Neues zur virtuellen Gesellschafterversammlung

Der deutsche Gesetzgeber hatte zwar in § 118 Abs. 2 AktG schon die Option für virtuelle/hybride Anteilseignerversammlungen vorgesehen, von dieser wurde in der Praxis jedoch aufgrund befürchteter Anfechtungsrisiken wenig Gebrauch gemacht. Mit dem Beginn der Corona-Krise stellte sich dann für viele Gesellschaften die Frage, inwieweit sie die durch die Corona-Krise bedingten Kontaktbeschränkungen und Einschränkungen für Ansammlungen von einer Vielzahl von Personen bewältigen können. Viele Gesellschaften in der Rechtsform der Personengesellschaft, der GmbH, aber auch des Vereins und der Genossenschaft wichen, wenn sie nicht sehr große Anteilseignerkreise hatten, auf Versammlungen in Präsenz unter Ausnutzung von Vollmachten aus. Viele Gesellschaften hatten darüber hinaus in ihren Gesellschafterverträgen und Satzungen schon die Grundlage dafür gelegt, auch virtuelle Versammlungen durchführen zu können. Auch wenn nach bisher herrschender Meinung der Gesetzgeber den Versammlungsbegriff überwiegend als eine Versammlung in Präsenz angesehen hat, ging die überwiegende Meinung davon aus, dass den Gesellschaften die Option offensteht, durch Satzung auch auf virtuelle Formate auszuweichen. Nach herrschender Auffassung war es allerdings so, dass wichtige Beschlüsse, wie die Zustimmung zu einer Umwandlungsmaßnahme, in einer Präsenzversammlung gefasst werden mussten. Eher beiläufig und an versteckter Stelle hat die Bundesregierung in der Regierungsbegründung zum MoPeG (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz) festgehalten, dass eine Versammlung auch als eine Beschlussfassung im nicht präsenten Bereich verstanden werden könne. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass bei Personen(handels)gesellschaften ohnehin keine gesetzlichen Regelungen zur Versammlung bestehen und nur ausnahmsweise im Umwandlungsgesetz Vorgaben enthalten sind.

In einem Gerichtsverfahren hatte das OLG Karlsruhe die Ansicht vertreten, dass der Zustimmungsbeschluss einer Vertreterversammlung einer Genossenschaft zu einer Umwandlungsmaßnahme nur in einer notariell beurkundeten Präsenzversammlung gefasst werden könne. Angesichts der Beschränkungen durch die Corona-Krise haben alle Genossenschaftsverbände massiven Druck auf die Bundesregierung ausgeübt und dafür gesorgt, dass mit dem Gesetz vom 7. Juli 2021 (BGBl. I 2021, 2363) rückwirkend zum 28.03.2020 festgelegt wurde, dass unter Geltung der Corona-Gesetzgebung auch virtuelle/hybride Beschlussfassungen zu Umwandlungsmaßnahmen von Genossenschaften ermöglicht werden.

Das COVMG mit seinen diversen Novellierungen hat diese Option nach überwiegender Ansicht auch für Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA), SE und Vereine geschaffen. Die Gesetzgebung läuft jedoch zum 31.08.2022 aus.

Für die Aktiengesellschaft liegt nunmehr ein Referentenentwurf für die virtuelle Hauptversammlung vor. Obwohl die Regierungsbegründung behauptet, dass durch die virtuellen Versammlungen während der Corona-Zeit, die in der Wahrheit hybride Versammlungen waren, weil an einem Versammlungsplatz sowohl der Versammlungsleiter sowie – soweit notwendig – der Notar und in der Regel auch der Vorstand anwesend war, zu einer Steigerung der Präsenzzahlen geführt hätten, wird dies durch neuesten Untersuchungen widerlegt. Darüber hinaus basiert die gesamte Begründung für die nun vorgesehene virtuelle/hybride Hauptversammlung auf den Schwierigkeiten, die Präsenzversammlungen für Börsengesellschaften auslösen. Gleichwohl soll wohl für alle Aktiengesellschaften das Gesetz zur Anwendung kommen. Eine genaue Würdigung dieses Gesetzes wird mit einem weiteren Beitrag auf dieser Homepage erfolgen.

