BGH V ZR 174/21
Der sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz – Die Anforderungen an die Übereignung einer Sachgesamtheit

17.07.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
16.12.2022
V ZR 174/21
NZG 2023, 374

Leitsatz | BGH V ZR 174/21

  1. Soll eine Gesamtheit von Gegenständen, die nicht räumlich zusammengefasst sind, unter Verwendung eines Gattungsbegriffs übereignet werden, ist der sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz nur dann gewahrt, wenn sich die Vertragsparteien bewusst und erkennbar über Merkmale einigen, aufgrund deren die übereigneten Gegenstände der Gattung individualisierbar sind (Abgrenzung zu BGH NJW 1994, 133).
  2. Eine Einigung, nach der nur diejenigen Gegenstände einer bestimmten Gattung übereignet werden sollen, die der Veräußerer nicht näher bezeichneten Dritten überlassen hat, genügt für sich genommen den Anforderungen an den sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz nicht (hier: Flüssiggastanks, die nicht näher bezeichneten Kunden überlassen worden sind).

Sachverhalt | BGH V ZR 174/21

Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin der V GmbH, welche 2005 u.a. von der O GmbH gegründet worden war. Im September 2005 verkaufte die O GmbH der V GmbH Sachanlagevermögen, zu dem laut Kaufvertrag auch Flüssiggastanks gehörten. Flüssiggastanks, die an Endkunden vermietet waren, sollten durch Abtretung des Herausgabeanspruchs übertragen werden. Außerdem verpachtete die O GmbH ihren Kundenstamm an die V GmbH. Dieser war in einem Anhang aufgelistet und enthielt auch den Namen des R. R hatte 1999 mit der O GmbH einen Versorgungsvertrag unter Vereinbarung eines Fremdbefüllungsverbots geschlossen. Der dafür gelieferte Flüssiggastank sollte im Eigentum der O GmbH bleiben. Im Mai 2016 und Juni 2017 hatte die Beklagte den Tank befüllt.

Daraufhin verklagt die Klägerin den Beklagten auf Unterlassung der Befüllung ihrer Tanks ohne ihr Einverständnis und verlangt Abmahnkosten nebst Zinsen. Das LG hat der Klage stattgegeben.

 

Entscheidung | BGH V ZR 174/21

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Urteil wird aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Zunächst ist festzustellen, dass die Befüllung eines im fremden Eigentum stehenden Tanks während der Vertragslaufzeit und ohne Einwilligung des Eigentümers eine Eigentumsbeeinträchtigung i.S.d. § 1004 I BGB darstellt. Eine solche Befüllung begründet eine Wiederholungsgefahr und muss von dem Eigentümer des Tanks nicht geduldet werden, § 1004 II BGB.

Ursprünglich war die O GmbH Eigentümerin der Flüssiggastanks. Da der Einbau in Rs Grundstück nur zu einem vorübergehenden Zweck erfolgte, lag kein Eigentumsübergang an ihn vor, § 95 I S. 1 BGB. Nach Ansicht des BGH lag aber auch kein Eigentumsübergang an die V GmbH vor. Der Kaufvertrag von September 2005 enthält zwar eine Einigung dahingehend, dass alle von der O GmbH an ihre Kunden vermieteten Flüssiggastanks an die V GmbH übereignet werden sollten. Vertragsziel war es dabei, die gesamte Flüssiggassparte an die V GmbH zu übertragen. Zu beachten ist jedoch, dass eine Einigung i.S.d. § 929 S. 1 BGB nur wirksam ist, wenn sie sich auf eine individuell bestimmbare Sache bezieht. Bei einer Sachgesamtheit ist der Bestimmtheitsgrundsatz gewahrt, wenn offensichtlich ist, welche Gegenstände der Gesamtheit der Einigung unterfallen. Die Gegenstände müssen dabei nicht einzeln beschrieben werden, es reicht, wenn durch äußere Abgrenzungskriterien für Außenstehende ersichtlich ist, welche individuellen Sachen gemeint sind. Daher kann eine Sachgesamtheit auch durch eine Sammelbezeichnung erfasst werden, nach der alle zu übereignenden Gegenstände ein bestimmtes Merkmal erfüllen. Hingegen genügt ein rechtliches Abgrenzungsmerkmal nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz, wenn ein Dritter ohne außervertragliche Erkenntnisse nicht erkennen kann, welche Gegenstände übereignet werden sollen. Auch Formeln, die die betroffenen Gegenstände nur durch außervertragliche Erkenntnisse erkennen lassen, genügen nicht. Ist eine eindeutige Feststellung aus diesen Gründen nicht möglich, bedarf es einer räumlichen Abgrenzung.

