BGH II ZR 98/21
Anfechtbarkeit von Beschlüssen einer AG bei Verstoß gegen körperschaftsrechtliche Satzungsbestimmungen

02.02.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
11.07.2023
II ZR 98/21
NZG 2023, 1219

Leitsatz | BGH II ZR 98/21

  1. Beschlüsse einer Aktiengesellschaft, die gegen körperschaftsrechtliche Satzungsbestimmungen verstoßen und bei denen die für eine Satzungsänderung geltenden Formvorschriften nicht eingehalten werden, sind jedenfalls anfechtbar.
  2. Ist die Anfechtungsklage zulässig erhoben, bedarf es im Hinblick auf dasselbe mit Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage verfolgte materielle Ziel, nämlich die richterliche Klärung der Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses und somit seine Beseitigung mit Wirkung für und gegenüber jedermann, keiner Festlegung, ob der Satzungsverstoß zur Nichtigkeit oder nur zur Anfechtbarkeit führt.

 

Sachverhalt | BGH II ZR 98/21

Die Kläger sind Aktionäre der Beklagten, einer nicht börsennotierten AG. Deren Satzung bestimmt in § 21, dass der Vorstand in den ersten drei Monaten des Geschäftsjahres für das vergangene Geschäftsjahr den Jahresabschluss und Lagebericht aufzustellen und dem Abschlussprüfer vorzulegen hat. 2019 wurden die Jahresabschlüsse und Lageberichte für die Jahre 2017 und 2018 auf Antrag des Vorstands der Beklagten und aufgrund gerichtlicher Bestellung eines Abschlussprüfers nachträglich geprüft, wodurch sich für 2017 eine Erhöhung des Jahresfehlbetrags von 20.714,30 € ergab. Für die Jahre vor 2017 fand eine Abschlussprüfung nicht statt.

Am 20.12.2019 fand eine Hauptversammlung statt, bei der zunächst eine Änderung des § 21 dahingehend beschlossen wurde, dass die Prüfung von Jahresabschluss und Lagebericht zukünftig in das Ermessen des Vorstands gestellt wurde. Zudem wurde zu TOP 9 beschlossen, dass, soweit nach § 21 eine Prüfung von Jahresabschlüssen und Lageberichten verpflichtend vorgeschrieben ist, auf eine entsprechende Prüfung für bereits abgeschlossene Geschäftsjahre verzichtet wird, wenn  keine gesetzliche Prüfpflicht besteht.

Die Kläger stimmten gegen den Beschluss und legten Klage ein gegen drei Beschlüsse gerichtet auf Nichtigerklärung, hilfsweise Feststellung der Nichtigkeit und äußerst hilfsweise Feststellung der Unwirksamkeit. Das LG Hannover hat nur den Beschluss zu TOP 5, betreffend die Änderung der Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder für nichtig erklärt. Die Berufung wurde zurückgewiesen.

Entscheidung | BGH II ZR 98/21

Die Revision hat Erfolg. Der von der Hauptversammlung der Beklagten zu TOP 9 gefasste Beschluss, mit dem auf eine Prüfung der Jahresabschlüsse und der Lageberichte für die bereits abgeschlossenen Geschäftsjahre vor 2017 verzichtet worden ist, ist nichtig. Zwar verstoßen die ungeprüften Jahresabschlüsse nicht gegen § 256 I Nr. 2 AktG, da dieser auf die nur satzungsmäßig bestehende Prüfungspflicht nicht anwendbar ist. Daher ist auch der TOP 9 betreffende Beschluss nicht gesetzeswidrig.

Allerdings ist der Beschluss aufgrund einer Anfechtung durch die Kläger für nichtig zu erklären. Die Anfechtungsklage ist gem. § 246 I AktG, § 167 ZPO rechtzeitig innerhalb eines Monats erfolgt und richtet sich gem. § 246 II 1 AktG gegen die Gesellschaft. Als Aktionäre sind die Kläger nach § 245 Nr. 1 AktG anfechtungsbefugt, da sie in der Hauptversammlung vom 20.12.2019 ordnungsgemäß vertreten waren und gegen den angegriffenen Beschluss Widerspruch zur Niederschrift des Notars erklärt haben. Der Beschluss, durch den auf eine Abschlussprüfung für die Geschäftsjahre vor 2017 verzichtet wird, steht im Widerspruch mit § 21 a.F. der Satzung der Beklagten.

Etwas anderes folgt nicht daraus, dass der Vorstand der Beklagten eine satzungswidrige Praxis etabliert hat, indem er Jahresabschluss und Lagebericht entgegen § 21 I 1 a.F. der Satzung nicht dem Abschlussprüfer vorgelegt hat. Denn dieses Verhalten bleibt ohne Auswirkung auf die Verbindlichkeit oder den Inhalt der geltenden Satzung, da diese nicht faktisch geändert werden kann.

Auch ist der Verzicht einer Abschlussprüfung für die Jahre vor 2017 nicht aufgrund einer punktuellen Satzungsdurchbrechung wirksam. Zwar sind dem BGH nach, im Einzelfall regelnde Satzungsdurchbrechungen im Grundsatz auch ohne Einhaltung der formellen Voraussetzungen einer Satzungsänderung möglich, wenn sie sich auf eine punktuelle Regelung beschränkt, bei der sich die Wirkung des Beschlusses in der betreffenden Maßnahme erschöpft. Allerdings bleiben sie trotzdem anfechtbar. Zustandsbegründende Satzungsdurchbrechungen, bei denen die Abweichung Dauerwirkung entfaltet, sind hingegen bereits nichtig, wenn die geltenden Formvorschriften nicht eingehalten werden. Vorliegend bedarf es keiner Entscheidung, welche Durchbrechung vorliegt und ob der Satzungsverstoß zur Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit führt. Denn zumindest die Anfechtbarkeit eines gegen eine körperschaftsrechtliche Satzungsbestimmung verstoßenden und nicht in das Handelsregister eingetragenen Hauptversammlungsbeschlusses wird angenommen und vorliegend eine wirksame Anfechtung erklärt.

Die Entscheidung wird daher aufgehoben.

Praxishinweis | BGH II ZR 98/21

Bei Hauptversammlungsbeschlüssen ist es von entscheidender Bedeutung, sämtliche gesetzliche und satzungsmäßigen Vorgaben genau einzuhalten. Sollte es dennoch zu einer Verletzung kommen, ist es ratsam, rechtzeitig und ordnungsgemäß gegen den Beschluss vorzugehen, indem eine Anfechtungsklage gemäß den entsprechenden gesetzlichen Vorgaben eingereicht wird. Darüber hinaus ist es wichtig, die Vorgehensweise des Vorstands im Einklang mit den gesetzlichen und satzungsmäßigen Vorgaben zu überwachen, um potenzielle Unregelmäßigkeiten frühzeitig zu erkennen und zu korrigieren.