LG Berlin 101 O 57/22
Alleingesellschafter einer Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland haftet nach Brexit für Altverbindlichkeiten als Einzelkaufmann

02.08.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

LG Berlin
28.11.2022
101 O 57/22
GWR 2023, 103

Leitsatz | LG Berlin 101 O 57/22

  1. Eine nach englischem Recht gegründete Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland, die nur aus einem einzigen Gesellschafter besteht, ist in Deutschland als einzelkaufmännisches Unternehmen zu behandeln. (nichtamtl. Leitsatz)
  2. Eine Pflicht deutscher Gerichte zur Anwendung der Gründungstheorie ergibt sich aus dem zwischen EU und Vereinigtem Königreich geschlossenen Handels- und Kooperationsvertrag nicht, da dieses keinen Fortbestand der Niederlassungsfreiheit vorsieht. (nichtamtl. Leitsatz)
  3. Der Alleingesellschafter haftet auch für gegenüber der Limited bestehende Altverbindlichkeiten, da angesichts der Übergangsfristen beim EU-Austritt des Vereinigten Königreichs kein Vertrauensschutz anzuerkennen ist. (nichtamtl. Leitsatz)

 

Sachverhalt | LG Berlin 101 O 57/22

Der Kläger ist Alleingesellschafter einer englischen Limited, die ihren Verwaltungssitz in Deutschland hat. Die Beklagte hat gegen die Limited mehrere Titel erstritten. Gegen die erteilten Rechtsnachfolgeklauseln hat sich der Kläger mit einer Klauselgegenklage gewendet. Er ist der Meinung, die Beklagte hätte die ihr obliegende Beweislast für die Rechtsnachfolge nicht erbracht. Wegen der Regelungen des Handels- und Kooperationsabkommens zwischen der EU und dem Vereinigtem Königreich sei auch in Deutschland die Limited weiterhin rechtsfähig sei.

Entscheidung | LG Berlin 101 O 57/22

Die Klage wird abgewiesen.

Nach dem Ablauf des Austrittsabkommens Ende 2020 gibt es die Limited als Gesellschaft englischen Rechts in Deutschland nicht mehr. Da sie nur aus einem einzigen Gesellschafter besteht, kann sie nur als einzelkaufmännisches Unternehmen behandelt werden. Hiergegen spricht auch nicht die Rechtsprechung des EuGH zur Anwendbarkeit der Gründungstheorie, denn das Vereinigte Königreich ist nur noch Drittstaat.

Des Weiteren sieht das zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich geschlossene Handels- und Kooperationsabkommen keinen Fortbestand der Niederlassungsfreiheit vor. Somit kann auch nicht geschlossen werden, dass auf eine nach englischem Recht gegründete Gesellschaft mit Verwaltungssitz in Deutschland weiterhin die Gründungstheorie und damit englisches Gesellschaftsrecht angewendet werden muss.

Schließlich besteht kein Vertrauens- und Bestandsschutz. Aufgrund der Übergangsfristen, die im Austrittsabkommen vereinbart wurden, hatte der Kläger ausreichend Gelegenheit, die Limited in eine nach deutschem Gesellschaftsrecht anerkannte Rechtsform zu überführen. Auch im Hinblick auf die Austrittsmöglichkeiten für Mitgliedsstaaten gem. Art. 50 EUV, kann kein Vertrauen in eine „ewige“ Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs begründet worden sein.

 

Praxishinweis | LG Berlin 101 O 57/22

Auch das OLG München (v. 05.08.2021 - 29 U 2411/21 Kart) und die herrschende Meinung in der Literatur sind der Meinung, dass durch das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU die Anwendung der Gründungstheorie nicht mehr geboten ist. Die Limited kann aber als OHG oder GbR angesehen werden oder im Fall eines Alleingesellschafters als einzelkaufmännisches Unternehmen.

Die vorliegende Entscheidung des LG Berlin betrifft nun erstmals auch Haftungsfragen. Dabei ist die Haftung des vormaligen Alleingesellschafters auch für Altverbindlichkeiten notwendige Folge der Umwandlung einer Limited in ein einzelkaufmännisches Unternehmen. Für die Zukunft stellt sich die Frage, ob dadurch auch eine Haftung von Gesellschaftern für Altverbindlichkeiten der in eine OHG oder GbR umgewandelten Limited wahrscheinlicher wird.