Ausgangsbeschränkungen, Ansammlungsverbote, Kirchen- und Betriebsschließungen in der Corona-Krise – verfassungsrechtlich haltbar?

02.05.2020

 

Einleitung

Die Corona-Krise beherrscht nicht nur die Diskussion unter Medizinern, Politikern und Vertretern der Wirtschaft, sondern löst auch in der Rechtswissenschaft erhebliche Diskussionen aus. Nachdem sich die Bundesregierung in Abstimmung mit den Ländern am 22.03.2020 auf Leitlinien verständigt hatte, ergingen zunächst Allgemeinverfügungen. Zum Teil wurden diese auch schon im Vorfeld erlassen. Einzelne Kommunen reagierten jedenfalls mit Ordnungsverfügungen.

Die verschiedenen Maßnahmen, die die Länder und Kommunen ergriffen, berührten eine Vielzahl von Grundrechten. Soweit Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote Gegenstand der Entscheidungen waren, wurde jeweils die Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG sowie des Art. 11 GG gerügt. Von den Ansammlungsverboten betroffen ist auch Art. 8 GG. Fast alle Verordnungen verboten und verbieten auch Gottesdienste und ähnliche religiöse Veranstaltungen und greifen damit in Art. 4 GG ein. Letztlich wurden durch die Verordnungen in großem Umfang Einzelhandelseinrichtungen, Gaststätten, Hotels, Fitnesscenter etc. geschlossen. Insoweit sind Art. 12 GG und Art. 14 betroffen.

Deutsche Verwaltungsgerichte, Oberverwaltungsgerichte und das Bundesverfassungsgericht haben sich bereits in zahlreichen Entscheidungen mit den unterschiedlichen Regelungen der Länder zur Eindämmung der Corona-Pandemie beschäftigen müssen. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die ergangenen Entscheidungen gegeben werden.  

Waren die verhängten Ausgangssperren verfassungsgemäß?

Mit zwei Beschlüssen vom 24.03.2020 – Az. M 26 S 20.1252; M 26 S 20.1255 – hat das VG München eine allgemeine Verfügung aufgehoben, da sie formell rechtswidrig sei. Die dort getroffenen Regelungen zur Ausgangssperre hätten nur über eine Verordnung erlassen werden dürfen. Das VG München hatte sich hier also auf formelle Aspekte zurückgezogen. Das VG München erkannte weiterhin, dass die Einschränkung des Rechts auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG in § 28 Abs. 1 IfSG a. F. keine taugliche Rechtsgrundlage findet. Hierzu ist allerdings anzumerken, dass das IfSG zwischenzeitlich nachgebessert wurde.

Die Regelung des Landkreises Ostprignitz-Ruppin, die den Besuch von Zweitwohnungen verbot, wurde durch das VG Potsdam für unwirksam erklärt (VG Potsdam, Beschl. v. 21.03.2020 – 6 L 302/20 und 6 L 308/20). Anders entschied das VG Schleswig (Beschl. v. 21.03.2020 – 1 B 10/20 und 1 B 11/20 und 1 B 12/20 und 1 B 13/20, 1 B 14/20 sowie v. 26.03.2020 – 1 B 30/20). Dem folgte das OVG Schleswig (Beschl. v. 02.04.2020 – 3 MB 8/20, 3 MB 11/20). Es sei verfassungsgemäß, dass jede Art vermeidbarer Anreisen untersagt sei. Eine Allgemeinverfügung, die gestützt auf § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, vom 28.03.2020 insoweit in das Grundrecht auf Freizügigkeit eingreife, sei verfassungsgemäß. Eine Ausnahme bestehe auch nicht für diejenigen, die nicht aus touristischen Gründen anreisen, sondern in der Zweitwohnung ihr Homeoffice einrichten wollen.

Auch das OVG Bautzen hielt mit einer Entscheidung vom 07.04.2020 – 3 B 111/20 – die Festlegungen der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom 31.03.2020 für verfassungsgemäß. Die Bestimmungen seien auch, soweit Sport und Bewegung im Freien nur vorrangig im Umfeld des Wohnbereiches erlaubt waren, klar genug formuliert und auch der in der Verordnung festgelegte Ausnahmefall sei hinreichend bestimmt. Den Bereich, in dem man sich bewegen dürfe, hatte das OVG Bautzen mit 10 – 15 km rund um die Wohnung definiert.

