OLG Stuttgart 19 U 11/13
Zustimmungspflicht nicht sanierungswilliger Gesellschafter – Sanieren oder Ausscheiden

30.04.2014

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Stuttgart
11.07.2013
19 U 11/13
ZIP 2013, 1661

Leitsatz | OLG Stuttgart 19 U 11/13

  1. Im Falle der Sanierungsbedürftigkeit einer Publikumspersonengesellschaft lässt sich die Zustimmungspflicht eines nicht sanierungswilligen Gesellschafters zu einem Gesellschafterbeschluss, welcher nach den Grundsätzen des Urteils des BGH vom 19.10.2009 (NZG 2009, 1347 – Sanieren oder Ausscheiden) gefasst wird, nicht von vornherein abstrakt mit der Begründung verneinen, dass der Gesellschafter nach seinem Ausscheiden – anders als bei sofortiger Liquidation der Gesellschaft – einer Nachhaftung ausgesetzt wäre. Vielmehr bedarf es insoweit einer konkreten Gegenüberstellung der auf den betreffenden Gesellschafter entfallenden Beträge für den Fall der Liquidation der Gesellschaft einerseits und für den Fall der Sanierung andererseits.
  2. Maßgebliche und hinreichende Beurteilungsgrundlage des Gesellschafters für die Frage einer entsprechenden Zustimmungspflicht ist sein Informationsstand über die vorgesehenen Sanierungsvereinbarungen mit Gläubigern der Gesellschaft zum Zeitpunkt des betreffenden Gesellschafterbeschlusses, ohne dass diese Vereinbarungen bereits ihren tatsächlichen Abschluss gefunden haben müssten.

Sachverhalt | OLG Stuttgart 19 U 11/13

Im Streitfall machte die Klägerin – ein geschlossener Immobilienfonds in der Rechtsform einer GbR – gegen den beklagten Gesellschafter einen Auseinandersetzungsfehlbetrag erheblicher Höhe geltend. Sie stützt sich hierbei auf einen Beschluss ihrer Gesellschafterversammlung vom 02.12.2009, welcher die Sanierungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Gesellschaft feststellte und für die Gesellschafter die Alternativen „Sanieren“ (unter Leistung eines anteiligen Sanierungsbeitrags) oder „Ausscheiden“ (unter Bezahlung eines anteiligen Auseinandersetzungsfehlbetrags) vorsah.

Entscheidung | OLG Stuttgart 19 U 11/13

Das OLG Stuttgart stellte in seiner Entscheidung vom 11.07.2013 klar, im Falle der Sanierungsbedürftigkeit einer Publikumspersonengesellschaft sich die Zustimmungspflicht eines nicht sanierungswilligen Gesellschafters zu einem Gesellschafterbeschluss, welcher nach den Grundsätzen des „Sanieren oder Ausscheiden“-Urteils des BGH vom 19.10.2009 (BGH v. 19.10.2009, II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289 = NZG 2009, 1347 – Sanieren oder Ausscheiden) gefasst wird, nicht von vornherein abstrakt mit der Begründung verneinen lässt, dass der Gesellschafter nach seinem Ausscheiden – anders als bei sofortiger Liquidation der Gesellschaft – einer Nachhaftung ausgesetzt wäre. Vielmehr bedarf es insoweit einer konkreten Gegenüberstellung der auf den betreffenden Gesellschafter entfallenden Beträge für den Fall der Liquidation der Gesellschaft einerseits und für den Fall der Sanierung andererseits. Betreffend den Informationsstand des Gesellschafters – und damit auch deutlich ablehnend bezüglich des LG Düsseldorf vom 28.05.2012 (LG Düsseldorf v. 28.05.2012, 9 O 222/12 U, BeckRS 2013, 09387) – führte das OLG Stutt-gart aus, dass maßgebliche und hinreichende Beurteilungsgrundlage des Gesell-schafters für die Frage einer entsprechenden Zustimmungspflicht sein Informationsstand über die vorgesehenen Sanierungsvereinbarungen mit Gläubigern der Gesellschaft zum Zeitpunkt des betreffenden Gesellschafterbeschlusses sei, ohne dass diese Vereinbarungen bereits ihren tatsächlichen Abschluss gefunden haben müssten. Denn seitens der Rechtsprechung des BGH wird eine entsprechende Information der Gesellschafter vor dem im Gesellschafterbeschluss festgelegten Sanierungsstichtag nicht erfordert. Darüber hinaus stellt das OLG Stuttgart klar, dass der Gesellschafter im Allgemei-nen nicht verpflichtet ist, einer seine Gesellschafterstellung aufhebenden Änderung des Gesellschaftsvertrags zuzustimmen. Allerdings geht der BGH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich in besonders gelagerten Ausnahmefällen für jeden einzelnen Gesellschafter aus der gesellschafterlichen Treuepflicht etwas Abweichendes ergeben kann. Eine Zustimmungspflicht kommt demnach dann in Betracht, wenn sie mit Rücksicht auf das bestehende Gesellschaftsverhältnis oder auf die bestehenden Rechtsbeziehungen der Gesellschafter untereinander dringend erforderlich ist und die Änderung des Gesellschaftsvertrags dem Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen Belange zumutbar ist. Die Verpflichtung eines einzelnen Gesellschafters, einer notwendig gewordenen Änderung des Gesellschaftsvertrags zuzustimmen, ist daher anzunehmen, wenn dem schützenswerte Belange des einzelnen Gesellschafters nicht entgegenstehen. (BGH, ZIP 2009, 2289 = NZG 2009, 1347; BGH v. 25.1.2011, II ZR 122/09, ZIP 2013, 768 = NZG 2011, 510, dazu Binkowski, EWiR 2011, 417) Entgegen der Auffassung des LG Düsseldorf in dessen Urteil vom 28.05.2013 – finden diese Grundsätze nicht nur bei Publikumspersonengesellschaften in der Rechtsform der OHG, sondern auch – wie im hier gegebenen Fall – bei Publikumspersonengesellschaften in der Rechtsform der GbR Anwendung.

Im Streitfall waren die vom BGH erforderten Voraussetzungen für eine Zustim-mungspflicht des Beklagten kraft gesellschaftsrechtlicher Treuepflicht gegeben.

Praxishinweis | OLG Stuttgart 19 U 11/13

Das OLG Stuttgart konkretisiert in seiner Entscheidung die grundsätzliche Linie des BGH zur Sanierung notleidender Fondsgesellschaften. Dabei berechtigen zwar abstrakte Risiken den Gesellschafter nicht, das Sanierungskonzept der Gesellschaft abzulehnen, die Befürchtung im Fall einer mehrere Jahre nach seinem Ausscheiden erfolgenden Insolvenz der Gesellschaft über die gesetzliche Haftung erneut in Anspruch genommen zu werden, muss aber Ernst genommen werden und ist bei der Gegenüberstellung der Alternativszenarien im Vergleich zu einer sofortigen Liquidation der Gesellschaft zu berücksichtigen. Bei Erstellung des Sanierungskonzepts ist daher sorgfältig darauf zu achten, alle denkbaren Risiken der Gesellschafter zu behandeln und zu bewerten.