Update: Wird der Kapitalmarkt fit für die Zukunft? – Eine kurze Auseinandersetzung mit dem Regierungsentwurf zum Zukunftsfinanzierungsgesetz

Klimaschutz, veränderte Standortbedingungen sowie ein verringertes wirtschaftliches Wachstum und Herausforderungen durch eine (noch schleppende) Digitalisierung setzten der deutschen Wirtschaft zu. Um diesen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft gewachsen zu sein, benötigt Deutschland Investitionen beispiellosen Umfangs. Diesen Herausforderungen stellte sich der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums der Justiz zum „Entwurf eines Gesetzes zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen“ (kurz Zukunftsfinanzierungsgesetz – ZuFinG, im Folgenden RefE-ZuFinG) vom 12. April 2023. Beworben wird dies auf der Internetseite des Bundesfinanzministeriums mit dem Ziel „Deutschland zum führenden Standort für Start-ups und Wachstumsunternehmen“ zu machen.

Am 16. August 2023 wurde der Regierungsentwurf vorgelegt.

Die Leistungsfähigkeit des deutschen Kapitalmarktes soll gestärkt und die Attraktivität des deutschen Finanzplatzes als Teil des europäischen Finanzplatzes befördert werden. Start-ups, kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und Wachstumsunternehmen wird der Zugang zum Kapitalmarkt und die Aufnahme von Eigenkapital erleichtert. Hierfür verfolgt der Entwurf einen holistischen Ansatz und nimmt zentrale Regelungen des Gesellschaftsrechts, Aktienrechts und des Steuerrechts gleichermaßen in den Blick.

So sieht er in insgesamt 31 Artikeln umfassende Reformen im Gesellschafts-, Kapitalmarkt- und Steuerrecht vor, die vom Spruchverfahrensgesetz, über das Aktienrecht bis hin zum Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes reichen.

Dieser Beitrag stellt die geplante Reform aus notarieller Sicht dar und konzentriert sich daher im Kern auf die für die rechtsgestaltende Praxis wichtigsten Teilaspekte. Er nimmt insbesondere die geplante Wiedereinführung von Mehrheitsstimmenrechten sowie die Reform des Kapitalanlagegesetzesbuches (KAGB) hinsichtlich des Betriebes von Anlagen zur Energieerzeugung innerhalb eines Immobilienfonds in den Blick.

Die übrigen Änderungen sollen nur stichpunktartig aufgeführt werden.

I.    Reform des Kapitalanlagegesetzesbuches hinsichtlich des Betriebes von Anlagen zur Energieerzeugung innerhalb eines Immobilienfonds

1.    Derzeitige Regelung

Zur Erzielung zusätzlicher Einkünfte, auch unabhängig von Mieteinnahmen, haben sich deutsche Immobilienfonds zunehmend auf den Betrieb von Anlagen zur Energieerzeugung spezialisiert. Bereits in der derzeitigen Fassung ermöglicht § 231 KAGB dies in begrenztem Umfang. Die Formulierung der Regelung ist jedoch mit Unklarheiten verbunden. Dabei muss streng zwischen dem Betrieb der Anlage selbst und der Nutzung ihrer Erzeugnisse unterschieden werden. Auch de lege lata dürfen deutsche Immobilienfonds i. S. d. §§ 230 ff KAGB bereits Gegenstände erwerben, die zur Bewirtschaftung der Vermögensgegenstände des Immobilien-Sondervermögens erforderlich sind, § 231 Abs. 3 KAGB.

Der Betrieb von Solaranlagen selbst dient dabei unproblematisch der Bewirtschaftung des Immobilien-Sondervermögens. Daraus folgt, dass diese auch von Immobilienfonds erworben werden können. Umstritten ist dagegen, ob auch der Verkauf des produzierten Stroms zulässig ist. Teilweise wird hier vertreten, dass darauf zu achten sei, dass durch den Verkauf des Stroms keine „aktive unternehmerische Bewirtschaftung“ der Immobilie erfolgt. Operative Betätigungen, die zu einer eigenen gewerblichen Tätigkeit der KVG führen seien unzulässig. Dies wird mit einer BaFin-Stellungnahme begründet, die Investmentvermögen eine operative Tätigkeit untersagt. Unklar blieb bisher, ob auch der Verkauf und die Einspeisung von Strom unter den Begriff der operativen Tätigkeit zu subsumieren ist.

