LG Berlin 66 S 95/20
Berliner Mietendeckel verfassungsgemäß!?

21.09.2020

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

LG Berlin
31.07.2020
66 S 95/20
IBRRS 2020, 2459

Leitsatz | LG Berlin 66 S 95/20

  1. § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
  2. Seit dem Inkrafttreten am 23.02.2020 ist § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln als gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB zu beachten. Im Umfang eines Verstoßes tritt die Nichtigkeit der Vereinbarung zur Miethöhe ein. Eine Klage, mit der (erst) die Zustimmung zu einer verbotenen Miethöhe verlangt wird, ist unbegründet.
  3. Ist nach dem 23.02.2020 gerichtlich über die Zustimmung zur Mieterhöhung zu entscheiden, so ist der Anspruch inhaltlich ab dem 01.03.2020 nach § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln, § 134 BGB auf den am Stichtag 18.06.2019 maßgeblichen Betrag begrenzt. Für die Höhe der vorher fällig gewordenen Monatsmieten gelten (ohne Anwendung von § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln) die bis zum 23.02.2020 maßgeblichen Vorschriften.

(amtliche Leitsätze)

Sachverhalt | LG Berlin 66 S 95/20

Der Kläger war Vermieter einer knapp 80m² großen Wohnung in Berlin. Am 18.06.2019 verlangte er von der beklagten Mieterin Zustimmung zu einer Erhöhung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete. In dem Zeitpunkt, in dem die Erhöhung eintreten sollte, war der Mietzins seit 15 Monaten unverändert (§ 558 Abs. 1 BGB). Auf dieser Grundlage begehrte der Vermieter mit Wirkung ab dem 01.09.2019 die Erhöhung der monatlichen Nettokaltmiete von 499,00 € auf 537,72 €.

§ 3 Abs. 1 S. 1 MietenWoG BIn lautet: „Vorbehaltlich der nachfolgenden Regelungen ist eine Miete verboten, die die am 18.06.2019 (Stichtag) wirksam vereinbarte Miete überschreitet.“ Das Gesetz trat am 23.02.2020 in Kraft.

Nach mündlicher Verhandlung am 05.04.2020 hat das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg mit Urteil vom selbigen Tag die Klage abgewiesen. Es war der Auffassung, das Mieterhöhungsverlangen sei unbegründet, weil es auf ein nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 S. 1 MietenWoG BIn i.V.m. § 134 BGB verbotenes Rechtsgeschäft gerichtet sei. Da die verlangte Mieterhöhung für einen Zeitraum beginnend nach dem landesgesetzlich geregelten Stichtag (18.06.2019) verlangt werde, sei die Klage auch insgesamt abzuweisen. Hiergegen wendete sich der Kläger mit der Berufung.

Entscheidung | LG Berlin 66 S 95/20

1. Die 66. Zivilkammer des Landgerichts schloss sich der Auffassung der Vorinstanz insoweit an, als der Kläger die Zustimmung zur Mieterhöhung für die Zeit ab 01.03.2020 – also nach Inkrafttreten des MietenWoG BIn - begehrte.

Das Gericht stellte insofern fest, dass der geltend gemachte Anspruch auf Zustimmung gem. § 558 BGB auf den Abschluss eines Rechtsgeschäfts gerichtet ist, das – die Verfassungskonformität unterstellt – gegen das gesetzliche Verbot des § 3 Abs. 1 S. 1 MietenWoG BIn verstößt und somit nichtig im Sinne des § 134 BGB ist.

Um die Rechtsfolge des §134 BGB auslösen und die Norm als solche anwenden zu können prüfte das Gericht, ob die Regelung des § 3 MietenWoG BIn formell und materiell verfassungswidrig ist. Es gelang zu dem Ergebnis, dass diesbezüglich keine durchgreifenden Bedenken bestünden. Aus diesem Grund sei auch keine Vorlage nach Art. 100 GG an das Bundesverfassungsgericht geboten.

a. Zur formellen Verfassungsmäßigkeit schloss sich die Kammer der Auffassung an, dass das MietenWoG BIn von der Gesetzgebungskompetenz der Länder aus Art. 70 Abs. 1 GG gedeckt ist.

Der Landesgesetzgeber stütze sich insofern auf den Kompetenztitel des „Wohnungswesens“, der trotz seiner Streichung in Art. 74 Nr. 18 GG a.F. im Jahr 2006 zugunsten der Länder in Art. 70 Abs. 1 GG weiterbestünde. Eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes sei auch deshalb nicht ersichtlich, weil es angesichts des in Art. 70 Abs. 1 GG normierten Regel-Ausnahme-Verhältnisses an einer Begründung fehle.

Der Einwand, das auf privatrechtliche Rechtsbeziehungen im Wohnraummietrecht Einfluss nehmende MietenWoG BIn falle unter die Kompetenz des Bundes gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, geht nach Ansicht des Gerichts fehl. Der aus dem Gebrauch zwei verschiedener Kompetenztitel resultierende Konflikt könne nicht durch eine bloße Behauptung aufgelöst werden: eine solche Behauptung sei es aber, wenn den Regelungen des Bundesgesetzgebers zur Miethöhe der Charakter eines „umfassenden Konzepts“ zuerkannt werde um ohne weitere inhaltliche Argumente dem Landesgesetzgeber mit seiner „anderen“ Regelung die Rolle eines Störers zuzuweisen, der einen ihm zustehenden Kompetenztitel „überdehne“.

