LG Kassel 6 O 542/22
Erbunwürdigkeit durch Straftat gegenüber der Allgemeinheit

16.10.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

LG Kassel
03.08.2022
6 O 542/22
ZErb 2023, 152

Leitsatz | LG Kassel 6 O 542/22

Der Versuch eines Erben, durch Beantragung eines Alleinerbscheins eine mittelbare Fälschung des letzten Willens des Erblassers zu begehen, macht ihn gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB in Verbindung mit § 271 StGB erbunwürdig; dass die Tat im Versuchsstadium stecken geblieben ist, führt nicht zum Wegfall der Erbunwürdigkeit.

Sachverhalt | LG Kassel 6 O 542/22

Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin die Erbunwürdigkeit ihrer Schwester, der Beklagten, nach dem Tod ihrer Mutter geltend. Die Mutter verstarb am 25. November 2021 und hinterließ ein gemeinschaftliches privatschriftliches Testament, in dem sich die Eltern gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Die Kinder sollten ihre Vermächtnisansprüche erst nach dem Tod beider Eltern geltend machen können. Die Beklagte übergab dem Nachlassgericht ein weiteres, von ihr selbst verfasstes Testament, in dem sie sich als Alleinerbin einsetzte, während ihre Geschwister enterbt wurden. Beide Testamente wurden vom Gericht eröffnet und den Kindern zur Kenntnis gebracht. Die Beklagte beantragte daraufhin die Erteilung eines Alleinerbscheins und behauptete, das von ihr errichtete Testament sei von der Mutter eigenhändig unterschrieben worden. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte möglicherweise eine mittelbare Falschbeurkundung nach § 271 StGB versucht habe und daher erbunwürdig im Sinne des § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB sei. Die Beklagte bestreitet die Vorwürfe und behauptet, die Mutter habe das ursprüngliche Testament ändern und ein neues Testament errichten wollen. Die Mutter habe die Beklagte gebeten, das Testament vorzuschreiben, da sie selbst Schwierigkeiten beim Sitzen gehabt habe. Die Beklagte habe der Mutter einen Entwurf ausgehändigt und darauf hingewiesen, dass die Mutter ihn noch abschreiben müsse. Vor dem Tod der Mutter habe die Beklagte jedoch keine Gelegenheit gehabt, das Testament zu übergeben. Erst nach dem Tod habe sie den Umschlag mit dem Testament dem Nachlassgericht übergeben.

Entscheidung | LG Kassel 6 O 542/22

Die Klage ist zulässig und begründet, da die Beklagte erbunwürdig im Hinblick auf den Nachlass der Erblasserin ist. Nach § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB ist erbunwürdig, wer in Bezug auf den letzten Willen des Erblassers eine Straftat nach den §§ 267, 271 bis 274 StGB begangen hat. Im vorliegenden Fall kann offenbleiben, ob sich die Beklagte der Urkundenfälschung schuldig gemacht hat, da sie zumindest den Versuch einer mittelbaren Falschbeurkundung im Sinne des § 271 StGB unternommen hat, indem sie einen Alleinerbschein beantragt hat. Die Beklagte selbst hat in ihrem Schriftsatz ausgeführt, dass sie das Testament vom 10. Juli 2021 nach dem Willen der Erblasserin eigenhändig geschrieben habe. Sie habe die Erblasserin ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie den Text eigenhändig abschreiben solle. Die Beklagte wusste daher, dass ein handschriftliches Testament eigenhändig geschrieben und unterschrieben sein muss, um wirksam zu sein. Sie wusste auch, dass die Erblasserin das Testament nicht eigenhändig abgeschrieben hatte, da es vom Nachlassgericht eröffnet und den Kindern der Erblasserin zur Kenntnis gebracht worden war. Dennoch stellte die Beklagte einen Erbscheinsantrag, um sich als Alleinerbin ausweisen zu lassen. Dieses Verhalten erfüllt den Straftatbestand des § 271 StGB in Bezug auf den letzten Willen der Erblasserin. Dass es bei der Beklagten beim Versuch der Straftat geblieben sei, führe nicht zum Wegfall der Erbunwürdigkeit. Die Beklagte argumentiert, dass historische Änderungen des Strafgesetzbuches in Bezug auf Urkundendelikte zu einem anderen Ergebnis führen müssten. Diese Argumentation überzeugt jedoch nicht, da eine Anpassung des § 2339 BGB nach der Erweiterung des StGB nicht erforderlich war. Aus diesen Gründen war die Klage erfolgreich.

Praxishinweis | LG Kassel 6 O 542/22

Soweit ein Beteiligter als erbunwürdig erscheint, ist sorgfältig zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 2339 BGB vorliegen. Insbesondere wenn Straftaten im Zusammenhang mit dem letzten Willen des Erblassers begangen wurden, wie z.B. Urkundsdelikte nach §§ 267, 271-274 StGB, ist eine Erbunwürdigkeit in Betracht zu ziehen. Auch wenn die Straftat im Versuchsstadium stecken geblieben ist, kann dies nicht automatisch zum Wegfall der Erbunwürdigkeit führen. Auch ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der historischen Entwicklung des StGB im Bereich der Urkundsdelikte eine Anpassung des § 2339 BGB nicht erforderlich ist.