BFH XI R 1/15
Veräußerung einer vermieteten Immobilie als Geschäftsveräußerung im Ganzen, wenn der Erwerber nicht alle Mietverträge übernimmt

11.01.2018

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
06.07.2016
XI R 1/15
GWR 2016, 453

Leitsatz | BFH XI R 1/15

Überträgt ein Veräußerer ein vermietetes Geschäftshaus und setzt der Erwerber die Vermietung nur hinsichtlich eines Teils des Gebäudes fort, liegt hinsichtlich dieses Grundstücksteils eine Geschäftsveräußerung i. S. d. § 1 Abs. 1a UStG vor. Dies gilt unabhängig davon, ob der vermietete Gebäudeteil „zivilrechtlich selbständig“ ist oder nicht.

Sachverhalt | BFH XI R 1/15

Der Veräußerer errichtete ein Geschäftshaus. Eine Einheit vermietete er an seinen Ehegatten. Andere Einheiten vermietete er an Dritte. Der Veräußerer verzichtete für sämtliche Vermietungsumsätze auf die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 UStG und nahm aus den Eingangsleistungen den vollen Vorsteuerabzug vor.

Die Veräußerung des Geschäftshauses erfolgte innerhalb des Berichtigungszeitraums nach § 15a UStG an den Erwerber. Ein Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung des Kaufpreises nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG erfolgte nicht. Nach dem Kaufvertrag übernahm der Erwerber die Mietverträge mit den Dritten, aber nicht den Mietvertrag mit dem Ehegatten des Veräußerers; insoweit musste der Veräußerer für die Beendigung des Mietvertrags und die Räumung sorgen. Der Erwerber führte die Mietverträge mit den Dritten unverändert fort, während er den ehemals an den Ehegatten des Veräußerers vermietete Einheit für eigene unternehmerische Zwecke nutzte.

Der Veräußerer ging offenbar von einer Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG aus, weshalb eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15a Abs. 10 UStG unterblieb. Dies griff die Finanzverwaltung auf und verneinte für die gesamte Immobilie eine Geschäftsveräußerung. Der Vorsteuerabzug sei daher insgesamt zu berichtigen.

Entscheidung | BFH XI R 1/15

Der BFH unterschied zwischen der ehemals an den Ehegatten des Veräußerers vermieteten Einheit und den an die Dritten vermieteten Einheiten. Hinsichtlich der ehemals an den Ehegatten des Veräußerers vermieteten Einheit liege keine Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG vor. Insoweit sei der Vorsteuerabzug zu berichtigen. Hinsichtlich der an die Dritten vermieteten Einheiten liege eine solche Geschäftsveräußerung vor. Insoweit sei der Vorsteuerabzug nicht zu berichtigen.

Voraussetzung für die Geschäftsveräußerung sei gemäß § 1 Abs. 1a S. 2 UStG, dass ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird. Diese Bestimmung sei richtlinienkonform im Lichte des Art. 19 der EU-Richtlinie über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem auszulegen. Nach dieser Bestimmung können die EU-Mitgliedstaaten „die Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens, die entgeltlich oder unentgeltlich oder durch Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt, so behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt, und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen“.

Die Bestimmung erfasse die Übertragung von Geschäftsbetrieben und von selbständigen Unternehmensteilen, die als Zusammenfassung materieller und immaterieller Bestandteile ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil bilden, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann. Der Erwerber müsse außerdem beabsichtigen, den übertragenen Geschäftsbetrieb oder Unternehmensteil zu betreiben. Nicht begünstigt ist die sofortige Abwicklung der übernommenen Geschäftstätigkeit. Das EU-Recht fordert nicht, dass der Erwerber vor der Veräußerung eine wirtschaftliche Tätigkeit derselben Art ausgeübt haben müsste wie der Veräußerer. Der Erwerber dürfe den von ihm erworbenen Geschäftsbetrieb z.B. aus betriebswirtschaftlichen oder kaufmännischen Gründen in seinem Zuschnitt ändern oder modernisieren.

