BFH X R 36/18
Keine Auswirkungen auf Einkommen des nach steuerlichem Übertragungsstichtag verstorbenen Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft durch deren rückwirkende Verschmelzung auf Alleingesellschafter

06.08.2021

Leitsatz | BFH X R 36/18

  1. Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 2002 angeordnete Rückwirkung betrifft nur die Ermittlung des Einkommens der übertragenden Körperschaft und der Übernehmerin. Diese Norm führt daher nicht zum Entstehen eines Übernahmegewinns bei einem bereits verstorbenen Gesell-schafter einer Kapitalgesellschaft, wenn diese Gesellschaft nach dem Todestag rückwirkend auf ihren neuen Alleingesellschafter verschmolzen wird.
  2. Die Einlagefiktion des § 5 Abs. 2 UmwStG 2002 ist auch dann anzuwenden, wenn Anteile an der übertragenden Körperschaft, die unter § 17 EStG fallen, zwischen dem steuerlichen Übertra-gungsstichtag und dem zivilrechtlichen Wirksamwerden der Verschmelzung unentgeltlich übertragen werden.

Sachverhalt | BFH X R 36/18

Der Kläger und sein am 15.09.2005 verstorbener Vater hielten 48 % bzw. 52 % an einer GmbH. Der Kläger erwarb aufgrund des Erbfalls die Anteile des Verstorbenen. Daraufhin wurde die GmbH auf den Kläger verschmolzen. Als steuerlicher Übertragungsstichtag wurde der 01.09.2005 – also ein Zeitpunkt vor dem Tod des Vaters – gewählt. Auf diesen Tag stellte die GmbH eine Schlussbilanz auf. Der Kläger wies in seiner Einkommensteuererklärung 2005 (Streitjahr) einen Übernahmegewinn gem. § 4 Abs. 4 UmwStG 1995/2002 aus, den er sich jedoch selbst lediglich zu 48 % zurechnete, in der Annahme, dass der übrige Übernahmegewinn dem Verstorbenen angefallen sei. Das Finanzamt dagegen setzte den gesamten steuerpflichtigen Übernahmegewinn bei den Einkünften des Klägers aus Gewerbebetrieb an. Einspruch, Klage und Revision hiergegen waren erfolglos.

Entscheidung | BFH X R 36/18

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 2002 sind das Einkommen und das Vermögen der übertragenden Körperschaft sowie der Übernehmerin (nach neuer Fassung: „übernehmender Rechtsträger“) so zu ermitteln, als ob das Vermögen der Körperschaft mit Ablauf des Stichtags der Bilanz, die dem Vermögensübergang zu Grunde liegt (steuerlicher Übertragungsstichtag), ganz oder teilweise auf die Übernehmerin übergegangen wäre. Die Norm eröffnet damit eine ertragssteuerliche Rückwirkung der Verschmelzung, dem Wortlaut und Gesetzeszweck nach, jedoch nur bei den genannten Rechtssubjekten. Entgegen der Auffassung des Klägers führt § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 2002 deshalb nicht dazu, dass ein Übernahmegewinn rückwirkend bei einem bereits verstorbenen Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft entstehe, wenn eine GmbH nach dem Todestag auf ihren neuen Alleingesellschafter verschmolzen werde. Denn der frühere Gesellschafter der übertragenden Körperschaft erwähnt § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 2002 nicht. Aus § 2 Abs. 2 UmwStG, alter wie neuer Fassung, der bei der Übernahme durch eine Personengesellschaft die Rückwirkung auch auf deren Gesellschafter erstreckt, geht hervor, dass der Gesetzgeber an diese sprachlichen Unterschiede gedacht hat. Schließlich soll § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 2002 lediglich vermeiden, dass auf den konkreten Tag des zivilrechtlich wirksamen Vermögensübergangs eine gesonderte Bilanz erstellt werden muss. Die Besteuerung des Gesellschafters sei dagegen nicht beabsichtigt.

Im Ergebnis hat der Kläger in Bezug auf sämtliche Anteile an der GmbH einen Übernahmegewinn i.S.d. § 4 Abs. 4 UmwStG 2002 erzielt. Die Voraussetzung dafür – Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen des übernehmenden Rechtsträgers – sei für alle Anteile zwar nicht in direkter Anwendung des § 4 Abs. 4 Satz 1 UmwStG 2002 erfüllt, wohl aber aufgrund der in § 5 Abs. 2 UmwStG 2002 geregelten Einlagefiktion. Die Vorschrift (betreffend Beteiligungen des Privatvermögens, die unter § 17 EStG fallen) komme unstreitig auf die schon vor dem steuerlichen Übertragungsstichtag gehaltene 48 %-Beteiligung des Klägers zur Anwendung. Sie gelte aber auch für die erst nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag erworbene 52 %-Beteiligung, die früher der Vater gehalten hatte. Der Wortlaut der Vorschrift erfasse nicht nur Anteile, die am Übertragungsstichtag zwar dem übernehmenden Rechtsträger gehörten, aber nicht Betriebsvermögen (sondern Privatvermögen) gewesen seien, sondern „zwanglos“ auch solche Anteile, die der übernehmenden natürlichen Person am steuerlichen Übertragungsstichtag noch gar nicht gehört hätten.

Praxishinweis | BFH X R 36/18

Der BFH setzt seine Rechtsprechung zur Rückwirkung fort (BFH v. 07.04.2010 – I R 96/08, BStBl. II 2011, 467 = GmbHR 2010, 933 Rz. 37; BFH v. 17.01.2018 – I R 27/16, BStBl. II 2018, 449 = GmbHR 2018, 651). Weil die Gesetzesänderungen der streitgegenständlichen Paragrafen geringfügig ausgefallen sind, kann die Rechtsprechung auf die aktuelle Gesetzeslage übertragen werden. Im Rahmen der Corona-Gesetzgebung wurden die im Umwandlungs- und Umwandlungssteuerrecht vorgesehenen Rückwirkungszeiträume von acht auf zwölf Monate verlängert. Die zunächst bis Ende 2020 befristete Regelung ist bis Ende 2021 verlängert worden (s. insb. die Verordnung zur Verlängerung der Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie v. 20.10.2020, BGBl. I 2020, 2258).