OLG Hamburg 11 W 30/16
Handlungsfähigkeit einer AG nach Amtsniederlegung des Alleinvorstands bei nur einem Aufsichtsratsmitglied

23.03.2018

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Hamburg
27.06.2016
11 W 30/16
NZG 2016, 1070 = ZIP 2016, 1832

Leitsatz | OLG Hamburg 11 W 30/16

Die Amtsniederlegung des Alleinvorstands einer Aktiengesellschaft führt auch dann nicht zur Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft, wenn nur noch ein Aufsichtsratsmitglied verblieben ist, denn sowohl dieses Mitglied als auch jeder Aktionär können die gerichtliche Ergänzung des Aufsichtsrats gemäß § 104 Abs. 1 S. 1 AktG beantragen und der Aufsichtsrat sodann einen neuen Vorstand bestellen.

Sachverhalt | OLG Hamburg 11 W 30/16

Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahr 2012 legten 2014 zwei von drei Aufsichtsratsmitgliedern der AG ihre Ämter nieder. Der Aufsichtsrat wurde nicht ergänzt, weil dies das Registergericht aufgrund des laufenden Insolvenzverfahrens für unzulässig hielt.

Der Beschwerdeführer, der der alleinige Vorstand der AG war, meldete 2016 zum Handelsregister an, dass er sein Amt als Vorstand, aufschiebend bedingt auf den Tag der Eintragung, niedergelegt habe. Das Handelsregister wies die Anmeldung zurück, da sie, weil zur Unzeit erfolgt, rechtsmissbräuchlich sei. Mit Eintragung der Amtsniederlegung des Vorstands sei die AG handlungsunfähig. Es hätten schon zwei von drei Aufsichtsratsmitgliedern ihre Ämter niedergelegt.

Entscheidung | OLG Hamburg 11 W 30/16

Das OLG Hamburg hat am 27.06.2016 beschlossen, dass die Voraussetzungen für eine Eintragung der angemeldeten Niederlegung in das Handelsregister vorliegen. Der Vorstand der AG habe sein Amt nicht zur Unzeit niedergelegt und damit auch nicht rechtsmissbräuchlich. Bei der GmbH werde von einer rechtsmissbräuchlichen Amtsniederlegung gesprochen, wenn der alleinige Geschäftsführer und Gesellschafter nach der Amtsniederlegung keinen neuen Geschäftsführer bestelle. Mit der Amtsniederlegung werde die Gesellschaft handlungsunfähig, wobei überwiegende Interessen anderer Beteiligter zurückgestellt würden und versucht werde, sich der übernommenen Verantwortung für die Gesellschaft, insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, zu entziehen.

Wende man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so seien nach Auffassung des OLG Hamburg die Voraussetzungen für eine Rechtsmissbräuchlichkeit der Amtsniederlegung nicht gegeben. Auch, wenn man grundsätzlich von der Unwirksamkeit einer Niederlegung zur Unzeit ausgehe, seien an die Voraussetzung der Handlungsunfähigkeit einer Gesellschaft hohe Voraussetzungen zu knüpfen. Die AG habe im Ausgangsfall die Möglichkeit gehabt, die fehlenden Aufsichtsratsmitglieder gem. § 104 AktG etwa auf Antrag des verbliebenen Aufsichtsratsmitglieds oder eines Aktionärs gerichtlich zu bestellen. Die Auffassung des Registergerichts hierzu sei falsch gewesen. Der Aufsichtsrat erhalte somit seine Beschlussfähigkeit zurück und könne einen neuen Vorstand bestellen.

Auch wenn der Beschwerdeführer seiner Verpflichtung aus § 104 Abs. 1 S. 2 AktG nicht von schon 2014 nachgekommen sei und einen Antrag auf Ergänzung des Aufsichtsrats gestellt habe, lasse sich daraus nicht schließen, dass seine Amtsniederlegung 18 Monate später zur Unzeit erfolge. Sowohl das letzte Aufsichtsratsmitglied als auch jeder Aktionär hätte den Ergänzungsantrag längst stellen können. Darüber hinaus könne das Registergerichts einen Notvorstand gem. § 85 AktG bestellen.

Praxishinweis | OLG Hamburg 11 W 30/16

Die dargelegte Entscheidung verdeutlicht, wie sich die strukturellen Unterschiede von GmbH und AG auch auf die praxisrelevante Frage der potentiell rechtsmissbräuchlichen Amtsniederlegung von (alleinigen) Vorstandsmitgliedern auswirken. Die hohen Anforderungen, die an das Vorliegen eines solchen Rechtsmissbrauchs zu stellen sind, bewirken, dass im Gegensatz zur GmbH auch bei Amtsniederlegung des Alleinvorstandes über das Gesellschaftsorgan des Aufsichtsrats nach § 84 AktG die Handlungsfähigkeit der AG durch Neubestellung des Vorstandes gewährleistet ist.