OLG Saarbrücken 4 U 25/22
Gesetzliche Prozessführungsbefugnis eines BGB-Gesellschafters analog § 744 Abs. 2 BGB bei dringendem Handlungsbedarf

21.02.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Saarbrücken
11.05.2023
4 U 25/22
GmbHR 2023, 735

Leitsatz | OLG Saarbrücken 4 U 25/22

Gesetzliche Prozessführungsbefugnis eines BGB-Gesellschafters analog § 744 Abs. 2 BGB bei dringendem Handlungsbedarf wegen einer Gefahr für die Gesellschaft oder ihr Vermögen.

Sachverhalt | OLG Saarbrücken 4 U 25/22

Am 01.08.2018 gründeten der Kläger und S eine GbR. Diese GbR betrieb in der Folge eine Bäckerei, welche sie am 01.02.2019 an den Beklagten verkaufte. Laut des Vertrags verpflichtete sich der Beklagte zur Zahlung von 20.000 € und zur Übernahme verschiedener Verbindlichkeiten, nämlich offener Mieten für drei Monate, einer Steuerberaterrechnung (ca. 700 €) sowie Müll-, Gas- und Stromrechnungen. Nach Begleichung der Steuerberaterrechnung und einer Müllrechnung i.H.v. 1.000 € veräußerte der Beklagte die Bäckerei am 01.08.2019 weiter an den Z. Dieser verpflichtete sich neben der Zahlung eines Kaufpreises von 10.000 € ebenfalls zur Übernahme bezeichneter Strom-, Gas- und Müllrechnungen, die der Beklagte übernommen hat und bezahlen muss, bis zum Betrag von 15.000 €. Der Z leistete bereits zwei Teilzahlungen an den Kläger von jeweils 1.300 €.

Der Kläger behauptete, er habe Rechnungen i.H.v. 16.542 € beglichen, die eigentlich der Beklagte hätte zahlen sollen. Ein Weiterkauf sei ihm erst im Nachhinein angezeigt worden, eine Schuldübernahme durch Z mit einer, den Beklagten von dessen Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag befreienden Wirkung habe er nicht akzeptiert. Das LG entschied zugunsten des Klägers und verurteilte den Beklagten zur Zahlung von 12.400 € an die GbR. Er könne Ansprüche der GbR gegen den Beklagten geltend machen und sei insoweit analog § 744 Abs. 2 BGB prozessführungsbefugt. Zwar stünde die Geschäftsführung nach Beendigung der GbR grundsätzlich den beiden Gesellschaftern gemeinsam zu. Da die GbR jedoch, wie vom Kläger glaubhaft bestätigt, durch das Verschwinden des Mitgesellschafters S praktisch beschlussunfähig geworden sei, sei die Geltendmachung der Ansprüche im Rahmen einer Notgeschäftsführung die einzige Möglichkeit, die Gesellschaftsforderungen noch zu realisieren und vor der Verjährung zu retten. Hiergegen hat der Beklagte Berufung eingelegt.

 

Entscheidung | OLG Saarbrücken 4 U 25/22

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Prozessführungsbefugt ist zunächst derjenige, der berechtigt ist, über das behauptete Recht einen Prozess als Partei im eigenen Namen zu führen. Grundsätzlich ist hierzu nur der Inhaber des Rechts befugt. Vorliegend macht der Kläger in eigenem Namen einen Anspruch der GbR geltend. Dieser Anspruch war auf die Freistellung der GbR von den in der Anlage genannten Verbindlichkeiten gerichtet. Der Vertrag berechtigte und verpflichtete unmittelbar zunächst aber nur die Gesellschaft und nicht die Gesellschafter.

Im besonderen Fall hatte der Kläger jedoch die Befugnis, den Anspruch der GbR geltend zu machen. Die Geschäftsführung und auch Einziehung einer Forderung der Gesellschaft, obliegt den Gesellschaftern gemeinschaftlich, wenn sich diese im Abwicklungsverhältnis befindet, § 730 Abs. 2 BGB. Aus § 744 Abs. 2 BGB analog ergibt sich jedoch die Notgeschäftsführung eines einzelnen Geschäftsführers, wenn wegen einer Gefahr dringender Handlungsbedarf für die Gesellschaft oder ihr Vermögen besteht und dieser keinen Aufschub bis zu einer Entscheidung der Gesellschafter duldet. Das Notgeschäftsführungsrecht analog § 744 Abs. 2 BGB kann dann auch die Erhebung einer Klage umfassen und verleiht dem Notgeschäftsführer eine gesetzliche Prozessführungsbefugnis.

Vorliegend wurde die GbR durch die Veräußerung des Gewerbebetriebs gem. § 726 BGB aufgelöst. Daraufhin stand die Geschäftsführung allen Gesellschaftern gemeinsam zu. Der Senat hält die Ausführungen des glaubwürdigen Klägers, wonach sein Mitgesellschafter verschwunden und dessen Aufenthalt unbekannt sei, für glaubhaft. Da der Mitgesellschafter den Kläger bei der Erfüllung der vertragswidrig nicht beglichenen Verbindlichkeiten im Stich gelassen hat, war es dem Kläger nicht zumutbar, vor Klageerhebung zunächst seinen Mitgesellschafter auf Mitwirkung an der gerichtlichen Geltendmachung der Forderung zu verklagen. Schließlich war die erhobene Klage erforderlich, um die Ansprüche der GbR aus dem geschlossenen Vertrag zu verfolgen und eine Verjährung zu verhindern. Zusätzlich konnte der Kläger den Prozess auch nach den Grundsätzen der gewillkürten Prozessstandschaft führen. Die Erklärungen des Mitgesellschafters, er würde nichts unternehmen und den Kläger nicht unterstützen ist als konkludente Zustimmung zu einer gewillkürten Prozessstandschaft auszulegen.

Schließlich wurde auch keine Schuldbefreiung des Beklagten bewiesen. Wird eine Schuldübernahme von dem Dritten mit dem Schuldner vereinbart, so hängt ihre Wirksamkeit von der Genehmigung des Gläubigers ab, §§ 414, 415 Abs. 1 BGB. Eine solche Genehmigung wurde jedoch nicht hinreichend dargelegt. Auch scheint es eher unwahrscheinlich, dass ein Gläubiger freiwillig auf einen Schuldner verzichten würde. Zudem konnten die Gesellschafter die GbR auch nur gemeinschaftlich vertreten (s.o.) Ein rechtsgeschäftlich wirksames Handeln der Gesellschaft nach außen hätte ein Zusammenwirken der Gesellschafter erfordert, welches jedoch nicht vorlag.

 

Praxishinweis | OLG Saarbrücken 4 U 25/22

Die Prozessführungsbefugnis ist eine Prozessvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist. Ein Kläger ist prozessführungsbefugt, wenn er berechtigt ist, über das behauptete Recht einen Prozess als Partei im eigenen Namen zu führen. Grundsätzlich ist hierzu nur der Inhaber des Rechts befugt. Wer ein Recht einklagt, das nicht ihm selbst zusteht, muss seine Befugnis zur Führung des Prozesses dartun und notfalls beweisen. Das OLG Saarbrücken hat vorliegend eine gesetzliche Prozessstandschaft gem. § 744 Abs. 2 BGB analog bejaht, wenn dringender Handelsbedarf aufgrund einer Gefahr für die Gesellschaft oder ihr Vermögen besteht.