 

2.    Widersprüche zwischen KAGB und InvStG

Widersprüche taten sich dabei insbesondere zwischen dem Investmentsteuerrecht und dem KAGB auf. Sowohl KAGB und InvStG definieren Investmentfonds einheitlich. Denn § 1 Abs. 2 InvStG verweist entsprechend auf § 1 des KAGB. Unterschiedlich wird jedoch die Frage der operativen Betätigung behandelt. Denn § 15 Abs. 2 S. 2 InvStG normiert für die Frage der subjektiven Gewerbesteuerpflichtigkeit klar, dass Immobilienfonds von der Gewerbesteuer befreit sind. In der Konsequenz führt eine aktive unternehmerische Bewirtschaftung nicht zur Gewerbesteuerpflicht, sofern nur die Beteiligung an einem Immobilienfond betrachtet wird. Denn es sei bei Immobilienfonds aufsichtsrechtlich zulässig und üblich, dass sie ihre Immobilien mittelbar über Immobilien-Gesellschaften halten.

§ 15 Abs. 2 S. 2 InvStG soll aber dann nicht gelten, wenn die Steuerpflichtigkeit der Immobilien-Gesellschaft selbst (z.B., wenn diese als GmbH oder GmbH & Co. KG betrieben wird) betrachtet wird. Üben Investmentfonds gewerbliche Tätigkeiten, wie das Betreiben von energieerzeugenden Anlagen aus und lagern diese in Immobilien-Gesellschaften aus, kann in solchen Fällen die Immobiliengesellschaft, respektive die hinter ihr stehenden Gesellschafter, der Steuerpflicht unterliegen, sofern die steuerliche Betätigung nicht der Bagatellgrenze in Höhe von 5 Prozent der gesamten jährlichen Einnahmen des Investmentfonds gemäß § 15 Abs. 3 InvStG unterliegt.

Es ergibt sich also ein klarer Widerspruch bei der Behandlung von Immobilienfonds zwischen dem Aufsichtsrecht und dem Steuerrecht. Ein Gleichlauf ergibt sich aus dem Jahressteuergesetz 2022 nur insofern, als dass auch dieses hinsichtlich § 26 Abs. 7a InvStG für Spezialfonds normiert, dass nach § 1 Abs. 1 S. 1 KAGB Investmentvermögen keine operativen tätigen Unternehmen außerhalb des Finanzsektors sein dürfen.

Ist der Hauptzweck eine gewerbliche Tätigkeit, wie die Erzeugung oder Bereitstellung von Strom, ist dies aufsichtsrechtlich unzulässig.

 

3.    Regelung im Regierungsentwurf

Durch den Regierungsentwurf sollen zunächst regulatorischen Widersprüche beseitigt werden.

Er stellt klar, dass bereits de lege lata der Betrieb sogenannter Aufdachanlagen mit Bezug zum bebauten Grundstück zulässig ist. Zugleich erkennt der Entwurf jedoch die Grenzen der derzeitigen Rechtslage an. Es sind bestimmte Situationen denkbar, in denen sich Abgrenzungs- und Auslegungsprobleme ergeben. Produziert eine Erneuerbare-Energie-Anlage mehr Strom, als benötigt wird oder wollen die Mieter diesen nicht abnehmen, sei bisher unklar, ob auch hier von einem Bewirtschaftungsgegenstand auszugehen sei. Für die Umsetzung der Energiewende, müsse jedoch die Nutzung von Dachflächen zur alternativen Energiegewinnung genutzt werden. Es sei daher nicht nachvollziehbar, warum gerade Immobilienfonds auf ihren Dachflächen keine PV-Anlagen aufstellen dürften. Die Ergänzung entspräche der „bisherigen Verwaltungspraxis“. Bewirtschaftung sei dabei nicht im streng technischen Sinne zu verstehen.

Dem Vorschlag der BVI folgend sieht der Regierungsentwurf vor § 1 Abs. 19 Nr. 22 KAGB zu ändern und die Formulierung „zur Bewirtschaftung der Immobilien erforderlichen“ zu ersetzen und pauschal auf Gegenstände im Sinne des § 231 Abs. 3 KAGB zu verweisen. Zusätzlich stellt der neu eingeführte § 231 Abs. 6 KAGB-E klar, dass für offene Immobilienfonds auch die Stromerzeugung zu den zusätzlichen Tätigkeiten zählt.

