OLG Bamberg 2 U 38/22
Drittschützende Wirkung eines Sanierungsgutachtens

01.04.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Bamberg
31.07.2023
2 U 38/22
DStR 2023, 2018

Leitsatz | OLG Bamberg 2 U 38/22

  1. Im Rahmen einer Sanierungsbegutachtung nach IDW S 6 gehört es zu den Kernanforderungen an den Gutachter, in einer Form auf eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinzuweisen, die geeignet ist, die verantwortlichen Personen zur Einleitung der insolvenzrechtlich erforderlichen (Eil-)Maßnahmen anzuhalten.
  2. Ein Verweis des Gutachters auf die Nichterbringung von Rechts- und Steuerberaterleistungen, weil der beauftragte Gutachter weder Rechtsanwalt noch Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer ist, befreit diesen nicht von den zur Erfüllung der Pflichten nach IDW S 6 zu treffenden Feststellungen zur Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung.
  3. Der Geschäftsführer kommt aufgrund § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. mit der Frage der Insolvenzreife der GmbH in gleicher Weise in Berührung wie die GmbH als Auftraggeber selbst, weshalb der Begutachtungsvertrag nach IDW S 6 Schutzwirkung zugunsten des Geschäftsführers entfaltet.
  4. Ein Sanierungsberater mit spezifischen Fachkenntnissen nimmt bei umfassender Beauftragung nach IDW S 6 ein besonderes Vertrauen in Anspruch, wie es wirtschaftsprüfenden Professionen mit besonderem gesetzlich geregelten Haftungsregime entgegengebracht wird. Eine klauselmäßige Beschränkung dessen Haftung für eine Verletzung der zentralen Hauptpflichten auf grobe Fahrlässigkeit neben einer höhenmäßigen Beschränkung benachteiligt den Auftraggeber unbillig und ist wegen Verstoßes gegen die Grundsätze von Treu und Glauben gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB unwirksam.

 

Sachverhalt | OLG Bamberg 2 U 38/22

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der B-GmbH, die wiederum zu der X-Firmengruppe gehört. Geschäftsführer der B war H. Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der D GmbH, die Unternehmen in Krisensituationen beriet.

X befand sich Anfang 2013 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, weshalb eine externe Begutachtung über die wirtschaftlichen Fortführungsmöglichkeiten der X erfolgen sollte. Hierzu legte die D zunächst eine „Projektskizze“ vor betreffend die Erstellung eines Sanierungsgutachtens in Anlehnung an den IDW S 6. In der Folge erteilte B der D den entsprechenden Auftrag nach der Projektskizze. Ende Juli 2013 wurde eine abschließende Fortführungsprognose für die X vorgelegt, in welcher D zu dem Ergebnis kam, eine drohende Zahlungsunfähigkeit aufgrund einer Liquiditätslücke von 1,3 Mio. EUR könne durch Sanierungsbeiträge der wirtschaftlich an der X Beteiligten verhindert werden. In Verbindung mit weiteren Umstrukturierungsmaßnahmen kam D zu dem Schluss, eine positive Fortführungsprognose könne für die X gestellt werden.

Am 16.04.2014 wurde auf Antrag der B das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Geschäftsführer trat alle seine Ansprüche gegen die D an den Kläger ab. Dieser vertrat wiederum die Ansicht, dem Geschäftsführer stehe ein Anspruch auf Haftungsfreistellung gegen die D aus dem Sanierungsberatungsvertrag vom 06.05.2013 zu, da der Vertrag zu Gunsten des Geschäftsführers Schutzwirkung entfalte.

 

Entscheidung | OLG Bamberg 2 U 38/22

Zunächst haben B und D einen Sanierungsberatungsvertrag abgeschlossen, der das vollständige Leistungsspektrum nach dem Standard IDW S 6 umfasst. Nach dem Prüfungsumfang des IDW S 6 muss auch die Ausschließung der Insolvenzreife bis zur Gutachtensfertigstellung umfasst sein. Dabei ist zwischen drohender und bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit zu unterscheiden. D musste daher auf die eingetretene Zahlungsunfähigkeit in einer Weise hinweisen, die die verantwortlichen Personen zur Einleitung der erforderlichen Insolvenzmaßnahmen veranlassen würde. Zudem beinhaltete das abschließende Gutachten eine Fortführungsprognose gemäß IDW S 6. Der BGH hat betont, dass Fehler oder fehlende Feststellungen in dieser Prognose zu Haftungsansprüchen führen können. Einer Heranziehung der Regelungen des IDW S 6 Standards steht vorliegend der Vorrang konkreter vertraglicher Bestimmungen nicht entgegen.