Nach diesem Maßstab seien die an die Dritten vermieteten Einheiten ein selbständiger Unternehmensteil. Es komme dabei auch nicht darauf an, ob das Teilvermögen, das Gegenstand einer Geschäftsveräußerung ist, ein „zivilrechtlich selbständiges Wirtschaftsgut“ ist. Insoweit änderte der BFH die bisherige Rechtsprechung. Es komme vielmehr darauf an, ob ein Teilvermögen übertragen wird, das vom Erwerber selbständig hätte übernommen werden können und für das im Falle der entgeltlichen Übertragung der Erwerber eine Gegenleistung gezahlt hätte. Ob das Grundstück vom Veräußerer vor der Übertragung zivilrechtlich (z.B. durch Bildung von Teil- oder Wohnungseigentum) geteilt worden ist oder nicht, spiele daher für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung insoweit keine Rolle.

Damit sei es auch unerheblich, dass der Erwerber nicht die gesamte Vermietungstätigkeit des Veräußerers fortgeführt habe. Für das Vorliegen einer Geschäftsveräußerung sei es unerheblich, ob der Veräußerer gleichzeitig mit der Übertragung eine andere wirtschaftliche Tätigkeit einstellt. Die Prüfung der Voraussetzungen der Geschäftsveräußerung beschränke sich auf das jeweils übertragene Teilvermögen, ohne dass es auf daneben erfolgte, weitere Übertragungsvorgänge ankomme.

Praxishinweis | BFH XI R 1/15

Die Entscheidung spielt im Umfeld von notariellen Kaufverträgen über Gewerbeimmobilien, die der Veräußerer oder sein Rechtsvorgänger errichtet oder saniert, sie sodann vermietet oder verpachtet und hinsichtlich der Vermietungs- bzw. Verpachtungsumsätze zur Umsatzsteuer nach § 4 Nr. 12 UStG optiert hat, um daraus hinsichtlich der umsatzsteuerpflichtigen Bauleistungen den Vorsteuerabzug zu ermöglichen. Kommt es in einer solchen Situation zu einer Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse, kann dies dazu führen, dass der Vorsteuerabzug nach § 15a UStG nachträglich berichtigt werden muss. Bei Immobilien gilt insoweit ein Berichtigungszeitraum von 10 Jahren seit der erstmaligen umsatzsteueroptierten Vermietung oder Verpachtung.

Die Veräußerung solcher Gewerbeimmobilien unterbricht für sich genommen den Berichtigungszeitraum nach § 15a Abs. 10 UStG nicht, wenn sie die Bedingungen einer Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG erfüllt. Wird aber anlässlich der Veräußerung oder auch nach dem Vollzug der Veräußerung die umsatzsteuerbare Vermietung oder Verpachtung im Berichtigungszeitraum eingestellt, kann dies nach § 15a UStG als Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse gewertet werden, was zu einer nachträglichen Berichtigung des Vorsteuerabzugs beim Veräußerer führen kann. Im notariellen Kaufvertrag ist daher zu regeln, ob der Erwerber im Berichtigungszeitraum die umsatzsteueroptierte Vermietung oder Verpachtung einstellen darf und wie ggf. eine nachträgliche Berichtigung des Vorsteuerabzugs durchzuführen ist.

Die Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG wird in der Praxis üblicherweise Geschäftsveräußerung „im Ganzen“ genannt. Neu an der vorliegenden Entscheidung ist, dass der BFH nun bei der Veräußerung von Immobilien zwischen den einzelnen Einheiten unterscheidet und zwar unabhängig davon, ob die betreffende Einheit ein „zivilrechtlich selbständiges Wirtschaftsgut“ ist, also ob Wohnungs- oder Teileigentum daran besteht. Auch zivilrechtlich ungeteilte Vermögensgegenstände können danach steuerlich getrennt zu betrachtende Teilvermögen darstellen. Es kommt nicht auf die zivilrechtliche Teilung sondern darauf an, ob die Einheit vom Erwerber selbständig hätte übernommen werden können und ob er für sie im Falle der entgeltlichen Übertragung eine Gegenleistung gezahlt hätte.