Neben dieser gesetzgeberischen Klarstellung sieht der Referentenentwurf Änderungen des § 231 KAGB vor. Er führt hierzu durch Anpassung des § 231 Abs. 1 Nr. 3a KAGB-E eine neue Kategorie von Vermögensständen ein und stellt klar, dass Immobilienfonds auch das Investment in unbebaute Grundstücke, die für die Errichtung von Anlagen zur Erzeugung, um Transport und zur Speicherung von Strom, Gas oder Wärme aus erneuerbaren Energien bestimmt sind, ermöglicht wird. Im Gegensatz zur alten Regelung ist damit neben dem Betrieb sogenannter Dachflächenanlagen ausdrücklich auch der Betrieb von Freiflächenanlagen auf unbebauten Grundstücken zulässig. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Gebäude ist nicht mehr erforderlich. Auch hier hat der Regierungsentwurf auf eine Anregung der ZIA reagiert und § 231 Abs. 1 Nr. 3a KAGB auch auf in Bebauung befindliche Grundstücke auszuweiten.  

Der Regierungsentwurf sieht jedoch auch hier, wie schon der Referentenentwurf, Grenzen vor. So soll es unzulässig sein, Anlagen zu erwerben, die sich auf Grundstücken ohne Bezug zum Immobilienfond befinden. Ferner soll der Erwerb Erneuerbarer-Energie-Anlagen nicht Hauptzweck des Immobilienfonds sein. Daher sieht der Entwurf eine Anlagegrenze von 15 Prozent vor.

 

4.    Bewertung durch Literatur und notwendige Folgeänderungen

Sowohl der Referentenentwurf als auch der Regierungsentwurf werden hinsichtlich der Änderungen das KAGB wohl überwiegend positiv rezipiert, da ein schon fast klassischer Meinungsstreit beim Immobilienfonds beendet werde. So bemerkte Dahmen lobend, dass der Referentenentwurf „Klarheit für eine umstrittene Teilmaterie des Investmentrechts“ schaffe. Gemein ist den Stellungnahmen zudem, dass sie ebenfalls notwendige Folgeanpassungen, etwa im Hinblick auf § 26 Nr. 7a InvStG, fordern.

 

II. Wiedereinführung von Mehrheitsstimmenrechten

1.    Regelungen im Regierungsentwurf

Einer der wichtigsten Änderungen durch das ZuFinG ist die Wiedereinführung von Mehrstimmrechtsaktien, die seit 1998 durch den im Rahmen des KonTraG eingeführten § 12 Abs. 2 AktG verboten waren, um einen Gleichlauf von Kapital (und damit wirtschaftlichem Risiko) und Stimmrechtsmacht zu gewährleisten.

Der Regierungsentwurf sieht nun vor, dass das grundsätzliche Verbot in § 12 Abs. 2 AktG aufgehoben wird. Zugleich wird aber durch § 12 S. 2 AktG-E zum Ausdruck gebracht, dass eine Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien nur innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Grenzen möglich ist. Hier unterscheidet sich der Regierungsentwurf vom Referentenentwurf, der eine bloße Aufhebung des Abs. 2 und Streichung der Absatzbezeichnung (1) vorsah.

Ausweislich der Entwurfsbegründung folgt die Wiedereinführung des Mehrstimmrechts internationalen Trends, Bedürfnissen der Unternehmenspraxis und Forderungen im Schrifttum.

Die konkreten Vorgaben zu Mehrstimmrechtsaktien und der Schutz von Bestandsaktionären finden sich im Regierungsentwurf nun in § 135a AktG-E. Der Referentenentwurf regelte die Rahmenbedingungen noch in § 134 Abs. 2 AktG-E. Der § 135a AktG-E ist teilweise sprachlich, aber auch inhaltlich erweitert worden.

Die Entwurfsbegründung ordnet die Mehrstimmrechtsaktien als eigene Gattung ein, die nach § 23 Abs. 3 Nr. 4 AktG in der Satzung auszuweisen ist. § 135a AktG-E beschränkt die Zulässigkeit von Mehrstimmrechtsaktien aber nun nicht auf Fälle, in denen die Gesellschaft eine Börsennotierung in einem KMU-Wachstumsmarkt anstrebt.

