OLG München 33 UH 4/23e
Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltsorts bei einer geschäftsunfähigen Person

08.12.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG München
09.02.2023
33 UH 4/23e
NJW-Spezial 2023, 263

Leitsatz | OLG München 33 UH 4/23e

  1. Befand sich der Erblasser bis zu seinem Tod mehr als zehn Jahre in einem Pflegeheim am selben Ort, hatte er an diesem Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt.
  2. Das gilt auch dann, wenn er während der gesamten Zeit wegen einer geistigen Erkrankung unter Betreuung stand und der Betreuer auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht ausgeübt hat.

 

Sachverhalt | OLG München 33 UH 4/23e

Die Erblasserin verstarb 2022 in einem Pflegeheim in S. Dort wohnte sie seit 11 Jahren. 1974 war mit Beschluss des AG Günzburg ein Betreuer für die Erblasserin bestellt worden, dessen Aufgabenkreis auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht umfasste. Seitdem lebte die Erblasserin in verschiedenen Pflegeheimen. Nach dem Tod der Erblasserin erklärte sich da AG Sonthofen – Nachlassgericht – für unzuständig. Als die Erblasserin letztmalig geschäftsfähig gewesen sei, habe sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in A im Bezirk des AG Günzburg gehabt. Auch das AG Günzburg erklärte sich für örtlich unzuständig und legte dem OLG die Akten zu Bestimmung des zuständigen Gerichts vor.

Entscheidung | OLG München 33 UH 4/23e

Das OLG München bestimmte das AG Sonthofen für örtlich zuständig.

Das OLG ist gemäß § 5 I Nr. 4 FamFG für die Zuständigkeitsbestimmung in Nachlassangelegenheiten zuständig. Zuständiges Gericht ist jenes, in dessen Bezirk die Erblasserin zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, § 343 Abs.1 FamFG. Unter dem „gewöhnlichen Aufenthalt“ ist der tatsächliche Lebensmittelpunkt einer natürlichen Person zu verstehen, der mittels einer Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in der Zeit vor seinem Tod und zum Zeitpunkt des Todes festzustellen ist (OLG München, ZEV 2017, 333; OLG Celle, ZEV 2020, 229). Auch in Alten- und Pflegeheimen kann grundsätzlich ein Aufenthalt begründet werden (OLG Düsseldorf, FGPrax 2016, 240). Voraussetzung ist, dass der Erblasser im Zeitpunkt des Einzugs fähig war, einen eigenen Bleibewillen zu bilden.

Für einen gewöhnlichen Aufenthalt der Erblasserin im Bezirk des Amtsgerichts Sonthofen streiten hier schon die objektiven Umstände. Denn die Erblasserin hatte 10 Jahre lang ihren „Daseinsmittelpunkt“ an diesem Ort. Dies gelte trotz der Tatsache, dass die Erblasserin aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nur eingeschränkt am Leben teilnahm. Dies haben gerade ihrem Lebensmittelpunkt entsprochen.

Auf die in Literatur und Rechtsprechung umstrittene Frage, ob neben dem Vorliegen objektiver Umstände darüber hinaus in subjektiver Hinsicht ein Aufenthaltswille zu fordern sei, sei es hier nicht angekommen, weil weder ein Umzug ins Ausland stattgefunden haben noch nach Lage der Akten ermittelt werden konnte, an welcher psychischen Erkrankung die Erblasserin gelitten habe, sodass die Möglichkeit einer Willensbildung in Hinblick auf ihren Aufenthaltsort nicht von vornherein ausgeschlossen sei.

 

Praxishinweis | OLG München 33 UH 4/23e

Die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes kann Gerichte bei geschäftsunfähigen Personen vor Probleme stellen. Das OLG München findet eine praxisgerechte Lösung, indem es verdeutlicht, dass bei einer langen Aufenthaltsdauer bereits die objektiven Umstände die Vermutung des gewöhnlichen Aufenthalts begründen. Das OLG München bietet mit seinem Beschluss zudem eine Handhabung der Fälle des Demenztourismus, die der Praxis entspricht (so Roth, NJW-Spezial 2023, 263).