OLG Düsseldorf 3 Wx 83/23
Gerichtliche Bestimmung eines Versammlungsleiters für einzelne Tagesordnungspunkte

16.02.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Düsseldorf
21.06.2023
3 Wx 83/23
NZG 2023, 991

Leitsatz | OLG Düsseldorf 3 Wx 83/23

  1. Ein Versammlungsleiter kann in entsprechender Anwendung des § 122 III 2 AktG auch ohne den Erlass einer Ermächtigungsanordnung nach § 122 III 1 AktG dann bestimmt werden, wenn belastbare Anhaltspunkte die dringende Annahme nahelegen, dass der satzungsmäßig berufene Versammlungsleiter die Hauptverhandlung nicht dem Gesetz entsprechend, unvoreingenommen und unparteiisch leiten wird.
  2. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit kann es geboten sein, dem gerichtlich bestimmten Versammlungsleiter nur die Durchführung einzelner Tagesordnungspunkte zu übertragen.

 

Sachverhalt | OLG Düsseldorf 3 Wx 83/23

Inhalt der Beschlussfassung einer Hauptversammlung vom 16.07.2015 war die Geltendmachung von Ersatzansprüchen u.a. gegen die Hauptaktionärin der Beteiligten zu 2 und die Bestellung eines speziellen Rechtsanwalts als Besonderen Vertreter gemäß § 147 Abs. 2 S. 1 AktG. Bei einer späteren Abstimmung im Jahr 2017 über die Abberufung des Besonderen Vertreters hatte der damalige Versammlungsleiter die Stimmen der Hauptaktionärin berücksichtigt, obwohl diese nach § 136 Abs. 1 Alt. 3 AktG einem Stimmverbot unterlag. Dies führte zu einer unrechtmäßigen Annahme des Beschlusses. Anfang 2023 klagte der Besondere Vertreter die vorgenannten Ersatzansprüche ein.

In der auf den 22.06.2023 anberaumten Hauptversammlung der Beteiligten zu 2 steht unter TOP 7 die Aufhebung des Hauptversammlungsbeschlusses vom 16.7.2015 über die Geltendmachung der Ersatzansprüche und die Bestellung des Rechtsanwalts als Besonderem Vertreter zur Abstimmung. Darüber hinaus soll der Beschluss gefasst werden, Ersatzansprüche gegen den Besonderen Vertreter geltend zu machen. Die Beteiligte zu 1 befürchtet, dass der Versammlungsleiter – wie schon im Jahr 2017 – die Stimmen der Hauptaktionärin trotz eines Stimmverbots mitzählt und anschließend die anhängige Klage zurückgenommen wird, wodurch Verjährung der reklamierten Ersatzansprüche eintreten würde. Um dies zu vermeiden, begehrt die Beteiligte zu 1 die gerichtliche Bestellung eines neutralen Versammlungsleiters.

Das AG Duisburg hat den Antrag mit der Begründung abgewiesen, § 122 Abs. 3 S. 2 AktG sehe die isolierte Bestellung eines Versammlungsleiters nicht vor.

 

Entscheidung | OLG Düsseldorf 3 Wx 83/23

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Gemäß § 122 Abs. 3 S. 2 AktG kann das Gericht die antragstellenden Aktionäre, deren Verlangen auf Einberufung einer Hauptversammlung nicht entsprochen worden ist, ermächtigen, die Hauptversammlung einzuberufen oder den Gegenstand der Versammlung bekannt machen. Eine isolierte, also von einer Ermächtigung des § 122 Abs. 3 S. 2 AktG losgelöste Bestimmung eines Versammlungsleiters sieht das Gesetz hingegen nicht vor. Allerdings wird eine analoge Anwendung in Fällen befürwortet, in denen Zweifel an der Kooperationsbereitschaft der Gesellschaft nicht auszuschließen sind. Dies ist z.B. der Fall, wenn die AG der Einberufung einer Hauptversammlung nur unter Druck nachkommt. Allerdings muss auch dann eine Analogie möglich sein, wenn zwar dem Verlangen der Aktionäre auf Einberufung einer Hauptversammlung oder Aufnahme bestimmter Tagesordnungspunkte freiwillig entsprochen wird, sich aber aus anderen Umständen konkrete und stichhaltige Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung der Hauptversammlung ergeben. Denn auch dann kann es zur Gewährleistung einer vorschriftsmäßigen Hauptversammlung notwendig sein, gerichtlich einen neutralen Versammlungsleiter zu bestimmen. Eine analoge Anwendung des § 122 Abs. 3 S. 2 AktG ist daher auch dann möglich, wenn belastbare Anhaltspunkte die dringende Annahme nahelegen, dass der satzungsmäßig berufene Versammlungsleiter die Hauptverhandlung nicht dem Gesetz entsprechend durchführt.

Dies wurde vorliegend hinreichend dargelegt. Zweifel an der Bereitschaft des Versammlungsleiters, eine ordnungsgemäße und unparteiische Versammlung durchzuführen, ergeben sich aus dessen Führung der Hauptversammlung vom 21.07.2017. In dieser zählte er die Stimmen der Hauptaktionärin, trotz eines eindeutigen Stimmverbots. Da die anstehende Versammlung dasselbe Thema wie die Versammlung vom 21.07.2017 betrifft, ist anzunehmen, dass eine erneute falsche Abzählung möglich ist. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die eine Wiederholungsgefahr beseitigen würden. Zudem folgt zusätzliches Misstrauen gegen die Beteiligte zu 2 und ihren Versammlungsleiter aus der Tatsache, dass in der bevorstehenden Hauptversammlung nicht nur über die Abberufung des Besonderen Vertreters entschieden wird, sondern auch der Beschluss gefasst werden soll, die eingeklagten Ersatzansprüche gegen die Hauptaktionäre fallen zu lassen. Eine nachvollziehbare Begründung hierfür wird nicht vorgebracht.

Praxishinweis | OLG Düsseldorf 3 Wx 83/23

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf verdeutlicht, dass eine analoge Anwendung des § 122 Abs. 3 S. 2 AktG möglich ist, um isoliert einen neutralen Versammlungsleiter für eine Hauptversammlung zu bestimmen. Dies gilt insbesondere, wenn belastbare Anhaltspunkte darauf hinweisen, dass der satzungsmäßig berufene Versammlungsleiter die Hauptverhandlung nicht dem Gesetz entsprechend, unvoreingenommen und unparteiisch leiten wird. In einem solchen Fall ist es daher ratsam, die Bestellung eines neutralen Versammlungsleiters zu beantragen, um die Integrität und Rechtmäßigkeit der Hauptversammlung zu gewährleisten.