Der Regierungsentwurf sieht diverse Beschränkungen des Mehrstimmrechts vor, die dem Corporate Governance-Risikos mangelnder Aktionärskontrolle, der Möglichkeit von Missbräuchen und Interessenkonflikten vorbeugen sollen. So kann nach § 135a Abs. 1 S. 1 AktG-E die Satzung nur Namensaktien mit Mehrstimmrechten vorsehen. § 135a Abs. 1 S. 2 AktG-E enthält eine Stimmrechtsbeschränkung dahingehend, dass die Mehrstimmrechte höchstens das Zehnfache des Stimmrechts nach § 134 Abs. 1 S. 1 AktG betragen dürfen.

Der Beschluss der Hauptversammlung über die Ausstattung oder Ausgabe von Aktien mit Mehrstimmrechten bedarf nach § 135a Abs. 1 S. 3 AktG-E der Zustimmung aller betroffenen Aktionäre. Daraus folgt nach der Entwurfsbegründung zum einen, dass Mehrstimmrechtsaktien nicht durch Ausübung eines genehmigten Kapitals ausgegeben werden können. Zum anderen dürfte § 135a Abs. 1 S. 3 AktG-E dazu führen, dass Mehrstimmrechtsaktienstrukturen faktisch nur in geschlossenen Gesellschaften mit einem überschaubaren Aktionärskreis etabliert werden können.

Dem Schutz der Aktionäre börsennotierter Gesellschaften dient § 135a Abs. 2 S. 2 AktG-E, der eine Veräußerungsverfallsklausel vorsieht. Danach erlöschen Mehrstimmrechte bei einer börsennotierten Gesellschaft im Falle der Übertragung der Mehrstimmrechtsaktie spätestens zehn Jahre nach der Börsennotierung der Gesellschaft, sofern die Satzung keine kürzere Frist vorsieht. Die zeitbezogene Verfallsklausel des § 135a Abs. 2 S. 2 AktG-E kann gemäß § 135a Abs. 2 S. 4 AktG-E in der Satzung modifiziert werden. So kann die vorgenannte Frist in der Satzung um einen bestimmten Zeitraum von bis zu zehn Jahren verlängert werden, wobei der Verlängerungsbeschluss nach § 135a Abs. 2 S. 4 AktG-E frühestens ein Jahr vor Ablauf der Frist nach § 135a Abs. 2 S. 2 AktG-E gefasst werden kann und einer Mehrheit bedarf, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst. Schließlich kann die Satzung für den Fristverlängerungsbeschluss eine größere Kapitalmehrheit bestimmen und weitere Erfordernisse aufstellen, vgl. § 135a Abs. 2 S. 5 AktG-E. Sind mehrere Gattungen von stimmberechtigten Aktien vorhanden, so bedarf der Beschluss nach dem Regierungsentwurf anders als noch beim Referentenentwurf zu seiner Wirksamkeit der Zustimmung der Aktionäre jeder Gattung. Über die Zustimmung haben die Aktionäre jeder Gattung einen Sonderbeschluss zu fassen, § 135a Abs. 2 S. 6 und 7 AktG-E.

Darüber hinaus berechtigen Mehrstimmrechtsaktien bei Beschlüssen nach § 119 Abs. 1 Nr. 5 AktG sowie § 142 Abs. 1 AktG nur zu einer Stimme, § 135a Abs. 4 AktG-E.

Zumindest bei börsennotierten AGs werden dauerhafte Mehrstimmrechte somit durch den Regierungsentwurf ausgeschlossen.

Die Änderungen der §§ 12, 135a AktG erfordern weitere Anpassungen des Aktiengesetzes: zum einen im Hinblick auf die Angaben im Teilnehmerverzeichnis zur Hauptversammlung (§ 129 Abs. 1 S. 2 AktG-E), zum anderen im Hinblick auf die Feststellung der Beschlussfassung bei börsennotierten Gesellschaften (§ 130 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 AktG-E). So soll sichergestellt werden, dass die über das Mehrstimmrecht abgegebenen Stimmen in der notariellen Niederschrift über das Beschlussergebnis nachvollzogen werden können.

Flankiert werden die aktienrechtlichen Neuregelungen durch eine Anpassung des § 49 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WpHG, die die Transparenz im Hinblick auf Mehrstimmrechtsaktien fördern soll. Schließlich sollen Mehrstimmrechtsaktien auch im eWpG Berücksichtigung finden, und zwar im Zusammenhang mit Registereintragungen und Änderungen des Registerinhalts.