Weiter prüft das Gericht, welche Konsequenzen es gem. Art. 72 Abs. 1 GG hätte, wenn das Land Berlin den Kompetenztitel des Bürgerlichen Rechts tatsächlich für sich in Anspruch genommen hätte. Ob die landesgesetzliche Regelung dann verdrängt werde oder wirksam sei hänge dann davon ab, inwieweit der Bundesgesetzgeber im BGB eine erschöpfende, bzw. abschließende Regelung getroffen habe. Letzteres sei allerdings gerade nicht der Fall. Im Gegenteil zeige die Begründung des Bundesgesetzgebers zum Mietrechtsnovellierungsgesetz, dass das Instrument der Mietpreisbremse vom Bundesgesetzgeber gerade nicht für das alleinige Mittel der Wahl gehalten und jede zusätzliche oder anders gewichtete Vorgehensweise der Länder als gewünscht eingeschätzt worden wäre. Hinzu komme, dass der Landesgesetzgeber auch eine anders gelagerte, in ihren Wirkungen deutlich weitergehende und vom Bundesgesetzgeber nicht in den Blick genommene Entwicklung beabsichtigt habe: das unvertretbare Auseinanderfallen der Preissteigerungen auf dem Wohnungsmarkt gegenüber der Entwicklung der allgemeinen Lohn- und Preisverhältnisse.

b. Auch in materieller Hinsicht sah die Kammer die Regelungen des MietenWoG BIn als verfassungsgemäß an. Die Vorschrift des § 3 Abs. 1 MietenWoG BIn stelle sich bei der Abwägung der verfolgten Zwecke gegenüber den bewirkten Einschränkungen als eine verhältnismäßige Bestimmung der Schranken des Art. 14 GG und des durch ihn gewährleisteten Eigentumsschutzes dar.

Der Zweck des Gesetzes sei als ein wichtiges öffentliches Interesse anzuerkennen. Es sei auch geeignet, der Gefahr der Verdrängung einkommensschwacher Bevölkerungsschichten dadurch wirksam zu begegnen, dass seit dem Inkrafttreten des Gesetzes gerade (auch) Bestandsmieten im Grundsatz auf der am 18.06.2019 maßgeblich gewesenen Miethöhe eingefroren werden. Dies verhindere die ohne das Gesetz zu erwartenden höheren Belastungen der Mieter für den genutzten Wohnraum und fördere dadurch die Bezahlbarkeit des Wohnraums in den angestammten Quartieren. § 3 Abs. 1 S. 1 MietenWoG BIn sei auch erforderlich. Ein sachlich gleichwertiges, zweifelsfrei gleich wirksames, die betroffenen Grundrechte aber weniger beeinträchtigendes Mittel sei nicht ersichtlich. Auch sei die Regelung verhältnismäßig. Denn unvertretbare substantielle Einbußen seien vorliegend weder vorgetragen, noch erkennbar. Die Eigentumsfreiheit schütze zwar auch die Freiheit, aus der Nutzung des Eigentums durch Dritte Ertrag zu ziehen, der zur finanziellen Grundlage für die eigene Lebensgestaltung beiträgt. Diese Freiheit werde durch die hier zu beurteilende Regelung aber auch nicht beseitigt. Renditeerwartungen des Eigentümers oder sein Interesse (auch künftig) besonders günstige Marktverhältnisse für die Erzielung hoher Gewinne vorzufinden, würden für sich betrachtet keinen grundgesetzlichen Schutz genießen.

2. Für den vor dem 23.02.2020 liegenden Zeitraum vor Inkrafttreten des Gesetzes sei allerdings allein das bis dahin geltende Recht maßgeblich. Insofern lege das als Stichtag bezeichnete Datum in § 3 Abs. 1 MietenWoG BIn zwar materiell den Zeitpunkt fest, der für die betragsmäßige Bestimmung der zulässigen Höhe des Mietzinses maßgeblich ist. Diese Festlegung ändere aber nichts daran, dass das die Vorschrift zum Zeitpunkt des Stichtages noch gar nicht existiert habe. Vor Inkrafttreten – also außerhalb des formell geltenden Gesetzes – könnten die bloßen Absichten des Gesetzgebers keine rechtlichen Wirkungen entfalten.

Praxishinweis | LG Berlin 66 S 95/20

Nachdem der Bayerische Verfassungsgerichtshof erst im Juni einen Gesetzesentwurf mit ähnlicher Regelungsrichtung für mit Bundesrecht mangels Gesetzgebungskompetenz „offensichtlich unvereinbar“ erklärte, entschied sich das Landgericht in Berlin nunmehr für die gegenteilige Auffassung. Somit ist in der Rechtsprechung bisher weiterhin keine eindeutige Tendenz im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des Mietendeckels erkennbar. Die Normenkontrollverfahren bei den Verfassungsgerichten auf Landes- und Bundesebene sind weiterhin noch nicht entschieden. Doch die Karlsruher Richter haben in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren bisher die Frage nach der Gesetzgebungskompetenz als „offen“ bezeichnet, sodass die Antwort hierauf weiterhin mit Spannung und Geduld abgewartet werden muss.