OLG München 33 U 5525/21
Keine 10-Jahres-Frist bei einem Wohnungsrecht an einer gesamten Immobilie

07.06.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG München
08.07.2022
33 U 5525/21
MittBayNot 2023, 62

Leitsatz | OLG München 33 U 5525/21

  1. Das dem Erblasser eingeräumte Wohnungsrecht hemmt im vorliegenden Einzelfall den Beginn der Abschmelzungsfrist gemäß § 2325 Abs. 3 BGB, weil es an allen relevanten Räumen des verschenkten Hauses besteht, so dass der Erwerber insoweit keine eigene Nutzungsmöglichkeit hatte (Anschluss an BGH, Urteil vom 29. Juni 2016, IV ZR 474/15, ZEV 2016, 445 = ErbR 2016, 570 = BeckRS 2016, 12488).
  2. In einem solchen Fall sind die Unterschiede zwischen einem vorbehaltenen Nießbrauch und dem tatsächlich vereinbarten Wohnungsrecht so gering, dass die Interessen des Pflichtteilsberechtigten, denen bei der Beurteilung der Frage der Hemmung des Fristenlaufs gemäß § 2325 Abs. BGB besonderes Gewicht zukommt, es rechtfertigen, den Lauf der Frist gemäß § 2325 Abs. 3 BGB als gehemmt anzusehen (Anschluss an BGH, Urteil vom 19. Juli 2011, X ZR 140/10; NJW 2011, 3082 = 19. Juli 2011, X ZR 140/10 (= BeckRS 2011, 21315)).

 

Sachverhalt | OLG München 33 U 5525/21

Zehn Jahre vor seinem Tod übertrug der Erblasser im Wege der Hofübergabe sein Wohnhaus und das dazugehörende Grundstück an seinen Sohn. An allen Räumen des Bauernhausen behielt er sich das Recht zur alleinigen Nutzung und auch bezüglich der sonstigen Gebäude auf dem Grundstück und dem Grundstück selbst behielt er sich Mitbenutzungsrechte vor. Das Bauernhaus bewohnte er auch nach der Übergabe selbst und nutzte es bis zu seinem Tod.

Die Kinder des Erblassers wurden zu gleichen Teilen Miterben. Eines der Kinder machte gegen den Hofübernehmer Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend und bezog dabei das an ihn übertragene Wohnhaus in den Anspruch mit ein. Die Klage wurde wegen Fristablauf § 2325 III 1 BGB vom Landgericht abgewiesen, die dagegen erhobene Berufung ist jedoch erfolgreich.

 

Entscheidung | OLG München 33 U 5525/21

Schenkungen bleiben grundsätzlich bei der Pflichtteilsergänzung unberücksichtigt, wenn zwischen der Schenkung und dem Erbfall mehr als 10 Jahre vergangen sind §§ 2329, 2325 III 2 BGB. Die 10 Jahres Frist beginnt mit dem Eintritt des Leistungserfolgs, was bei der Schenkung eines Grundstücks der Moment der Eintragung/Umschreibung im Grundbuch ist. Ein Nießbrauch an dem Grundstück, der bei der Übergabe vereinbart wird, hemmt den Fristablauf jedoch. Allerdings ist vorliegend zu berücksichtigen, dass nur ein Wohnungsrecht eingeräumt wurde, kein Nießbrauch. Das Wohnungsrecht ist als ein niedrigeres Recht einzustufen als der Nießbrauch, deshalb ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen um dessen Wirkung auf den Fristablauf zu bestimmen. Anhaltspunkte können sein, ob der Übergebende laut der rechtlichen Vereinbarung die Immobilie nach der Übergabe im Wesentlichen weiter nutzt. Der Erblasser hat vorliegend das gesamte Schenkungsobjekt weiter genutzt und damit den Übernehmer von der Eigennutzung der Immobilie ausgeschlossen. Somit hätte der Sohn des Erblassers das Grundstück nicht wirtschaftlich selbst nutzen können und es stand für ihn auch nicht zur Eigennutzung zur Verfügung. Daher ist in diesem Fall das Wohnungsrecht dem Nießbrauchrecht so ähnlich, dass der Fristablauf nach § 2325 III BGB gehemmt sei. Da die Frist also noch nicht begonnen hat zu laufen, ist der Wert des Übergabeobjekts zu berücksichtigen bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs.

Praxishinweis | OLG München 33 U 5525/21

Die Vergleichbarkeit des Wohnungsrechts mit dem Nießbrauchrecht ist stark umstritten und in der Praxis von Fall zu Fall zu betrachten. Dabei kommt es vor allem auf das Ausmaß des Wohnungsrechts aus, bzw. wie viel der Immobilie davon erfasst ist und ob dem Übernehmer noch eine (wirtschaftliche) Eigennutzung möglich gewesen ist. Je mehr das Wohnungsrecht dem Nießbrauch ähnelt, desto eher wird der Fristablauf gehemmt, § 2325 BGB.