BGH IX ZR 64/12
Keine Hinweispflicht des Steuerberaters auf mögliche Insolvenzreife im Rahmen eines allgemeinen Beratungsmandates

30.04.2013

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
07.03.2013
IX ZR 64/12
BeckRS 2013, 06838

Leitsatz | BGH IX ZR 64/12

1. Das steuerberatende Dauermandat von einer GmbH begründet bei üblichem Zuschnitt keine Pflicht, die Mandantin bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz auf die Pflicht ihres Geschäftsführers hinzuweisen, eine Überprüfung in Auftrag zu geben oder selbst vorzunehmen, ob Insolvenzreife besteht.

2. Eine entsprechende drittschützende Pflicht trifft den steuerlichen Berater auch gegenüber dem Geschäftsführer der Gesellschaft nicht.

Sachverhalt | BGH IX ZR 64/12

Der Kläger – als Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH – verlangt vom Beklagten aus abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche aus Steuerberaterhaftung. Er macht geltend, der Beklagte habe bei Erstellung des Jahresabschlusses 2004 den ehemaligen Geschäftsführer der GmbH darauf hinweisen müssen, dass die GmbH überschuldet bzw. dies zumindest durch Erstellung einer Überschuldungsbilanz zu überprüfen gewesen wäre. Der unterlassene Hinweis habe zu einer Inanspruchnahme des Geschäftsführers aus § 64 Satz 1 GmbHG (Erstattung von Zahlungen nach Eintritt der Überschuldung) geführt; die entsprechenden Schadenersatzansprüche des Geschäftsführers gegen den beklagten Steuerberater wurden an den klagenden Insolvenzverwalter abgetreten.

Entscheidung | BGH IX ZR 64/12

Der BGH stellt klar, dass es nicht Aufgabe des mit der allgemeinen steuerlichen Beratung der GmbH beauftragten Beraters ist, die Gesellschaft bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz darauf hinzuweisen, dass es die Pflicht des Geschäftsführers ist, eine Überprüfung vorzunehmen oder in Auftrag zu geben, ob Insolvenzreife eingetreten ist und gegebenenfalls gemäß § 15a InsO Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt werden muss. Zwar hat der Steuerberater den Auftraggeber in den durch Inhalt und Umfang gesetzten Grenzen des Dauermandats auch ungefragt über die bei der Bearbeitung auftauchenden steuerrechtlichen Fragen zu belehren (vgl. BGH, Urt. v. 28.11.1966 – VII ZR 132/64, WM 1967, 72980 309; BGH v. 26.01.1995 – IX ZR 10/94, BGHZ 128, 358), wobei es auch zu den vertraglichen Nebenpflichten des Steuerberaters gehört, den Mandanten vor Schaden zu bewahren (§ 242 BGB) und auf Fehlentscheidungen, die für ihn offen zutage liegen, hinzuweisen (BGH, Urt. v. 07.05.1991 – IX ZR 188/90, WM 1991, 1303, BGH v. 26.01.1995 – IX ZR 10/94, BGHZ 128, 358; BGH Urt. v. 21.07.2005 – IX ZR 6/02, WM 2005, 1904). Doch kann ihm nicht die Pflicht auferlegt werden, auf bloßen äußeren Verdacht hin den Hinweis zu erteilen, die Gesellschaft sei möglicherweise überschuldet im Sinne des § 19 InsO, oder ohne konkreten Auftrag zunächst eine Fortführungsprognose zu erstellen und sodann – je nach Ergebnis dieser Prognose – eine Prüfung der rechnerischen Überschuldung nach Fortführungs- oder Zerschlagungswerten vorzunehmen. Die Unterdeckung in der im Rahmen des Steuerberaters erstellten Bilanz kann zwar einen indiziellen Hinweis auf die möglicherweise drohende oder bereits eingetretene Überschuldung geben, sie weist diese aber nicht aus. Festgestellt werden kann die Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO nur durch Aufstellung einer Überschuldungsbilanz, die anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegt als die vom Steuerberater zu fertigende Bilanz. Die insolvenzrechtliche Überschuldung ist deshalb aus der Handelsbilanz auch nicht ohne weiteres zu entnehmen (vgl. BGH, v. 28.04.2008 – II ZR 51/07, ZInsO 2008, 1019 Rn. 8; BGH v. 08.03.2012 – IX ZR 102/11, ZInsO 2012, 732 Rn. 5 m.w.N.).

Dagegen ist es originäre Aufgabe des Geschäftsführers, die Zahlungsfähigkeit und eine etwaige Überschuldung des von ihm geleiteten Unternehmens im Auge zu behalten und auf eventuelle Anzeichen für eine Insolvenzreife zu reagieren (OLG Celle, ZInsO 2011, 1004). Weist die Handelsbilanz der Gesellschaft eine Überschuldung aus, hat der Geschäftsführer eine Überschuldungsprüfung selbst vorzunehmen oder gesondert in Auftrag zu geben. Auf den Steuerberater der Gesellschaft, den im Rahmen eines allgemeinen Mandats die Pflicht zur steuerlichen Beratung der Gesellschaft trifft, kann er diese Aufgabe nicht ohne gesonderten Auftrag abwälzen.

Eine Haftung des Beklagten aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter scheitert bereits daran, dass den Beklagten aus dem mit der GmbH abgeschlossenen allgemeinen Steuerberatungsvertrag keine Schutzpflichten hinsichtlich der Aufklärung über eine möglicherweise bestehende Insolvenzantragspflicht gegenüber seiner Auftraggeberin treffen. Die drittschützenden Pflichten aus einem Vertrag können nicht weiter reichen als die dem Berater gegenüber seiner eigentlichen Vertragspartei obliegenden Warn- und Hinweispflichten.

Praxishinweis | BGH IX ZR 64/12

Der BGH hebt zutreffend die grundlegende Pflicht des Geschäftsführers hervor, die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft in eigener Verantwortung zu prüfen und auf eventuelle Anzeichen für eine Insolvenzreife zu reagieren. Entweder indem er die Überschuldungsprüfung selbst vornimmt oder an den Steuerberater ein gesondertes Mandat zur Überprüfung der Insolvenzreife überträgt, in dessen Rahmen der Steuerberater dann auch mit drittschützender Wirkung für den Geschäftsführer potentiell für fehlerhafte oder unterlassene Hinweise bezüglich der Insolvenzantragspflicht haftet.