BAG 8 AZR 120/22
Durchgriffshaftung eines GmbH-Geschäftsführers

24.01.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BAG
30.03.2023
8 AZR 120/22
juris

Leitsatz | BAG 8 AZR 120/22

Geschäftsführer einer GmbH haften gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der GmbH nicht deshalb auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB, weil sie im Einzelfall nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG für Verstöße der GmbH gegen ihre Verpflichtung aus § 20 MiLoG, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns zu zahlen, bußgeldrechtlich verantwortlich sind. Der Bußgeldtatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 9 i.V.m. § 20 MiLoG stellt - ungeachtet des § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG - kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der GmbH in ihrem Verhältnis zu dem/den Geschäftsführer/n der Gesellschaft dar.

Sachverhalt | BAG 8 AZR 120/22

Der Kläger war seit 1996 bei der G-GmbH im Rahmen einer 40-Stunden-Woche mit einem monatlichen Bruttolohn von 1.780 € tätig. Nach teilweise monatelang verspätet gezahlter Arbeitsvergütung, machte er ein Zurückbehaltungsrecht seiner Arbeitsleistung geltend und erbrachte im Juni 2017 keine Arbeitsleistung. Daraufhin leistete die GmbH keine Arbeitsvergütung für den Monat Juni.

Für den Zeitraum von Juli bis September 2017 bezog der Kläger von der Bundesagentur für Arbeit Insolvenzgeld. Am 01.11.2017 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Beklagten waren im Juni 2017 Gesellschafter der GmbH. Der Kläger verlangt nun von ihnen Schadensersatz wegen der von der Schuldnerin für Juni 2017 nicht geleisteten Vergütung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns. Hierfür würden die Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB persönlich haften, da gem. § 21 Abs. 1 Nr. 9 i.V.m. § 20 MiLoG die fahrlässige oder vorsätzliche Nichtzahlung des gesetzlichen Mindestlohns bußgeldbewehrt sei. Als gesetzliche Vertreter der Schuldnerin seien die Beklagten nach § 9 OWiG auch taugliche Täter. Das LAG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

 

Entscheidung | BAG 8 AZR 120/22

Die Revision ist unbegründet. Ein etwaiges Zurückbehaltungsrecht des Klägers muss bereits nicht geprüft werden, da die Beklagten als Geschäftsführer der Schuldnerin dem Kläger nicht persönlich für die unterbliebene Zahlung des Mindestlohns haften. GmbH-Geschäftsführer haften grundsätzlich nur im Verhältnis zur Gesellschaft und nicht persönlich gegenüber Dritten, § 43 Abs. 2 GmbHG. Auch die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung bezieht sich primär auf die Gesellschaft, nicht auf Außenstehende. Daher führen Verletzungen dieser Pflicht in der Regel nur zu Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG, nicht der Gläubiger.

Eine persönliche Haftung von GmbH-Geschäftsführern für Verbindlichkeiten der Gesellschaft ergäbe sich nur, wenn ein besonderer Haftungsgrund vorläge. Ein solcher besteht vorliegend jedoch nicht, da keine Schadensersatzpflicht gem. § 823 Abs. 2 BGB besteht. Die Beklagten als Geschäftsführer der Schuldnerin sind zwar zunächst taugliche Täter einer Ordnungswidrigkeit nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG. Obwohl sich die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns gemäß § 20 MiLoG grundsätzlich nicht an sie richtet, wird gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG die Bußgeldbewehrung auf die handelnden Geschäftsführer einer GmbH ausgedehnt. Dennoch ist § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG kein Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmer im Verhältnis zu den Beklagten. Ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist eine Rechtsnorm, die nach Zweck und Inhalt nicht nur die Allgemeinheit schützt, sondern auch den Einzelnen gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts schützen soll. Zwar ist klar ersichtlich, dass § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG die Existenzsicherung durch Arbeitseinkommen als Ausdruck der Menschenwürde für alle im Inland tätigen Arbeitnehmer gewährleisten und damit zugleich die sozialen Sicherungssysteme entlasten soll. Folglich sind sowohl Individual- als auch Gemeinwohlinteressen umfasst. Allerdings handelt es sich in jedem Fall nicht um ein Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmer der GmbH in ihrem Verhältnis zu deren Geschäftsführern.

Gemäß § 13 Abs. 2 GmbHG haftet eine GmbH ausschließlich mit ihrem Gesellschaftsvermögen, die Geschäftsführer haften hingegen nicht. Eine gesetzliche Haftungserweiterung ist in § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG vorgesehen. Für eine weitere Ausnahme ist erforderlich, dass die, eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB begründende Schutznorm, hinreichend deutlich erkennen lässt, dass gerade auch die Geschäftsführer der Gesellschaft persönlich haften sollen. Die Ausweitung der Haftung auf die Geschäftsführer würde jedoch das Haftungssystem des GmbHG, das keine allgemeine Durchgriffshaftung auf die Geschäftsführer vorsieht, besonders im Bereich der Vergütungspflicht des Arbeitgebers bezogen auf den Mindestlohn, stark beeinträchtigen. Konkrete Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber durch § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG i.V.m. § 9 Abs. 1 OWiG eine über die regulären zivilrechtlichen Haftungstatbestände hinausgehende Schadensersatzverpflichtung für die handelnden Organe oder Vertreter der GmbH schaffen wollte, sind daher nicht ersichtlich.

Schließlich besteht auch keine Vergleichbarkeit zu § 266a Abs. 2 und 3 StGB, die als Schutzgesetze zugunsten der Arbeitnehmer anerkannt sind. Denn diese Normen schützen die Arbeitnehmer im Hinblick auf die treuhänderische Verwaltung von Teilen ihres Arbeitseinkommens. Bei der Verpflichtung zur Vergütungszahlung fehlt es an einer vergleichbaren treuhänderischen Bindung des Arbeitgebers.

 

Praxishinweis | BAG 8 AZR 120/22

Das BAG bestätigt durch die vorliegende Entscheidung seine eigene restriktive Rechtsprechung zur Außenhaftung. Als besonderer Haftungsgrund und damit Einfallstor für die auf Ausnahmefälle beschränkte Außenhaftung der Geschäftsführer kommt die deliktische Haftung der Organmitglieder gem. § 823 Abs. 2 BGB für Schutzgesetzverletzungen in Betracht. Jedoch hat das BAG ausgeführt, dass §§ 21 Abs. 1 Nr. 11, 20 MiLoG i.V.m. § 9 Abs. 1 OWiG zumindest im Verhältnis des Arbeitnehmers zu den Gesellschaftern der Schuldnerin kein hinreichendes Schutzgesetz ist. Der Gesetzgeber wollte auch für den Mindestlohn keine Ausnahme von dem Grundsatz der Haftungskonzentration machen.