BGH XI ZR 544/21
Kein Anspruch des Darlehensnehmers auf Negativzinsen

01.03.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
09.05.2023
XI ZR 544/21
NJW 2023, 2183

Leitsatz | BGH XI ZR 544/21

  1. Die von dem Darlehensnehmer geltend gemachten "Negativzinsen" stellen nach dem gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB keine Zinsen im Rechtssinne dar. Dem Zinsbegriff im Rechtssinne ist eine definitorische Untergrenze bei 0 % immanent, bei deren Erreichen die Pflicht des Darlehensnehmers zur Zinszahlung entfällt. Damit lässt sich eine Umkehrung des Zahlungsstroms von dem Darlehensgeber an den Darlehensnehmer nicht vereinbaren.
  2. Haben die Parteien (nur) eine Zinsobergrenze vereinbart, kann aus dem Fehlen einer Zinsuntergrenze nicht geschlossen werden, dass dem Darlehensnehmer gegebenenfalls ein Anspruch auf Zahlung von "Negativzinsen" zukommen soll. Denn die unterbliebene ausdrückliche Vereinbarung einer Zinsuntergrenze beruht darauf, dass die Parteien bei Vertragsschluss entweder davon ausgegangen sind, dass der variable Zins nach der von ihnen vereinbarten Zinsformel aufgrund der zu erwartenden Marktentwicklung nicht negativ werden könne, oder dass sie aufgrund des Leitbilds und der vertragstypischen Pflichten eines Darlehensvertrags angenommen haben, dass ohnehin nur den Darlehensnehmer nicht aber den Darlehensgeber eine Zinszahlungspflicht treffen könne.

 

Sachverhalt | BGH XI ZR 544/21

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hatte dem Kläger im Jahr 2007 ein Schuldscheindarlehen gewährt. Die Bedingungen wurden im Wesentlichen vom Kläger vorgegeben. Nach Überweisung der „Darlehenssumme“ stellte der Kläger der Beklagten einen Schuldschein über 100 Millionen Euro aus. Das Darlehen wurde später in jeweils 20 Millionen Euro aufgetrennt. Als variabler Nominalzins wurde der 3-Monats-EURIBOR zzgl. eines Zinsaufschlags von 0,1175 % p.a. mit einer Zinsobergrenze von 5,00 % p.a. vereinbart. Eine Zinsuntergrenze wurde von den Parteien nicht vereinbart.

Ab März 2016 errechnete sich aufgrund der Entwicklung des 3-Monats-EURIBOR ein negativer Wert, der bis zum Laufzeitende am 8. März 2017 einen Betrag in Höhe von ca. 158.000 € ergab. Diesen Betrag verlangte der Kläger klageweise von der Beklagten. Das LG Düsseldorf gab der Klage statt. In der Berufung hob das OLG Düsseldorf das Urteil auf und wies die Klage ab. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers.

 

Entscheidung | BGH XI ZR 544/21

Die Revision ist unbegründet. Es bedarf keiner ausdrücklichen Festlegung einer Zinsuntergrenze, um bei einem Absinken des Referenzzinssatzes einschließlich des Zinsaufschlags unter null eine Verpflichtung des Darlehensgebers zur Zahlung auszuschließen oder zu begrenzen.

Zunächst ist festzustellen, dass der „Zins“ Begriff im Gesetz nicht definiert, aber von der Privatrechtsordnung vorausgesetzt wird. Zins im Rechtssinne meint das für die Möglichkeit des Gebrauchs von zeitweise überlassenem Kapital zu leistende Entgelt, das zeitabhängig, aber zugleich gewinn- und umsatzunabhängig berechnet werde. Nach dieser Definition kann ein Zins, weil er ein Entgelt darstellt, nicht negativ werden. Im rechtlichen Kontext des § 488 Abs. 1 BGB bedeutet dies, dass der Zinssatz nicht unter 0 % fallen kann. Wenn er diese Untergrenze erreicht, ist der Darlehensnehmer nicht mehr verpflichtet, Zinsen zu zahlen. Damit lässt sich eine Umkehrung des Zahlungsstroms von dem Darlehensgeber an den Darlehensnehmer nicht vereinbaren.

Das OLG Düsseldorf hat zutreffend festgestellt, dass zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ein typischer Darlehensvertrag mit Zinsvereinbarung zwischen den Parteien bestand. Das Zusammenwirken von variablem Zinssatzes und Zinsobergrenze betrifft nur die Zinshöhe, die der Darlehensnehmer gemäß § 488 Abs. 1 S. 2 BGB für die Bereitstellung des Darlehens an den Darlehensgeber zu zahlen hat. Auch aus der Ausstellung von Schuldscheinen kann nicht darauf geschlossen werden, dass die Parteien beabsichtigen, von den gesetzlichen Vorgaben des § 488 Abs. 1 BGB abzuweichen. Denn die äußere Form des Vertrags ist nicht bedeutender als der tatsächliche Inhalt.

Basierend auf den geltenden Grundsätzen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist die Zinsklausel in Abschnitt 1 unter Zugrundelegung des Leitbildes von § 488 Abs. 1 BGB so auszulegen, dass die Beklagte nicht dazu verpflichtet ist, die berechneten "Negativzinsen" zu zahlen. Es ist nicht relevant, dass die Zinsklausel eine Zinsobergrenze, aber keine explizite Untergrenze enthält. Die fehlende Untergrenze resultiert daraus, dass die Parteien bei Vertragsschluss entweder davon ausgingen, dass der variable Zinssatz gemäß der vereinbarten Zinsformel aufgrund der zu erwartenden Marktentwicklung nicht negativ werden kann. Oder daraus, dass gemäß dem Leitbild und den üblichen Pflichten eines Darlehensvertrages nur der Darlehensnehmer, nicht jedoch der Darlehensgeber, zur Zinszahlung verpflichtet ist. Bei der Vertragsauslegung kann das Äquivalenzprinzip nicht dazu genutzt werden, um den Wert von Leistung und Gegenleistung neu zu bestimmen. Es ist daher unerheblich, ob der Kläger bei einem Sinken des Referenzzinssatzes einschließlich des Zinsaufschlags unter null seine Gewinn- oder Refinanzierungsmarge erweitern könnte, je weiter sich der Referenzzinssatz in den negativen Bereich entwickelt.

Diese Auslegung entspricht dem Verständnis redlicher und verständiger Vertragspartner in ihrer Eigenschaft als professionelle Marktteilnehmer. Die Festlegung eines bestimmten Referenzzinssatzes, wie des 3-Monats-EURIBOR, lässt nicht den Schluss zu, dass sich der Kläger entsprechend refinanziert. Ob das Absinken unter null zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses absehbar war oder nicht ausgeschlossen werden konnte, ist irrelevant.

 

Praxishinweis | BGH XI ZR 544/21

Der BGH hat durch die vorliegende Entscheidung Rechtssicherheit für Fälle geschaffen, in denen keine Zinsuntergrenze vereinbart wurde. Zur Vermeidung von Streitigkeiten, ist es dennoch ratsam, eine solche Untergrenze zu vereinbaren. Abschließend hat er zudem festgestellt, dass das deutsche Recht grundsätzlich keine Negativzinsen kennt. Denn der Zins im Rechtssinne ist ein Kapitalüberlassungsentgelt, welches grundsätzlich allein der Darlehensgeber verlangen kann.