Die Regelung des § 135a Abs. 3 AktG-E eröffnet die Möglichkeit, in den Satzungen weitere Einschränkungen von Mehrstimmenrechten vorzunehmen, die über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. Ein Blick in die US-amerikanische Praxis eröffnet dabei zahlreiche spannende Gestaltungsmöglichkeiten durch sunset clauses. So bieten etwa Verwässerungsklauseln einen Schutz, indem sie Mehrstimmen erlöschen lassen, wenn ihr Anteil derart gering geworden ist, dass eine wirksame Kontrolle nicht mehr möglich wäre. Schutz vor dem Verkauf von Aktien mit einfachem Stimmrecht, die oft von Investoren beim Börsengang neben Mehrstimmenaktien erworben werden, bieten Divestitionsklauseln. Des Weiteren kann durch separation based sunset clauses das Bestehen des Mehrstimmenrechts an das Beschäftigungs- und Organverhältnis gekoppelt werden.

Durch den Regierungsentwurf des ZuFinG wird im Ergebnis der Grundsatz „one share - one vote“ zur Übereinstimmung von Stimmrecht und Anteilseigentum mit der Wiedereinführung des Mehrstimmrechts in der Aktiengesellschaft trotz der geregelten Beschränkungen weitgehend aufgeweicht.


2.    Bewertung in der Literatur

Die Wiedereinführung von Mehrstimmenrechten stößt zumindest für nicht börsennotierte Gesellschaften in der Literatur auf – zaghafte - Zustimmung. Denn aktienrechtliche Kapitalmehrheitserfordernisse bieten Aktionären auch weiterhin einen (Mindest-) Schutzstandard. Auch kenne Aktienrecht auch derzeit schon Durchbrechungen des „One Share, one Vote“-Grundsatzes, etwa bei der KGaA oder im Rahmen von Vorzugsaktien im Sinne des § 139 AktG, sodass letztlich zusammenfassend die Privatautotomie der Gründer hinsichtlich der Entscheidung pro und contra Kapitalmarkttauglichkeit den Ausschlag geben muss. Es wird zum Teil darauf hingewiesen, dass bei den schon vielfältig bestehenden Möglichkeiten im Aktienrecht das Mehrstimmrecht sich als nicht entscheidend erweisen dürfte.

Kritischer wird jedoch die Wiedereinführung von Mehrstimmenrechten in börsennotierten Gesellschaften betrachtet. Zuzugeben ist, dass sich der deutsche Gesetzgeber im Licht des EU Listing Acts sowie im Vergleich mit anderen nationalen Rechtsordnungen im Zugzwang befindet, um die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzstandorts Deutschland zu erhalten. Dennoch muss der Wiedereinführung von Mehrstimmenrechten mit erheblichen wirtschaftspolitischen Bedenken begegnet werden. Einerseits entkoppeln diese Stimmengewicht und finanzielle Beteiligung des Aktionärs, was zu opportunistischem Verhalten führen kann. Mehrstimmenrechte blockieren überdies feindliche Übernahmen, die im Gegenzug Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit steigern können. Nicht zuletzt ist das nationale Regulierungsbedürfnis ein anderes und dem Staat wird traditionell eine größere Bedeutung bei der Schaffung wettbewerbsfähiger Organisationsmodelle zugestanden. Dieses Bedürfnis nach einheitlichen und kohärenten Regelungen kommt etwa im Grundsatz der Satzungsstrenge nach § 23 Abs. 5 AktG zum Ausdruck.

Es wird ebenfalls kritisiert, dass die neuen Regelungen nicht ausreichend kapitalmarktrechtlich einbezogen sind. Es wird hier zugestanden, dass der Regierungsentwurf wenigstens die Problematik des passiven Kontrollerwerbs infolge des Erlöschens der Mehrstimmrechte nach § 135a Abs. 2 S. 1, 2 AktG-E anspricht. Dies betreffe den Fall, dass es infolge des Wegfalls der Mehrstimmrechte zu einer Stimmgewichtsverschiebung komme, dass ein Aktionär hierdurch ohne sein Zutun die Kontrollschwelle nach § 29 Abs. 2 WpÜG (30 % der Stimmrechte) überschreite. Dies würde eigentlich automatisch u.a. eine Pflicht zur Abgabe einer Kontrollerwerbsmitteilung sowie eines Erwerbsangebots hinsichtlich der übrigen Aktien auslösen, § 35 Abs. 1 S. 1, 2 S. 1 WpÜG. Hier stelle die Regierungsbegründung klar, dass eine Befreiung des passiven Kontrollerwerbers von diesen übernahmerechtlichen Pflichten gem. § 37 Abs. 1, 2 WpÜG i.V.m. § 9 S. 1 Nr. 5 WpÜG-Angebots-VO (Verringerung der Gesamtzahl der Stimmrechte an der Zielgesellschaft) möglich sei. Es dürfe aber nicht verkannt werden, dass eine solche Befreiung nicht ipso iure erfolge. Es müsse gem. § 37 Abs. 1 WpÜG ein schriftlicher Antrag bei der BaFin gestellt werden und ein entsprechender begünstigender Verwaltungsakt durch erlassen werden. In der Literatur werden demnach weitere Nachbesserungen am Regierungsentwurf verlangt.

