OLG Bremen 2 U 57/09
Abberufung des Versammlungsleiters der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft aus wichtigem Grund

15.06.2011

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Bremen
13.11.2009
2 U 57/09
BeckRS 2010, 00281

Leitsatz | OLG Bremen 2 U 57/09

1. Die Hauptversammlung hat die Möglichkeit und Befugnis, den satzungsmäßig bestimmten Versammlungsleiter (hier: Vorsitzender des Aufsichtsrats) bei Vorliegen eines wichtigen Grundes abzuberufen, wenn es ihr etwa aufgrund schwerwiegender Verfahrensverstöße oder aus ähnlichen, ebenso gewichtigen Gründen nicht zumutbar ist, an der Person der Versammlungsleiters festzuhalten.

2. Nur in einem Fall offenbaren Missbrauchs wäre der Versammlungsleiter ausnahmsweise befugt und u. U. auch gehalten, in eigener Entscheidungskompetenz einen Antrag auf Abberufung des Versammlungsleiters ohne Aussprache und Abstimmung zurückzuweisen. Allerdings sind im Interesse des Minderheitenschutzes an das Vorliegen einer solchen Ausnahme strenge Anforderungen zu stellen.

3. In der Hauptversammlung von Aktionären geäußerte Vorwürfe, der Versammlungsleiter lasse die Protokollierung protokollierungswürdiger Sachverhalte nicht zu und versuche, Protokollierungswünsche von Aktionären zu verhindern, sind jedenfalls nicht von vornherein unsachlich, willkürlich oder schikanös.

4. Der Verfahrensverstoß, welcher darin besteht, dass der Versammlungsleiter einen Antrag auf seine Abberufung zurückweist, bewirkt nicht die Nichtigkeit der Beschlüsse nach § 241 Nr. 2 AktG.

Sachverhalt | OLG Bremen 2 U 57/09

Auf einer ganztägigen Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft führte der Aufsichtsratvorsitzende den Vorsitz. Im Übrigen nahmen neben den Mitgliedern des Vorstandes und des Aufsichtsrates zahlreiche Aktionäre an der Hauptversammlung teil, u. a. auch die Kläger. Im Verlauf der Versammlung äußerten die Kläger wiederholt und deutlich ihren Unwillen über die Versammlungsleitung und brachten dabei insbesondere ihren Protest dagegen zum Ausdruck, dass ihre Fragen vom Vorstand nicht oder nicht vollständig beantwortet und Vorgänge nicht protokolliert würden. So seien Protokollierungswünsche von Aktionären mit den Worten: „Protokollierungswünsche per Zuruf aus dritter Reihe werden vom Notar nicht entgegengenommen“ verhindert. Auch als der Aktionär sich daraufhin zum Notar begeben habe, um seinem Wunsch Ausdruck zu verleihen, wurde die Protokollierung abermals mit den Worten: „Lassen Sie den Notar in Ruhe!“ verhindert. Die Klägerin und Aktionärin S. stellte daraufhin den Antrag, den Versammlungsleiter aus wichtigem Grund abzuberufen. Der Versammlungsleiter lehnte es ab, hierüber zu beraten und abzustimmen, weil insoweit ein wichtiger Grund nicht gegeben sei. Nach Beendigung dieser Vorgänge schloss der Vorsitzende die Generaldebatte, und es erfolgte die Beschlussfassung der Hauptversammlung zu den Tagesordnungspunkten 2.-6.. Die Kläger erhoben Widerspruch gegen alle Beschlüsse. Sie haben im Klageverfahren die Erklärung der Nichtigkeit, hilfsweise die Feststellung der Nichtigkeit der zu den Tagesordnungspunkten 2. bis 6. gefassten Beschlüsse beantragt.

Entscheidung | OLG Bremen 2 U 57/09

In dem Verhalten des Versammlungsleiters – den Antrag auf seine Abberufung zurückzuweisen – liegt ein erheblicher Verfahrensverstoß, der zwar nicht die Nichtigkeit der Beschlüsse nach § 241 Nr. 2 AktG, jedoch ihre Anfechtbarkeit nach § 243 Abs. 1 AktG bewirkt. Denn der Versammlungsleiter durfte nicht die Aussprache über das Abberufungsbegehren und das Vorliegen eines wichtigen Grundes verhindern und auch nicht in eigener Sache entscheiden. Der Abberufungsantrag der Klägerin S. mit ihren hinreichend konkret formulierten Vorwürfen war nicht von vornherein unsachlich, willkürlich oder schikanös. Vielmehr waren die Vorwürfe geeignet, einen „wichtigen Grund“ zur Abberufung des Versammlungsleiters hinreichend zu tragen. Vor diesem Hintergrund konnte der Antrag bei vernünftiger Betrachtungsweise auch nicht als offenbar missbräuchlich erscheinen. Nur in einem solchen Fall offenbar missbräuchlicher Antragstellung wäre der Versammlungsleiter ausnahmsweise befugt und u. U. auch gehalten gewesen, das Vorgehen entweder ganz zu ignorieren oder in eigener Entscheidungskompetenz ohne Aussprache und Abstimmung zurückzuweisen. Allerdings sind im Interesse des Minderheitenschutzes an das Vorliegen einer solchen Ausnahme strenge Anforderungen zu stellen. Dieser Verfahrensverstoß war erheblich, so dass in Anbetracht der ungeklärten Frage, ob der Versammlungsleiter weiter seine Funktion ausüben durfte, den danach zu den Tagesordnungspunkten 2. bis 6. gefassten Beschlüssen ein Rechtmäßigkeitsdefizit anhaftete. Dieses führt zu ihrer Anfechtbarkeit.

Praxishinweis | OLG Bremen 2 U 57/09

Für die planmäßige Durchsetzung strategischer Unternehmensentscheidungen muss der Vorstand die Zustimmung der Hauptversammlung einholen. Die Hauptversammlung ist das einzige Forum, in dem die Aktionäre ein Frage- und Entscheidungsrecht haben. Die gründliche Vorbereitung einer Hauptversammlung ist daher zwingend notwendig, um auch einer möglichen Opposition durch kritische Aktionäre kompetent entgegentreten zu können. Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung sollte der Versammlungsleiter bei Anträgen über seine Abberufung diese im Zweifel zur Entscheidung der Hauptversammlung stellen.