Demzufolge genügt die Sammelbezeichnung „alle an von der O GmbH an ihre Kunden überlassene Flüssiggastanks“ dem Bestimmtheitsgebot nicht. Zwar hat der BGH in seinem Urteil II ZR 156/92 entschieden, dass eine Einigungserklärung, nach der alle Gegenstände einer näher bezeichneten Gattung zur Sicherheit übereignet werden sollen, dem Bestimmtheitsgebot auch genügt, wenn die Sachen nicht räumlich abgegrenzt sind. Dies galt jedoch nicht allgemein, sondern nur für Container einer genau bestimmten Größe. Die Größe war dabei ein hinreichend bestimmtes Merkmal. Somit entspricht ein Gattungsbegriff nicht stets dem Bestimmtheitsgebot, sondern im konkreten Fall nur, wenn für jeden ersichtlich ist, welche Gegenstände erfasst sind. Vorliegend ist eine Individualisierung der zu übereignenden Gegenstände durch bewusste und erkennbare Merkmale nicht erfolgt. Die Überlassung der Gattung Flüssiggastanks an Kunden der O GmbH ist kein bestimmtes Merkmal, durch welches die zu übereignende Menge der Flüssiggastanks qualitativ beschrieben wird. Denn weder ist für einen Dritten ersichtlich, ob die Besitzer der Tanks Kunden der O GmbH sind, noch ob die Tanks von der O GmbH überlassen wurden. Da auch keine räumliche Abgrenzung erfolgte, ist der Bestimmtheitsgrundsatz nicht gewahrt.

Das Berufungsurteil ist auch nicht aus anderen Gründen richtig. Zwar trägt Rs Tank einen Aufkleber, der ihn der O GmbH zuordnet. Dies ist aber irrelevant, da die Einigung im Vertrag sich nicht auf Tanks mit Aufklebern bezog. Auch ist nicht ausreichend, dass dem Vertrag eine Kundenliste beigelegt wurde, die R als Kunden auswies. Zwar kann auf ein Verzeichnis Bezug genommen werden, wenn dieses bei der Einigung vorgelegen hat und Bestandteil des Vertrags geworden ist. Im vorliegenden Fall wurde dies aber gerade nicht festgestellt. Somit steht weder fest, ob ein Unterlassungsanspruch besteht, noch ob die Klägerin Abmahnkosten verlangen kann.

 

Praxishinweis | BGH V ZR 174/21

Auch in dem vorliegenden Urteil erachtet der BGH die räumliche Abgrenzung einer Gattung nicht als zwingend erforderlich. Während er in seinem Urteil vom 04.10.1993 (II ZR 156/92) noch festlegte, dass eine Einigungserklärung, die sich auf alle Gegenstände einer näher bezeichneten Gattung bezog, dem Bestimmtheitsgebot auch bei fehlender räumlicher Abgrenzung genüge, konkretisiert er dies vorliegend weiter. Der entscheidende Unterschied läge darin, dass in dem früheren Urteil zusätzlich ein Merkmal (die Containergröße) verwendet wurde, welches eine hinreichende Konkretisierung möglich gemacht hat. Entscheidend ist daher, ob im konkreten Fall für jeden ersichtlich ist, welche Gegenstände gemeint sind. Damit bleibt auch in Zukunft eine gewisse Unsicherheit, welche Eigenschaften einer Sachgesamtheit ausreichend für die Wahrung des Bestimmtheitsgrundsatzes sind. Sollte die rechtssichere Identifizierung durch eine räumliche Abgrenzung nicht möglich sein, muss sehr genau betrachtet werden, ob die zu übertragenden Gegenstände auch von Dritten hinreichend bestimmt werden können. Auch ist die Bezugnahme auf ein Verzeichnis möglich. Dieses muss aber Bestandteil der Einigung sein.