelung zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften.

Selbst wenn EU-Recht (Art. 49 AEUV und Art. 54 AEUV) und die Rechtsprechung des EuGH anzuwenden seien, mangelte es an den Anforderungen eines grenzüberschreitenden Herausformwechsels. Bei grenzüberschreitender Umwandlung müssten sukzessiv beide nationalen Rechtsordnungen angewendet werden. Es seien dennoch die Anforderungen des deutschen Umwandlungsgesetzes zu erfüllen, die Umwandlung also im Ausgangspunkt nach den §§ 190 ff. UmwG zu beurteilen.

Über die Frage der Zulässigkeit eines „Herausformwechsel“ einer deutschen GmbH in eine türkische Gesellschaftsform müsse hier aber nicht entschieden zu werden, ebenso wenig wie über die Frage, ob die unmittelbar für grenzüberschreitende Verschmelzungen geschaffenen drittschützenden Bestimmungen der §§ 122d, 122e UmwG analog zur Anwendung zu bringen seien. Im zu entscheidenden Fall liege gar kein Umwandlungsbeschluss vor und es fehlten sämtlichen weiteren Voraussetzungen einer nach deutschem Recht wirksamen Umwandlung.

Praxishinweis | OLG Zweibrücken 3 W 12/22

Diese Entscheidung des OLG Zweibrücken war so erwartbar und ist daher umso erstaunlicher. Es ist interessant, dass eine Gesellschaft die in den letzten Jahren in mehreren obergerichtlichen Entscheidungen konkretisierten Voraussetzungen für den Rechtsformwechsel in und aus einer deutschen Rechtsform heraus so ignorieren kann. Darüber hinaus fehlt es offensichtlich an einem völkerrechtlichen Abkommen, das eine umfassende Niederlassungsfreiheit mit der Türkei gewährleistet. Die nun selbst verschuldete Doppelexistenz der Gesellschaft kann nicht dazu führen, dass die Firma aus dem deutschen Handelsregister gelöscht werden muss. Dies würde das Risiko missbräuchlicher Sitzverlegungen in Krisenfällen, zur Umgehung insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Firmenbestattung erhöhen.

Für die Praxis ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Brexit das Problem der doppelten Registerexistenz auch die deutsche Limited betreffen kann. In Großbritannien werden sie als Limited geführt und in Deutschland nicht mehr als solche anerkannt.

Vor schwierigen umwandlungsrechtlichen Vorgängen sollte immer mit dem beurkundenden Notar und dem Registergericht Rücksprache genommen werden. So können z.B. Doppeleintragungen vermieden werden.
Als Alternative zum Rechtsformwechsel/Verschmelzung ins EU/EWR-Ausland können z. B. grenzüberschreitende asset deals abgeschlossen werden, auch wenn diese mit ihren eigenen Problemen einhergehen. Zu weiteren rechtssicheren Möglichkeiten zur Umstrukturierung im Verhältnis zu Drittstaaten s. Heckschen/Hilser, DStR 2022, 1005, 1008 ff.