Mit einer aktuellen Entscheidung hat der Bundesgerichtshof eine breite Diskussion zu der Frage ausgelöst, inwieweit ganz generell virtuelle Versammlungen auch im Bereich zwingend notariell zu beurkundender Beschlüsse zulässig sind. Ausgangspunkt dieser Entscheidung war die o.g. Entscheidung des OLG Karlsruhe zur Versammlung einer Genossenschaft. Obwohl ja der Gesetzgeber bereits rückwirkend für die Zeit der Geltung der Corona-Regeln die Zulässigkeit der Beschlussfassung auch zu Umwandlungsmaßnahmen im hybriden Veranstaltungsmodus ermöglicht hat, hat der Bundesgerichtshof durch seinen II. Zivilsenat hier nochmals umfangreicher Stellung genommen. Wichtig ist, dass der II. Zivilsenat darauf hinweist, dass eine derartige hybride Versammlung nur dann einen Umwandlungsbeschluss fassen kann, wenn er notariell beurkundet wird und eine sog. Zwei-Wege-Kommunikation ermöglicht wird. Die derzeit noch für die Aktiengesellschaft geltenden Regelungen sehen dies eigentlich nicht vor und somit hat der II. Zivilsenat die Anforderungen im Bereich der Genossenschaft, aber auch ganz allgemein, gesteigert. Teilweise wird aus der Entscheidung herausgelesen, dass nun generell virtuelle Versammlungen stets und ohne Weiteres, insbesondere auch ohne Zulassung durch den Gesetzgeber oder die Satzung möglich seien. Mit einem Aufsatz in der ZIP (ZIP 2022, 461 ff.) stelle ich gemeinsam mit Raphael Hilser den derzeitigen Stand der Diskussion dar und zeichne die Entwicklungslinien nach. Die Entscheidung des BGH wird in dieses Umfeld gestellt und der überzogenen Interpretation dieser Entscheidung eine Absage erteilt. Wir stellen dar, wie der Versammlungsbegriff zu verstehen ist und welche Merkmale eigentlich eine Versammlung ausmachen. Derzeit herrscht gerade im juristischen Bereich die Auffassung, die Digitalisierung müsse ihren Weg grenzen- und schrankenlos nehmen. Wir zeigen auf, dass digitale Formate sinnvoll sein können, um Ressourcen, Zeit und Kosten zu sparen und gerade für Durchlauftermine und Informationsveranstaltungen eine gute Alternative sind. Die Unternehmen sollten daher virtuelle Formate zulassen und ihre Satzungen insoweit anpassen. Wir zeigen aber auch auf, dass virtuelle Formate Schwächen haben und in Teilbereichen wichtige Elemente einer Kommunikation nicht abbilden können. Der kommunikative Charakter einer Versammlung leidet unter virtuellen Formaten, Mimik und Gestik bleiben ebenso auf der Strecke wie die Lebhaftigkeit und die Debattenkultur. In der derzeitigen Diskussion wird völlig ausgeblendet, dass ganz grundsätzlich jeder Gesellschafter einen Anspruch darauf hat, dass eine Gesellschafterversammlung, und zwar bei allen Gesellschaftsformen, grundsätzlich im diskreten und für Dritte unzugänglichen Rahmen stattzufinden hat. Nur mit Zustimmung der Anteilseigner kann die Öffentlichkeit oder auch die Presse zugelassen werden. Es handelt sich hier nach einer starken Auffassung in der Lehre um ein nicht entziehbares Individualrecht. Darüber hinaus besteht auch das Recht eines jeden Gesellschafters auf Durchführung einer Präsenzversammlung. Dies sind nicht überholte Grundsätze, sondern sie beruhen darauf, dass man in einer Präsenzversammlung viel besser diskutieren kann, gerade wenn es um hoch streitige Angelegenheiten geht. Hier kann debattiert und dazwischengeredet werden und auch immer wieder der direkte Kontakt mit den anderen Gesellschaftern gesucht und gefunden werden.

Diskretion ist aber auch deswegen wichtig, weil eine im Privaten durchgeführte Versammlung einem viel geringeren Risiko des Zugriffs Dritter, insbesondere der Konkurrenz etc., unterliegt. Es dürfte unstreitig sein, dass Telefonkonferenzen und insbesondere Videokonferenzen selbst unter Verwendung von Zugangscodes für Dritte ohne größere Probleme zugänglich sind, mitgeschnitten werden können und dies bei Versammlungsteilnehmern, die in Ländern sitzen, bei denen staatlicherseits praktisch jede Kommunikation verfolgt wird, enorme Risiken auslöst. Auch die Manipulation von Abstimmungsvorgängen durch das Eindringen unbefugter Dritter sowie das Hacken ganzer Versammlungen kann ohne Weiteres stattfinden und hat bereits stattgefunden.

Der Beitrag (Heckschen/Hilser, ZIP 2022, 461 ff.) zeigt die Entwicklung der Rechtsprechung in den letzten Jahren insbesondere unter der Geltung der Corona-Regeln auf, ordnet die Entscheidung des BGH neu ein und gibt kritische Hinweise.

Ausf. zur Thematik auch Heckschen, in: Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Stand: Februar 2022, § 13 Rz. 41 ff.

Autor: Prof. Dr. Heribert Heckschen, Notar, Dresden

 

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