BGH IX ZR 195/20
Anfechtbarkeit der Ausschüttung eines Gewinnvortrags an einen Gesellschafter als Rückgewähr einer darlehensgleichen Forderung

08.10.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
22.07.2021
IX ZR 195/20
ZIP 2021, 1822

Leitsatz | BGH IX ZR 195/20

  1. Beschließt der Alleingesellschafter einer GmbH, einen festgestellten Gewinn auf neue Rechnung vorzutragen, kann der aus einem später gefassten, auf Ausschüttung des Gewinnvortrags gerichteten Gewinnverwendungsbeschluss folgende Zahlungsanspruch eine wirtschaftlich einem Darlehen entsprechende Forderung darstellen.
  2. Eine Behandlung als wirtschaftlich einem Darlehen entsprechende Forderung scheidet aus, wenn bereits zum Zeitpunkt des ersten, auf einen Vortrag des Gewinns auf neue Rechnung gerichteten Gesellschafterbeschlusses eine Gewinnausschüttung nicht vorgenommen werden durfte, weil und soweit die Auszahlung zu diesem Zeitpunkt eine Unterbilanz herbeigeführt oder vertieft hätte.

Sachverhalt | BGH IX ZR 195/20

Der Kläger eröffnet am 01.06.2010 auf Eigenantrag am 31.03.2010 ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der M GmbH. Die Beklagte war die alleinige Gesellschafterin der M.

In einer Gesellschafterversammlung (28.09.2009) der M beschloss die Beklagte, den im Geschäftsjahr 2008 erwirtschafteten Jahresüberschuss in Höhe von 246.178,14 Euro auf neue Rechnung vorzutragen. Weiter beschloss sie am 01.12.2009 einen Gewinn in Höhe von 200.000 Euro für das Geschäftsjahr 2008 auszuschütten. Daraufhin überwies die M der Beklagten am 09.12.2009 den Betrag von 200.000 Euro.

Die Beklagte verfolgt in der vom Berufungsgericht stattgegebenen Revision weiterhin ihr Klageabweisungsbegehren, nachdem der auf Zahlung von 200.000 Euro gerichteten Klage in den Vo-rinstanzen stattgegeben wurde.

Entscheidung | BGH IX ZR 195/20

Die Revision hat keinen Erfolg.

Die Gewinnausschüttung in Höhe von 200.000 Euro unterliege dem insolvenzrechtlichen Nachrang und damit der Anfechtung, da sie als Rückführung einer einem Darlehen wirtschaftlich entsprechenden Forderung gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO einzuordnen ist. Als Generalformel für eine solche Forderung sei eine Rechtshandlung erforderlich, die in gleicher Weise wie ein Darlehen Finanzierungsfunktion hat, wobei entscheidend ist, dass der Gesellschaft zeitweise ein Kapitalwert zur Nutzung überlassen werde (BGH IX ZR 231/19).

Das Gericht fasst den vorliegenden Fall dann unter die vorranging genannte Definition, wenn der ausgeschüttete Gewinn zuvor aufgrund einer Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters auf neue Rechnung vorgetragen worden war und der Jahresgewinn bewusst nicht ausgeschüttet wird. Dies sei mit der Gewährung eines Darlehens vergleichbar. Bei einem Alleingesellschafter einer GmbH mache es keinen Unterschied, ob ein Gewinn zunächst an den Gesellschafter ausgeschüttet und anschließend als Gesellschaftsdarlehen zur Verfügung gestellt oder der Gewinn auf neue Rechnung im Sinne von § 29 Abs. 2 GmbHG vorgetragen werde. Im Ergebnis stünden die Mittel der Gesellschaft als Finanzierungsquelle zur Verfügung.

Die Entscheidung, welche einen Beschluss nach § 29 Abs. 2 GmbHG darstelle, falle in den Anwendungsbereich der §§ 135 Abs. 1 Nr. 2, 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Erfassen wollte der Gesetzgeber im Interesse des Gläubigerschutzes gerade Sachverhalte, die der Darlehensgewährung durch die Gesellschafter wirtschaftlich entsprechen.

Indem die Beklagte am 28.09.2009 den Gewinnverwendungsbeschluss und erst am 01.12.2009 den Ausschüttungsbeschluss fasst, entschließt sie sich in diesen Zeitraum für eine Gewährung finanzieller Mittel an die M und verbessert so die finanzielle Leistungsfähigkeit der Gesellschaft.

Anders wäre das Stehenlassen des Gewinnausschüttungsanspruchs nur zu bewerten gewesen, wenn der Ausschüttung die §§ 30, 31 GmbHG entgegengestanden hätten. Dann handele es sich gerade nicht um eine Rechtshandlung, die einem Gesellschaftsdarlehen wirtschaftlich entspräche. Vielmehr sei es mit einer erzwungenen Stundung vergleichbar.

Der rechtlichen Einordnung der Rechtshandlung als Gewährung eines Gesellschafterdarlehens ist mithin zuzustimmen. Die Revision bleibt erfolglos.

Praxishinweis | BGH IX ZR 195/20

Im Rahmen eines Insolvenzverfahrens einer Gesellschaft kann die Anfechtung der als Rückführung einer darlehensgleichen Forderung einzuordnenden Gewinnausschüttung an einen Gesellschafter nicht schon allein dadurch verhindert werden, dass der Gesellschafter der Gesellschaft den Betrag nicht ausdrücklich als zeitweise Überlassung mit Rückforderungsanspruch überlässt. Eine vergleichbare Situation entsteht bereits dann, wenn der Gesellschafter seinen Gewinnausschüttungsanspruch nicht in Anspruch nimmt. Es sei mithin darauf hinzuweisen, dass eine Anfechtbarkeit gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nicht durch Verschieben oder bewusstes Stehenlassen des Jahresgewinns umgangen werden kann.