OLG Hamm 8 U 198/20
Haftung eines GmbH-Geschäftsführers nach beamtenrechtlichen Grundsätzen im öffentlichen Unternehmen

10.01.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Hamm
08.03.2023
8 U 198/20
GmbHR 2023, 848

Leitsatz | OLG Hamm 8 U 198/20

  1. Eine GmbH, die über einen fakultativen Aufsichtsrat verfügt, wird im Rechtsstreit mit ihrem ausgeschiedenen Geschäftsführer durch den Aufsichtsrat vertreten.
  2. Die Haftung von Gesellschaftsorganen richtet sich auch bei sog. öffentlichen Unternehmen nach den Haftungsregeln der jeweils gewählten Rechtsform.
  3. Im Anstellungsvertrag des Geschäftsführers einer GmbH, deren – mittelbare – Gesellschafterin eine kommunale Gebietskörperschaft ist, kann durch Verweisung auf die Haftungsregeln, die für Beamte dieser Körperschaft gelten, der Haftungsmaßstab des § 48 BeamtStG vereinbart werden, der die Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt.
  4. Im Zivilprozess kann der Kläger seinen Anspruch durch konkrete Bezugnahme auf ein als Anlage vorgelegtes rechtskräftiges Strafurteil schlüssig darlegen. Gegenüber derart substantiiertem Vorbringen genügt ein schlichtes Bestreiten des Beklagten nicht. Kommt der Beklagte seiner erhöhten Darlegungslast nicht nach, kann der im Strafurteil festgestellte Sachverhalt auch im Zivilverfahren nach eigener Würdigung durch den Zivilrichter zugrunde gelegt werden. Verlangt eine Partei die Vernehmung der von ihr benannten Zeugen, kann dies nicht unter Hinweis auf deren Aussage im Strafprozess oder auf die Feststellungen im Strafurteil abgelehnt werden.
  5. Das Gericht kann sich bei der Überzeugungsbildung auf ein von einer Partei eingeholtes Privatgutachten stützen, wenn dieses gegenüber einem gerichtlichen Sachverständigengutachten eine größere Überzeugungskraft besitzt.
  6. Die Verweisung auf beamtenrechtliche Vorschriften im Anstellungsvertrag des Geschäftsführers eines öffentlichen Unternehmens hat zur Folge, dass Schadensersatzansprüche nach § 48 BeamtStG i.V.m. § 80 Abs. 1 S. 1 LBG NRW in drei Jahren von dem Zeitpunkt an verjähren, in dem der Dienstherr von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Diese Abweichung von der Vorschrift des § 43 Abs. 4 GmbHG ist wirksam.

 

Sachverhalt | OLG Hamm 8 U 198/20

Die Klägerin -ein kommunales Abfallentsorgungs-& Reinigungsunternehmen in der Rechtsform einer GmbH- nimmt den Beklagten F - ihr ehemaliger Geschäftsführer und städtischer Beamter- auf Schadensersatz in Anspruch. An der Gesellschaft ist mittelbar die Stadt zu 51 % und ein privater Anteilseigner zu 49 % beteiligt. F wird die Verletzung seiner Sorgfalts- und Treuepflichten als Geschäftsführer nach § 43 II GmbHG vorgeworfen, wodurch der Gesellschaft ein Schaden i.H.v. 1,2 Mio. EUR plus Zinsen entstanden sei. Der Beklagte wendet dagegen ein, dass er gemäß seines Anstellungsvertrages lediglich für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit nach §48 BeamtStG zu haften habe („Für Herrn F gelten im Innenverhältnis zur Gesellschaft die Haftungsregelungen, die für Beamte auf Lebzeit der Stadt A gelten“) und zudem bereits Verjährung eingetreten sei. Die Regelung blieb im Übrigen auch Bestandteil seines Anstellungsvertrages, nachdem er 2009 aus dem Beamtenverhältnis ausschied. Im Jahr 2013 scheidet F zudem im Zusammenhang mit den vorliegenden Vorwürfen, die auch Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Essen sind, als Geschäftsführer der Klägerin aus. Nachdem das 2013 eingeleitete Verfahren 2016 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens in Essen ausgesetzt wurde, begann nach der rechtskräftigen Verurteilung des F 2018 die Wiederaufnahme der Verhandlungen.

Entscheidung | OLG Hamm 8 U 198/20

Grundsätzlich richtet sich die Haftung der Organe auch bei öffentlichen Unternehmen nach denen der gewählten Rechtsform, vorliegend nach §43 II GmbHG. Eine vertragliche Haftungsbeschränkung sei bei § 43 II GmbHG jedoch zulässig, wodurch der Verschuldensmaßstab für F wirksam auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt wurde. Dessen Beamtenstatus habe hingegen keinen Einfluss auf seine organschaftlichen Pflichten, vielmehr seien Organeigenschaft und Beamteneigenschaft einer Person zu trennen. Für die vertragliche Haftungsbeschränkung reiche bereits eine entsprechende Regelung durch Gesellschafterbeschluss oder -wie vorliegend- im Anstellungsvertrag. Dennoch wurde F wegen grober Fahrlässigkeit gem. § 43 II GmbHG und § 823 II BGB i.V.m. § 266 I StGB zum Schadensersatz verpflichtet.

Bezüglich der Verjährungsfrist gelte durch die Verweisung auf die beamtenrechtlichen Vorschriften zu Schadensersatzansprüchen die §§ 48 BeamtStG i.V.m. § 80 I 1 LGB NW, mithin eine Frist von drei Jahren ab dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung des Dienstherrn -vorliegend der Klägerin- vom Schaden. Die Verkürzung der gesetzlichen Frist nach § 43 IV GmbHG ist mithin ebenfalls zulässig.

Des Weiteren hatte das LG das Strafurteil des LG Essen im Wege des Urkundenbeweises in den mündlichen Verhandlungen verwertet. Grundsätzlich muss sich ein Zivilrichter seine Überzeugung selbst bilden, eine Bindung an strafgerichtliche Urteile sei mit der freien Beweiswürdigung im Zivilprozessrecht nicht vereinbar. Dennoch sollte er sich bei einem engen rechtlichen und sachlichen Zusammenhang der beiden Verfahren mit den für seine Beweiswürdigung relevanten Feststellungen auseinandersetzen. Der Anspruchsteller könne seinen Anspruch durch konkrete Bezugnahme auf ein rechtskräftiges Strafurteil ebenfalls schlüssig begründen. Gegenüber einem solchen substantiierten Vorbringen reiche das schlichte Bestreiten nicht aus, vielmehr werde die Darlegungslast des Anspruchgegners erhöht. Wird sich jedoch im Zivilprozess auf Zeugenaussagen des Strafprozesses bezogen, so kann das Verlangen einer Partei nach einer Zeugenvernahme im zivilgerichtlichen Verfahren nicht abgelehnt werden, indem auf die des Strafprozesses verwiesen wird.

 

Praxishinweis | OLG Hamm 8 U 198/20

Für Geschäftsführer in öffentlichen Unternehmen kann im Rahmen des § 43 II GmbHG ein beamtenrechtlicher Haftungsmaßstab mit einer Haftungsbeschränkung vereinbart werden, dabei sollte jedoch darauf geachtet werden, ob es der Interessenlage gerecht wird.

Zudem ist es auch in privaten Unternehmen eine vertragliche Beschränkung der gesetzlichen Haftung von GmbH-Geschäftsführern zulässig, gleichsam wie die Verkürzung der Verjährungsfrist.