OLG Celle 9 U 102/22
Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses eines GmbH-Geschäftsführers

19.01.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Celle
04.04.2023
9 U 102/22
BeckRS 2023, 7046

Leitsatz | OLG Celle 9 U 102/22

  1. Auch wenn die regelmäßige Folge eines unter Überschreitung satzungsmäßiger Kompetenzen gefassten Gesellschafterbeschlusses lediglich dessen Anfechtbarkeit, nicht aber die Nichtigkeit des Beschlusses ist, gilt letzteres, wenn die Gesellschaft nur einen Alleingesellschafter hat. Anderenfalls wäre die Annahme bloßer Anfechtbarkeit des Beschlusses innergesellschaftlich wirkungslos und ließe das kompetenzwidrige Stimmverhalten des Alleingesellschafters sanktionslos, weil es an einem anfechtungsberechtigten Mitgesellschafter fehlt. 
  2. Die bewusste Durchbrechung der in der Satzung für Berufung und Abberufung des Geschäftsführers vorgesehene Kompetenzverteilung zugunsten des Aufsichtsrats kann nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass der Alleingesellschafter sich dazu zum Wohle der Gesellschaft gezwungen sieht. Das kommt allenfalls dann in Betracht kommen, wenn das an sich zuständige Organ mit der Thematik befasst worden und aus Sicht des Gesellschafters untätig geblieben wäre.

Sachverhalt | OLG Celle 9 U 102/22

Der Kläger ist Geschäftsführer der beklagten GmbH. Dem Gesellschaftsvertrag nach sind die Geschäftsführung, der Aufsichtsrat und die Gesellschafterversammlung Organe der Gesellschaft. Zudem sieht der Gesellschaftsvertrag vor, dass der Geschäftsführer vom Aufsichtsrat bestellt und abberufen wird.

Am 25.07.2022 führten die Mitglieder des Vorstands des Alleingesellschafters der Beklagten ohne Mitwirkung des Geschäftsführers eine außerordentliche Gesellschafterversammlung der GmbH unter Verzicht aller Frist- und Formvorschriften durch. Während der Versammlung beriefen sie den Kläger „mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses als Geschäftsführer“ ab. Bei einer weiteren Gesellschafterversammlung wurde der Kläger gefragt, ob er sein Amt zum 31.12.2022 niederlegen würde, was er verneinte. Sodann wurde ihm der Abberufungsbeschluss übergeben.

Der Kläger ist der Auffassung, die Abberufung sei nichtig, weil diese allein durch den Aufsichtsrat, nicht aber durch die Gesellschafterversammlung vorgenommen werden könne. Ein wichtiger Grund für seine Abberufung habe nicht vorgelegen. Das LG folgte insoweit der Ansicht des Klägers.

 

Entscheidung | OLG Celle 9 U 102/22

Die Berufung wird gem. § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Beschluss ist zunächst gem. § 241 Nr. 3 AktG analog nichtig, denn er wurde kompetenzwidrig gefasst. Da das stimmbindungswidrige Verhalten durch den Alleingesellschafter erfolgte, ist davon auszugehen, dass das Verhalten bei einer bloßen Anfechtbarkeit sanktionslos bliebe. Daher muss vorliegend eine Nichtigkeit folgen. Die eingegangene Stimmbindung dient dazu, mittelbar den Gesellschaftern Mitentscheidungsrechte bei der Ernennung und Abberufung des Geschäftsführers einzuräumen. Diese Mitwirkungsrechte dürfen aber nicht ohne weiteres mit der Behauptung unterlaufen werden, der Kläger hätte beharrlich gegen seine Pflichten als Geschäftsführer verstoßen. Eine Rechtfertigung der Kompetenzwidrigkeit des Verhaltens folgt auch nicht daraus, dass ein wichtiger Grund für die Abberufung vorlag. Denn ein solcher bestand nicht. Dies ergibt sich bereits aus dem Verhalten der Beklagten. Sollte ein wichtiger Grund vorliegen, ist es essentiell, dass der Geschäftsführer so wenig Zeit wie möglich in seinem Amt bleibt. Mit diesem Gebot unvereinbar ist jedoch das Angebot, der Kläger könne sein Amt freiwillig zum Ende des Jahres niederlegen und dadurch über 5 weitere Monate in dem Amt verbleiben.

Der Beschluss ist zudem gem. § 241 Nr. 4 AktG nichtig. Dabei kann die bewusste Durchbrechung der Kompetenzverteilung nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass sich der Alleingesellschafter zum Wohle der Gesellschaft zur Abberufung des Geschäftsführers gezwungen gesehen hat. Denn dies wäre nur dann möglich gewesen, wenn sich zunächst das zuständige Organ mit dem Problem beschäftigt hätte und untätig geblieben wäre. Zudem ist die tu-quoque-Einrede nicht erfolgreich, da der Kläger bereits keine Partei des Gesellschaftsvertrages geworden ist. Ein Fehlverhalten der Vertragsparteien ist hingegen nicht ersichtlich. Schließlich ist die Kompetenzverteilung im Gesellschaftsvertrag eindeutig und kann vorliegend nicht durch eine im Sinne der Beklagten liegenden Auslegung abbedungen werden. Somit entfällt die Sittenwidrigkeit auch nicht aufgrund der 50+1 Regelung der Deutschen Fußballliga.

 

Praxishinweis | OLG Celle 9 U 102/22

Zwar können Kompetenzen, die normalerweise der Gesellschafterversammlung zugeordnet sind, mit bindender Wirkung durch den Gesellschaftsvertrag einem anderen Organ zugewiesen werden. Eine Handlung der Gesellschafterversammlung, welche die dem Organ zugewiesene Kompetenz beeinträchtigt, ist dann aber unwirksam. Auch wenn die regelmäßige Folge eines unter Überschreitung satzungsmäßiger Kompetenzen gefassten Gesellschafterbeschlusses lediglich die Anfechtbarkeit ist, wird die Nichtigkeit des Beschlusses angenommen, wenn die Gesellschaft nur einen Alleingesellschafter hat.