Der saarländische Verfassungsgerichtshof (Beschl. v. 28.04.2020 - Lv 7/20) hatte entschieden, dass die von der Landesregierung erst für den 04.05.2020 geplante Lockerung der Ausgangsbeschränkung sofort in Kraft treten müsse, da es aktuell keine Rechtfertigung mehr für die Fortgeltung der strengen Regelung zum Verlassen der Wohnung mehr gebe.

Ist das Verbot von Demonstrationen in Zeiten von Corona rechtmäßig?

Das VG Dresden hielt mit Beschluss vom 30.03.2020 – 6 L 212/20 und 6 L 220/20 – die aufgrund der seinerzeitigen Allgemeinverfügung vom 22.03.2020 festgelegten Einschränkungen der persönlichen Freiheit für erforderlich, geeignet und angesichts der Gefahrenlage auch für verhältnismäßig. Eine Ausnahme für Demonstrationen mit wenigen Teilnehmern komme nicht in Betracht. Gleichartige Beschlüsse des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (v. 14.04.2020 – 2 B 985/20) und des VG Gießen (v. 09.04.2020 – 4 L 1479/20.Gl) hatte allerdings das BVerfG (v. 15.04.2020 – 1 BvR 828/20) aufgehoben.

Das VG Neustadt a.d. Weinstraße (Beschl. v. 02.04.2020, Az. 4 L 333/20.NW) war der Auffassung, dass auch eine Zwei-Personen-Demonstration aufgrund der Dritten Corona-Bekämpfungs-Verordnung des Landes Rheinland-Pfalz v. 23.03.2020 untersagt werden könne. Entscheidend sei, dass nicht auszuschließen sei, dass sich weitere Personen dieser Demonstration anschließen.

Das OVG Hamburg (v. 16.04.2020 – 5 Bs 58/20) war der Auffassung, dass eine Ausnahmegenehmigung zu einer Versammlung zu Recht versagt worden war, während das VG Hamburg (v. 16.04.2020 - 17 E 1648/20) anders entschieden hatte.

Das VG Dresden (Beschl. v. 17.04.2020 – 6 L 265/20) hatte eine „Mini-Kundgebung“ von fünf Minuten erlaubt. Auch das VG Hamburg (Beschl. v. 17.04.2020 – 15 E 1640/20) hatte eine Versammlung unter Auflagen genehmigt.

Durften Gottesdienste verboten werden?

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (Az. 8 B 892/20.N) hatte sich mit dem Einwand zu beschäftigen, dass das Verbot des Besuchs von Kirchen, Moscheen und Synagogen gegen Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 4 GG verstoße. Der Verwaltungsgerichtshof erkannte, dass ein dementsprechender Eingriff vorliegt, hielt ihn jedoch für rechtmäßig und auch verhältnismäßig. Die im vorliegenden Fall speziell gerügte Beeinträchtigung der Religionsfreiheit müsse aus dem Aspekt beurteilt werden, dass hier verschiedene Grundrechte in Widerstreit stehen. Der Eingriff sei gerechtfertigt, weil hier der Schutz des Grundrechts auf Gesundheit und Leben vorrangig sei. Darüber hinaus stellt der Hessische Verwaltungsgerichtshof darauf ab, dass zwar das Abhalten von Gottesdiensten verboten sei, die stille Einkehr in einer Kirche jedoch nicht.

Ähnlich urteilte das VG Berlin (Beschluss v. 7.4.2020, 14 L 32/20). In einem von einem religiösen Verein eingeleiteten einstweiligen Rechtsschutzverfahren bewertete das VG Berlin das in der Berliner SARS-Co-V2-Coronavirus- Eindämmungsverordnung enthaltene Verbot vermeidbarer öffentlicher oder nicht öffentlicher Veranstaltungen und Versammlungen als unabdingbar, um den Schutz von Leben und Gesundheit der Allgemeinheit durch die Reduzierung der Ausbreitungsgeschwindigkeit des Coronavirus‘ zu gewährleisten. Die Verordnung sehe zwar Ausnahmen von den Veranstaltungsverboten vor, in diesen Ausnahmen sei die Abhaltung von Gottesdiensten aber nicht enthalten. Daraus ergebe sich im Umkehrschluss, dass Gottesdienste von dem Veranstaltungsverbot erfasst seien.

