KG 2 AktG 1/23
Gerichtliche Freigabe der Handelsregistereintragung bei angefochtenem Hauptversammlungsbeschluss

12.04.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

KG
16.10.2023
2 AktG 1/23
ZIP 2023, 2360

Leitsatz | KG 2 AktG 1/23

  1. Die Durchführung eines Squeeze-out (§§ 327a ff. AktG) kann bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nur in eklatanten Fallgestaltungen als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. Dies kommt etwa in Betracht, wenn deutliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der gesetzgeberische Zweck entfremdet und stattdessen ein anderweit aufgestelltes Verbot unterlaufen wird oder die beabsichtigte Maßnahme in ihrer Benachteiligung der Minderheit über das vom Gesetz vorgesehene Maß deutlich hinausgeht, wobei an den von den Minderheitsaktionären zu führenden Nachweis einer Zweckentfremdung hohe Anforderungen zu stellen sind.
  2.  Aktionäre, die die gerichtliche Bestellung eines Sonderprüfers begehren (§ 142 II AktG), müssen ihren Aktienbesitz bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung über die Sonderprüfung halten. Erfolgt ein sie betreffender Squeeze-out vor diesem Zeitpunkt, wird der Antrag unzulässig.
  3. Wird durch einen Squeeze-out einem noch nicht rechtskräftig beschiedenen Antrag auf Sonderprüfung auf diesem Wege der Boden entzogen, kann dies den Squeeze-out rechtsmissbräuchlich machen, wenn konkreter tatsächlicher Anhalt dafür besteht, dass die Hauptaktionärin den Squeeze-out mit dem Ziel des Unterlaufens der Sonderprüfung betreibt.
  4. Die Beschlussfassung über den Squeeze-out erfordert unter anderem die Auslegung der festgestellten Jahresabschlüsse, nicht aber eines Jahresabschlusses, der lediglich vom Vorstand aufgestellt, jedoch bislang weder geprüft noch vom Aufsichtsrat gebilligt wurde.
  5. Die Nichtabgabe eines Prüfungsurteils durch den Abschlussprüfer (§ 322 II 1 Nr. 4, V HGB) ermöglicht – anders als der Abbruch der Prüfung – eine formal ordnungsgemäße Beendigung der Prüfung und erlaubt damit auch die Feststellung des Jahresabschlusses.

 

Sachverhalt | KG 2 AktG 1/23

Die Antragstellerin – eine börsennotierte Aktiengesellschaft mit Sitz in Berlin – nimmt die Antragsgegnerin in einem aktienrechtlichen Freigabeverfahren in Anspruch. Das Grundkapital der Ast. ist in insgesamt 109.416.860 Stückaktien zu je 1 EUR eingeteilt. Das Grundkapital der Ast. besteht aus 109.416.860 Stückaktien zu je 1 EUR. Am 22.03.2023 veröffentlichte sie eine Einladung zur außerordentlichen Hauptversammlung am 28.4.2023. Die Tagesordnung umfasst die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die Hauptaktionärin A S A gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung gemäß §§ 327a ff. AktG.

Die Hauptversammlung fand am 28.4.2023 statt, bei der der Übertragungsbeschluss mit der erforderlichen Mehrheit zustande kam. Aktionäre haben gegen diese Beschlussfassung Beschlussmängelklagen erhoben und dabei unter anderem eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme des Squeeze-out-Verfahrens beanstandet. Die Antragsgegnerin hat nach §§ 327e II, 319 VI AktG die Freigabe des streitgegenständlichen Übertragungsbeschlusses beantragt.

Entscheidung | KG 2 AktG 1/23

Das Kammergericht entschied zugunsten der Antragstellerin. Es stellte fest, dass die anhängigen Klagen der Antragsgegner der Eintragung des Squeeze-out-Beschlusses nicht entgegenstehen.

Das Freigabebegehren ist auch gegenüber sämtlichen Antragsgegnern nach §§ 327e II, 319 VI 3 Nr. 3 AktG begründet. Nach diesen Vorschriften muss ein Freigabebeschluss erlassen werden, wenn das zügige Wirksamwerden des Hauptversammlungsbeschlusses vorrangig erscheint. Dabei wird eine wirtschaftliche Abwägung vorgenommen, um zu prüfen, ob die vom Antragsteller dargelegten wesentlichen Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre die Nachteile für die Antragsgegner überwiegen. Dies erfolgt anhand von zwei Schritten. Es erfolgt zunächst eine Abwägung des Eintragungsinteresses der Gesellschaft mit den wirtschaftlichen Interessen der Aktionäre. Anschließend wird festgestellt, ob ein Rechtsverstoß vorliegt. Bei Vorrang des Eintragungsinteresses ermittelt das Gericht, ob der Rechtsverstoß so gravierend ist, dass eine Eintragung des Beschlusses nicht hingenommen werden kann. Eine Schwere ist nach dem KG insbesondere dann anzunehmen, wenn der rechtswidrige Zustand nicht durch Schadensersatz angemessen kompensiert werden könnte.

Dies ist der Fall bei einem rechtsmissbräuchlichen Squeeze-Out. Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch durch bewusste Zweckentfremdung liegen vor, wenn Raum für die Annahme besteht, dass die Hauptaktionärin den Squeeze-out mit dem Ziel des Unterlaufens der Sonderprüfung betreibt. Diesen Anforderungen wurde die Antragsgegnerin vorliegend nicht gerecht. Sie konnte keine überwiegenden Nachteile durch den Squeeze Out ausreichend darlegen.

Praxishinweis | KG 2 AktG 1/23

Ein Squeeze Out an sich begründet kein Freigabeverfahren. Es bedarf keiner Rechtfertigung auf Seiten der AG. Die Darlegungslast liegt bei den Aktionären.

Die Anforderungen an den Nachweis schwerer Nachteile sind so streng, dass davon auszugehen ist, sodass die Rspr. in Zweifelsfällen auf die Durchführung des Squeeze Outs pocht.