OLG Hamm 8 U 29/22
Fristlose Kündigung bei einer stillen Gesellschaft wegen Verweigerung des Informationsrechts

18.09.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Hamm
01.02.2023
8 U 29/22
ZIP 2023, 1364

Leitsatz | OLG Hamm 8 U 29/22

  1. Der Gesellschaftsvertrag einer stillen Gesellschaft kann zur Kündigung der Gesellschaft berechtigende wichtige Gründe festlegen, die eine gegenüber § 723 Abs. 1 S. 3 BGB erleichterte Kündigung ermöglichen.
  2. Das Abmahnerfordernis nach § 314 Abs. 2 BGB gilt nicht für das gesetzliche Kündigungsrecht aus § 723 Abs. 1 S. 3 BGB, das insoweit lex specialis ist. Gleichwohl kann nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (ultima-ratio-Gedanke) eine Abmahnung erforderlich sein, wenn etwa eine weniger schwerwiegende oder erstmalige Pflichtverletzung vorliegt. Insoweit kann im Rahmen der Abwägung, ob die Kündigung zuvor anzudrohen ist, auch berücksichtigt werden, dass die Parteien die Anforderungen an den wichtigen Grund gegenüber der gesetzlichen Regelung herabgesetzt haben.
  3. Die Kündigung einer stillen Gesellschaft kann auf die Verweigerung des vertraglich vereinbarten Informationsrechts des stillen Gesellschafters gestützt werden.
  4. Zur Auslegung einer vertraglichen Klausel über Informations- und Kontrollrechte des stillen Gesellschafters.

 

Sachverhalt | OLG Hamm 8 U 29/22

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund einer zwischen ihnen vereinbarten stillen Gesellschaft. Der Beklagte ist Unternehmensberater, die Klägerin eine GmbH. Die Parteien schlossen eine Vereinbarung über eine stille Gesellschaft. Im Vertrag über die stille Gesellschaft wurde die folgende Klausel zur Kündigung aufgenommen:

§ 12 Kündigung der Gesellschaft
1. Die ordentliche Kündigung des Gesellschaftsverhältnisses wird bis zum 31.03.2023 ausgeschlossen.
2. Sowohl die Inhaberin wie auch der stille Gesellschafter können vor dem nach Abs. 1 genannten Termin die Beteiligung mit einer Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Ende eines Geschäftsjahres kündigen, wenn der Beratervertrag mit dem stillen Gesellschafter beendet wird.
3. Die fristlose Kündigung aus wichtigem Grund bleibt beiden Seiten vorbehalten. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn
a) ein Gesellschafter gegen seine Pflichten aus diesem Vertrag oder seine gesellschaftsrechtliche Treuepflicht verstößt; (…)

Zudem vereinbarten die Parteien Informations- und Kontrollrechte des stillen Gesellschafters, die in folgender Klausel festgehalten wurden:

§ 9 Informations- und Kontrollrechte des stillen Gesellschafters
1. Über § HGB § 233 HGB hinaus stehen dem stillen Gesellschafter Informations- und Kontrollrechte gemäß § 716 BGB zu und zwar auch nach Beendigung der Gesellschaft in dem zur Überprüfung des Auseinandersetzungsguthabens erforderlichen Umfang. (…)

Zudem wurde der Beklagte mit Abschluss eines Beratervertrags als freier Berater für die GmbH tätig. Zunächst wurden dem Beklagten umfassende Informationsrechte gewährt. Im Juni 2020 kündigte der Beklagte den Beratervertrag fristlos, da er im selben Tätigkeitsfeld eine eigene Gesellschaft gegründet hatte. Die GmbH verweigerte daraufhin dem Beklagten Informations- und Einsichtsrechte. Der Beklagte kündigte aufgrund dessen die stille Gesellschaft fristlos aus wichtigem Grund. Die Klägerin hielt die Kündigung für unwirksam und erhob Klage. Sie beantragte festzustellen, dass der von der Klägerin und dem Beklagten geschlossene Vertrag über eine stille Gesellschaft bestehe. Das Landgericht wies die Klage in erster Instanz ab, woraufhin die Klägerin Berufung einlegte.

 

Entscheidung | OLG Hamm 8 U 29/22

Die zulässige Berufung blieb ohne Erfolg, weil das OLG die erfolgte fristlose Kündigung als wirksam erachtete.