 

III. Weitere Regelungen

Im Weiteren ist Folgendes vorgesehen:

  • Mit der Änderung des AktG soll das deutsche Recht für elektronische Aktien geöffnet werden und zwar für elektronische Namensaktien, die in ein zentrales Register gemäß § 12 eWpG oder in ein Kryptowertpapierregister gemäß § 16 eWpG eingetragen sind, und für elektronische Inhaberaktien, die in ein zentrales Register gemäß § 12 eWpG eingetragen sind:

    § 10 wird wie folgt geändert: „[…] die Verbriefung ausgeschlossen ist und die Aktie in einem zentralen Wertpapierregister gemäß § 12 des Gesetzes über elektronische Wertpapiere eingetragen wird.

    Absatz 6 wird angefügt:

    (6) „In der Satzung ist die Verbriefung für solche Aktien auszuschließen, die als elektronische Aktien in einem elektronischen Wertpapierregister eingetragen werden. Die Eintragung in ein Kryptowertpapierregister gemäß § 16 des Gesetzes über elektronische Wertpapiere ist nur zulässig, wenn dies in der Satzung ausdrücklich zugelassen ist.“
     
  • Änderungen des Kapitalerhöhungsrechts durch Anhebung der Höchstgrenzen in § 186 III S. 4, § 192 III S. 1 AktG-E
  • Einführung von Vorschriften für „Special Purpose Acquisition Companies“ (SPACs) bzw. börsennotierte Mantelgesellschaften ohne eigenes operatives Geschäft, §§ 44 ff. BörsG-E
  • Schriftformerfordernisse im Aufsichtsrecht sollen durch digitale Kommunikationsmöglichkeiten ersetzt werden.
  • Es werden absehbare europäische Vorgaben zum Schutz des von Kryptoverwahrern verwahrten Kundenvermögens umgesetzt und der Umgang mit Kryptowerten in deren Insolvenz klargestellt.
  • Soweit Wettbewerbsnachteile für den Finanzstandort Deutschland aus ungleicher Umsetzung europarechtlicher Vorgaben herrühren (Umsatzsteuerbefreiung für die Verwaltung von Wagniskapitalfonds sowie für die Verwaltungsleistungen von Konsortialführern), erfolgt eine Angleichung an die rechtlichen Rahmenbedingungen in anderen europäischen Mitgliedstaaten.
  • Die bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zu errichtende Website zum Vergleich der Entgelte für Zahlungskonten soll für mehr Transparenz und damit mehr Wettbewerb sorgen.
  • Der deutsche Finanzmarkt durch die explizite Möglichkeit, mit der Bundesanstalt auch auf Englisch zu kommunizieren, für internationale Teilnehmer noch attraktiver werden.
  • Durch verbesserte steuerliche Rahmenbedingungen für die Mitarbeiterkapitalbeteiligung soll es jungen Unternehmen erleichtert werden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen und sich im internationalen Wettbewerb um Talente zu behaupten.

 

IV. Weiterer Gesetzgebungsprozess

Am 21. September 2023 wurde im Bundestag über den Regierungsentwurf beraten und der Entwurf an die zuständigen Ausschüsse überwiesen. Der Bundesrat tagte am 29. September 2023 und hat in seiner Stellungnahme einige Änderungswünsche vorgetragen. Die Bundesregierung hat ihre Gegenäußerung zu den Vorschlägen des Bundesrates am 6. Oktober 2023 veröffentlicht. Der Finanzausschluss tagte am 11. Oktober 2023 in öffentlicher Anhörung.

Die Bundesregierung hat angekündigt, das Gesetz noch im Laufe dieses Jahres verabschieden zu wollen.

 

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