Eine Pflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 BGB der D ist gegeben, da sie nicht in der vereinbarten Weise auf die bestehende Zahlungsunfähigkeit von B hingewiesen hat. Das vorgelegte Gutachten enthielt vielmehr eine positive Prognose für den Fortbestand und die Fortführung von B, was im Widerspruch zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens stand. Nach den festgestellten Tatsachen befand sich B aber bereits im Juli 2013 in Zahlungsunfähigkeit. Der Kläger hat seine Darlegungslast dazu unter Beweisantritt erfüllt.

Der Sanierungsvertrag zwischen B und D entfaltet Schutzwirkung zugunsten des Geschäftsführers von B. Gemäß dem Standard IDW S 6 ist die Feststellung der Insolvenzreife Hauptaufgabe, von welcher der Geschäftsführer aufgrund von § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. genauso betroffen ist wie B. Denn aufgrund von masseschmälernder Leistungen bestehen gegen den Geschäftsführer Ansprüche nach § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. Die drohende Inanspruchnahme des Geschäftsführers führte zunächst zu einem Freistellungsanspruch gegen D, der sich durch die Abtretung an den Kläger in einen Zahlungsanspruch umwandelte. Die Pflichtverletzung von D durch den unterlassenen Hinweis auf die Zahlungsunfähigkeit war kausal für den entstandenen Schaden, da der Geschäftsführer glaubhaft versicherte, bei rechtzeitigem Hinweis sofort die Insolvenz angemeldet zu haben.

Der Anspruch des Klägers ist jedoch aufgrund von Mitverschuldens des Geschäftsführers um 50 % zu kürzen. Diesbezüglich ist die Berufung zurückzuweisen. Ein GmbH Geschäftsführer ist verpflichtet, die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft ständig zu überprüfen, insbesondere die Insolvenzreife. Allerdings kann ein Berater, der seine Pflicht zur korrekten Auskunft verletzt hat, normalerweise nicht geltend machen, dass der Geschädigte mitverschuldet ist, weil er der Auskunft vertraut hat. Dies gilt auch hier zunächst. Allerdings kann der Einwand des Mitverschuldens geltend gemacht werden, da B seit dem 01.11.2009 ununterbrochen zahlungsunfähig war, ohne dass erkennbare Maßnahmen seitens ihrer gesetzlichen Vertreter zur Klärung der finanziellen Situation und erforderlicher insolvenzrechtlicher Schritte ergriffen wurden.

Schließlich ist eine Haftungsbeschränkung der D gemäß der Projektskizze nach § 307 BGB unwirksam, da Haftungsausschlüsse für Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer gesetzlich ausgeschlossen sind. D ist eine etablierte Beratungsgesellschaft mit einer ständigen Geschäftsbeziehung zur Gläubigerin V. Die Gutachtenerstellung erfolgte durch mehrere Mitarbeiter mit spezifischen Fachkenntnissen. Daher ist es angemessen, das Haftungsregime an die gesetzlichen Vorschriften für Wirtschaftsprüfer anzupassen. Eine Freizeichnung würde die Auftraggeberin jedenfalls in Bezug auf verletzte vertragliche Hauptpflichten unbillig benachteiligen, was den Grundsätzen von Treu und Glauben widerspricht.

Praxishinweis | OLG Bamberg 2 U 38/22

Das Oberlandesgericht Bamberg stellt durch das vorliegende Urteil im Wesentlichen fest, dass der Gutachter im Rahmen einer Sanierungsbegutachtung nach IDW S6 – Standard verpflichtet ist, auf eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit in einer Form hinzuweisen, welche geeignet ist den verantwortlichen Personen zur Einleitung der insolvenzrechtlich erforderlichen Maßnahmen anzuhalten. Zudem wird klargestellt, dass der Begutachtungsvertrag nach IDW S6 Standard auch Schutzwirkung zugunsten des Geschäftsführers einer GmbH entfaltet , da dieser mit der Frage der Insolvenzreife der GmbH in gleicher Weise in Berührung kommt wie die GmbH als Auftraggeber selbst.