Das OLG stellte eingangs zunächst fest, dass sich die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung nach dem Vertrag über die stille Gesellschaft richte. § 12 des Vertrages über die stille Gesellschaft treffe eine eigenständige Definition des wichtigen Grundes. Diese habe Vorrang vor den gesetzlichen Regelungen der § 234 HGB i.V.m. § 723 I 3 Nr. 1 BGB. § 12 des Vertrags ermöglicht eine fristlose Kündigung bereits bei einem Verstoß gegen Pflichten aus dem Gesellschaftsvertrag. Nicht erforderlich sei hingegen, dass gegen erhebliche Pflichten aus dem Gesellschaftsvertrag verstoßen werde.

Eine solche Erleichterung der Kündigung sei nach § 234 Abs. 1 S. 2 HGB i.V.m. § 723 Abs. 3 BGB zulässig. Aus der Auslegung der Klausel und dem geschlossenen Beratervertrag ergebe sich, dass die Zusammenarbeit der Parteien von einem starken persönlichen Einschlag geprägt gewesen sei. Eine Erleichterung de Kündigungsrechts habe daher der Interessenlage der Parteien bei Abschluss des Vertrages entsprochen.

Es bedurfte zudem keiner vorherigen Abmahnung gemäß § 314 Abs. 2 BGB. Zum einen ist § 723 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 BGB lex specialis gegenüber § 314 Abs. 2 BGB. Zum anderen haben die Parteien die Kündigungsmöglichkeit gegenüber den gesetzlichen Regelungen bewusst erleichtert. Es erscheint daher nicht zumutbar, den Parteien die erleichterte Kündigungsmöglichkeit über ein Abmahnungserfordernis wieder zu erschweren. Daher ergibt sich ein Abmahnungserfordernis hier auch nicht aus § 723 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 BGB. Auch die gesetzliche Regelung sieht grundsätzlich eine Abmahnung bei weniger schwerwiegenden und erstmaligen Pflichtverstößen vor. Es findet vielmehr Berücksichtigung im Rahmen der Abwägung. Im Einzelfall kann eine Abmahnung als ultima ratio im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich sein.

Ein Pflichtverstoß ergab sich hier aus der Verletzung der Informationsrechte durch die Beklagte. Die Auslegung des – nicht ganz eindeutigen - § 9 des Vertrags über die Stille Gesellschaft nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck sprach hier für ein Informationsrecht des Beklagten. Indem die Klägerin das Informationsrecht wiederholt und beharrlich verweigerte, sah das Gericht einen Pflichtverstoß als erwiesen an. Sofern die Klägerin das gesamte Informationsrecht verweigerte, konnte sie sich auch nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB berufen. Nach § 242 BGB darf das Informationsrecht nur hinsichtlich erheblicher Umstände im Wettbewerb zwischen den Parteien verweigert werden.

Auch die durch das Gericht vorgenommene Abwägung ging zu Ungunsten der Klägerin aus. Die verletzte Pflicht sei von einigem Gewicht. Das Informationspflicht findet zwar in § 233 Abs. 2 HGB keine gesetzliche Grundlage. Es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass ein stiller Gesellschafter ein besonderes Interesse an der Gewährung der Informationsrechte des § 716 Abs. 3 BGB hat. Diesen Umstand haben die Parteien beim Abschluss des Gesellschaftsvertrags auch Rechnung getragen. Die Klägerin hat das Informationsrecht über einen längeren Zeitraum hartnäckig verweigert. Es sie auch nicht erforderlich, dass der Beklagte die Kündigung vorab androhe. Dies ergebe sich weder aus allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen, § 314 Abs. 2 BGB noch den Vorschriften über den Verzug. Das Abmahnerfordernis sei nur in § 626 BGB anerkannt, der für Dienstverträge gerade keine Geltung entfalte. Auch waren beide Vertragspartner im Geschäftsbereich erfahren und daher nicht schutzbedürftig. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass die Parteien die Anforderungen gegenüber den gesetzlichen Regelungen herabgesetzt hätten.

 

Praxishinweis | OLG Hamm 8 U 29/22

Über die Stille Gesellschaft hinaus, nimmt der BGH allgemein Stellung zur Wirksamkeit von Kündigungsklauseln in Gesellschaftsverträgen und den Anforderungen an eine fristlose Kündigung. Er legt die Auslegung einer Klausel über Informationsrechte fast schon lehrbuchmäßig dar. Gerade im Hinblick auf diese allgemeinen Grundsätze eine äußerst lesenswerte Entscheidung!