LG München I 5 HK O 3712/21
Beschränkung des Fragerechts in der virtuellen Hauptversammlung

08.02.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

LG München I
09.06.2022
5 HK O 3712/21
ZIP 2022, 1442

Leitsatz | LG München I 5 HK O 3712/21

  1. Die Anordnung in der Einberufung der Hauptversammlung, dass Fragen innerhalb einer Frist von zwei Tagen vor der Hauptversammlung eingereicht werden müssen sowie die Verknüpfung des Fragerechts mit der ordnungsgemäßen Hinterlegung der Aktien und daran anknüpfend dem Versand der Zugangsdaten als (kumulative) Voraussetzung für die Ausübung von Aktionärsrechten, führt zu einer gesetzeswidrigen Verkürzung des Fragerechts der Aktionäre.
  2. Für die Nichtigerklärung eines Beschlusses einer Hauptversammlung ist die Relevanz des in der Verkürzung des Fragerechts liegenden Verfahrensverstoßes für das Mitgliedschafts- bzw. Mitwirkungsrecht eines objektiv urteilenden Aktionärs wegen des darin liegenden Legitimationsdefizits maßgebend, was die Anfechtbarkeit nach § 243 Abs. 1 AktG rechtfertigt.
  3. Nur wenn der Aktionär mit der erhobenen Anfechtungsklage sachfremde, eigene Interessen verfolgt und somit das Klagerecht in zweckentfremdender Weise zum eigenen Vorteil nutzt, kann der Einwand der Rechtsmissbräuchlichkeit eingreifen.

Sachverhalt | LG München I 5 HK O 3712/21

Am 27.11.2020 hatten die beklagte AG und ihre Hauptaktionärin einen Verschmelzungsvertrag beurkundet, der unter der Bedingung der Zustimmung der Hauptversammlung auch einen Squeeze-out vorsah. Daher lud die AG zu einer außerordentlichen virtuellen Hauptversammlung für Freitag, den 19.02.2021 ein. Neben der Zustimmung zum Squeeze-out gab es keine weiteren Tagesordnungspunkte. Nach Satzungsregelung waren zur Teilnahme an der Hauptversammlung nur diejenigen Aktionäre berechtigt, die ihre Aktien spätestens am Montag, 15.02.2021, bei einem Notar oder einer Wertpapiersammelbank hinterlegt hatten. Aktionären, die die ordnungsgemäße Hinterlegung nachgewiesen hatten, sollten laut Einladung Zugangskarten mit persönlichen Zugangsdaten (Zugangskartennummer und Internet-Zugangscode) für die Ausübung der Aktionärsrechte erhalten. Darüber hinaus sollten ausweislich der Einberufung, die von der Verkürzung der Frageeinreichungsfrist nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 COVMG Gebrauch machte, Fragen der Aktionäre bis spätestens zum Ablauf des Dienstags, 16.02.2021, 24 Uhr, über die dafür vorgesehene Eingabemaske im Aktionärsportal der Gesellschaft eingereicht werden.

Die Kläger gehen gegen die von der virtuellen Hauptversammlung gefassten Beschlüsse mit Anfechtungsklage vor.

Entscheidung | LG München I 5 HK O 3712/21

Das LG München I hat der Klage vollumfänglich stattgegeben. Die Beschlüsse der Hauptversammlung vom 19.02.2021 verstießen gegen das Gesetz iSv § 243 Abs. 1 AktG und seien daher für nichtig zu erklären.

Der Vorstand habe abweichend von § 131 Abs. 1 S. 1 AktG aF bei einer nach den Bestimmungen des Covid-Maßnahmengesetzes (COVMG) durchgeführten virtuellen Hauptversammlung vorgeben können, dass Fragen bis spätestens zwei Tage vor Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation hätten eingereicht werden müssen, § 1 Abs. 2 S. 2 COVMG aF. Diese Anordnung zum Einreichen von Fragen innerhalb einer Frist von zwei Tagen vor der Hauptversammlung sowie die Verknüpfung des Fragerechts mit der ordnungsgemäßen Hinterlegung der Aktien führe zu einer gesetzeswidrigen Verkürzung des Fragerechts der Aktionäre. Das Zusammenspiel zwischen Nachweis der ordnungsgemäßen Hinterlegung und Erhalt der Zugangsdaten zur Ausübung der Aktionärsrechte - auch des Fragerechts – führe nämlich dazu, dass ein Aktionär die Frist zur Hinterlegung seiner Aktien nicht habe ausschöpfen können, wenn er von seiner Fragemöglichkeit habe Gebrauch machen wollen. Er habe warten müssen, bis er seine Zugangskarte erhalten habe. Bei Hinterlegung erst am letzten Tag der dafür vorgesehenen Frist, hier 15.02.2021, sei der Aktionär Gefahr gelaufen, die erforderlichen Daten der Hinterlegungsstelle nicht bis zum oder erst sehr spät am letzten Tag der für die Fragen eingeräumten Frist, hier 16.02.2021, zu erhalten. Dies führe dazu, dass dieser Aktionär trotz ordnungsgemäßer und rechtzeitiger Hinterlegung seiner Aktien von seinem Fragerecht nicht habe Gebrauch machen können.

Es sei aber ein allgemein anerkannter Grundsatz, dass man eine gesetzte Frist vollumfänglich ausschöpfen können dürfe. Ein Verstoß hiergegen stelle sich als Gesetzesverletzung dar.

Der Beschluss der Hauptversammlung beruhe auch auf diesem Gesetzesverstoß. Die Möglichkeit der Verweigerung des Fragerechts könne sehr wohl dazu führen, dass ein Aktionär auf seine Teilnahme an der Hauptversammlung verzichte. Gerade die Entscheidung über die Teilnahme könne durch die Fehlerhaftigkeit der Bekanntmachung und den Ausschluss des Fragerechts im negativen Sinn beeinflusst werden. Es bestehe die Gefahr, dass Aktionäre von der Teilnahme an der Hauptversammlung abgehalten würden, weil sie davon ausgingen, kein Fragerecht zu haben. Folglich könne hier auch nicht von einem lediglich marginalen Verstoß gesprochen werden.

Praxishinweis | LG München I 5 HK O 3712/21

Diese Entscheidung ist in der Praxis sehr relevant, auch wenn es unter Wirksamkeit des COVMG entschieden wurde. Es wäre interessant gewesen, wie eine obergerichtliche Instanz diese Frage beantwortet hätte. Das Urteil ist aber rechtskräftig. Seit dem 27.07.2022 geltende die Regeln für die virtuelle Hauptversammlung. Hier sollten Gesellschaften, die eine Hinterlegung von Aktien verlangen, und auch diejenigen, die ein Anmeldeerfordernis haben, § 121 Abs. 2 AktG, in Folge des Urteils des LG München I darauf achten, die Fristen für den Nachweis der Teilnahmeberechtigung/Anmeldung und die Frist für die Einreichung von Fragen aufeinander abzustimmen. Es könnte erforderlich werden, etwaige satzungsmäßige Fristen für die Anmeldung, § 121 Abs. 2 S. 3 AktG, vorzuverlegen, und eine frühere Anmeldung zu verlangen.

Möglich wäre auch, die vom Gesetz vorgesehene Drei-Tages-Frist für die Vorabeinreichung von Fragen, § 131 Abs. 1a AktG nF, nicht auszuschöpfen, und spätere Einreichungen von Fragen zuzulassen.