Das Versammlungsverbot ist nach Auffassung des VG Berlin im Hinblick auf den erstrebten legitimen Zweck der Aufrechterhaltung eines funktionierenden öffentlichen Gesundheitssystems auch verhältnismäßig, zumal es den Gläubigen auch weiterhin erlaubt sei, als Einzelpersonen Kirchen, Moscheen und Synagogen zu besuchen, wenn auch nur zur individuellen stillen Einkehr. Damit sei die Ausübung religiöser Gebräuche zumindest in einem persönlichen Rahmen weiterhin möglich. Der Kernbereich der Religionsfreiheit bleibe also erhalten. Darüber hinaus seien die Verbote zeitlich begrenzt, so dass die Einschränkung der Religionsfreiheit für den einzelnen Gläubigen im Hinblick auf das überragende Schutzgut der Gesundheit der Allgemeinheit und der Gläubigen zumutbar sei.

 

 

Der Verwaltungsgerichtshof Kassel (Beschl. v. 07.04.2020 – 8 B 892/20) hielt das Verbot von Zusammenkünften in Kirchen, Moscheen und Synagogen während der Corona-Pandemie ebenfalls für verfassungsgemäß. Auch das Bundesverfassungsgericht, das noch am 07.04.2020 Eilanträge deswegen abgelehnt hatte, weil der Rechtsweg nicht ausgeschöpft sei (Beschl. v. 07.04.2020 – 1 BvR 755/20), stellte mit Beschl. v. 10.04.2020 – 1 BvQ 28/20 – fest, dass die aus Pandemie-Schutz-Verordnungen folgende Beschränkung der Religionsfreiheit verfassungsgemäß sei. Anlässlich eines weiteren Eilantrags eines muslimischen Vereins hatte das Bundesverfassungsgericht diese Aussage später mit Blick auf die Ende April 2020 herrschende Gefahrenlage dahingehend relativiert, dass es im Hinblick auf den aktuellen Verlauf der COVID-19-Pandemie nicht vertretbar sei, Gottesdienste und andere religiöse Zusammenkünfte ganz generell zu verbieten. Vielmehr müsse man eine Einzelfallabwägung treffen und Gottesdienste in Ausnahmefällen ermöglichen. Das Bundesverfassungsgericht hatte daher das entsprechende Verbot in der niedersächsischen Corona-Verordnung insoweit vorläufig außer Vollzug gesetzt, als danach ausgeschlossen war, auf Antrag im Einzelfall Ausnahmen von dem Verbot von Gottesdiensten zuzulassen (BVerfG, Beschl. v. 29.04.2020 - 1 BvQ 44/20).

Durfte das Besuchsrecht in Pflegewohnheimen und Kinderschutzeinrichtungen eingeschränkt werden?

Die in vielen Allgemeinverfügungen / Verordnungen enthaltene Beschränkung des Besuchsrechts in Pflegewohnheimen ist rechtmäßig (OVG Berlin-Brandenburg v. 03.04.2020 – 11 S 14/20).

Das Verbot, Kinder in Kinderschutzeinrichtungen zu besuchen, ist jedenfalls gegenüber einer Mutter nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen (VG Hamburg, Beschl. v. 17.04.2020 – 11 E 1630/20).

Ist die Durchführung von Abiturprüfungen während der Corona-Pandemie rechtlich vertretbar?

Der Versuch, Abiturprüfungen zu stoppen, blieb bisher erfolglos (vgl. u.a. VG Berlin, Beschl. v. 17.04.2020 – VG 14 L 59.20 sowie v. 20.04.2020 – VG 3 L 155.20)

Zu Einschränkungen der Berufsfreiheit / Untersagung von Gewerbebetrieben → Untersagung von freiberuflicher / gewerblicher Tätigkeit