OVG NW 15 A 2689/20
Der Gemeinderat als Berichtsadressat i.S.d. §§ 394 f. AktG

22.09.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OVG NW
12.12.2022
15 A 2689/20
AG 2023, R76

Leitsatz | OVG NW 15 A 2689/20

  1. Der Gemeinderat ist tauglichen Berichtsempfänger i. S. d. § 394 AktG, da es kommunale Praxis ist, dass sich Gemeinde- und Stadträte mit der Verwaltung von Unternehmensbeteiligungen befassen.
  2. Eine Schwächung des Vertraulichkeitsschutzes durch die Beteiligung des Gemeinderates muss im Interesse einer effektiven Kontrolle hingenommen werden.

Sachverhalt | OVG NW 15 A 2689/20

Die Stadt ist mittelbar beherrschender Aktionär einer Aktiengesellschaft. Diese hat im Sommer 2018 Anteile an einer GmbH erworben. Dem Beteiligungserwerb stimmte der Aufsichtsrat zu, jedoch ohne nach § 108 Abs. 6 S. 1 a GO NRW die Entscheidung des Rates der Stadt einzuholen. Ein Jahr später teilte der Vorstand der Aktiengesellschaft mit, dass sich die Gesellschaft von ihrer Beteiligung an der GmbH trennen werde. Daraufhin forderten mehrere Fraktionen Einsicht zugunsten einzelner Ratsmitglieder in verschiedene Dokumente unter Rückgriff auf § 55 Abs. 4 S. 1 Var. 3 GO NRW. Der Oberbürgermeister kam dieser Forderung mit Verweis auf die gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflicht nicht nach.

Entscheidung | OVG NW 15 A 2689/20

§ 116 S. 2 AktG gilt im Ausgangspunkt unstreitig auch für Vertreter von Gebietskörperschaften in Aufsichtsräten von Aktiengesellschaften. Allerdings stellte sich die Frage, ob die Verschwiegenheitspflicht nach § 394 S. 1 AktG vorliegend suspendiert war. Der Senat führt zunächst aus, dass sich das Akteneinsichtsrecht nach § 55 Abs. 4 S. 1 GO NRW auch auf Unterlagen im Bereich der Beteiligungsverwaltung erstrecke. Allerdings sei das Einsichtsrecht durch gleichrangige Normen einschränkbar oder aufhebbar. Auch die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht nach § 116 S. 2 AktG könne das Einsichtsrecht einschränken und sei auf die geführte Korrespondenz im Vor- und Nachfeld der Aufsichtsratssitzung anwendbar. Aufgrund der Berichtspflicht aus § 113 Abs. 5 S. 1 GO NRW greift jedoch die Sonderregelung des § 394 AktG. Daraus folgt, dass sich der Oberbürgermeister gegenüber den klagenden Fraktionen nicht auf die Verschwiegenheitspflicht berufen kann.

Damit erkennt der Senat den Gemeinderat als tauglichen Berichtsempfänger i.S.d. § 394 AktG an. Es sei kommunale Praxis, dass sich Gemeinde- und Stadträte mit der Verwaltung von Unternehmensbeteiligungen befassen würden. Auch bei der letzten Reform des § 394 AktG habe der Gesetzgeber Vorschriften wie § 113 Abs. 5 S. 1 GO NRW nicht zum Anlass genommen, den Kreis der Adressaten zu begrenzen. Vielmehr wurden die Berichtsmöglichkeiten ausgeweitet. Da Ratsmitglieder rechtlich zur Verschwiegenheit gem. § 395 Abs. 1 AktG i.V.m. § 30 Abs. 1 GO NRW verpflichtet sind, sei auch die Vertraulichkeit gesichert. Im Interesse einer effektiven Kontrolle müsse eine mit der Partizipation des Rates einhergehende Schwächung des Vertraulichkeitsschutzes hingenommen werden.

 

Praxishinweis | OVG NW 15 A 2689/20

Da es zu dem bezeichneten Themenkreis kaum Gerichtsentscheidungen gibt, ist die Bedeutung der vorliegenden Entscheidung hoch. Dem Beklagten bleibt jedoch die Möglichkeit, Revision einzulegen und so vielleicht eine andere Entscheidung zu erreichen.

Insbesondere in der Literatur wird abgelehnt, dass Gemeinderäte Berichtsadressaten i.S.d. § 394 AktG sein können. Hierfür spreche, dass § 394 S. 1 AktG als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die Gewährleistung der Geheimhaltung voraussetze. Folglich könne nur derjenige Adressat sein, der die Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht nach § 395 Abs. 1 AktG gewährleisten kann. Für den Gemeinderat sei dies jedoch nicht der Fall. Zum einen sinke mit zunehmender Größe der eingeweihten Personen der Grad der gewährleisteten Vertraulichkeit. Zum anderen könne davon ausgegangen werden, dass ehrenamtlich tätige Ratsmitglieder im Vergleich zu hauptberuflichen Amtsträgern die Verschwiegenheitspflichten weniger verbindlich ansehen. Schon zum Zeitpunkt der letzten Reform des § 394 AktG habe sich die herrschende Meinung in der Literatur dafür ausgesprochen, den tauglichen Adressatenkreis zu beschränken. Der Gesetzgeber hat sich jedoch davon nicht durch eine Klarstellung im Normtext distanziert. In Betracht kommt allenfalls eine „Empfangsvertretung“ des Rates durch einen Ausschuss. Aus den rechtlichen Grundlagen und der Zusammensetzung müsse jedoch geschlossen werden können, dass der Ausschuss die Informationen auch vertraulich bewerten würde.