Ein gemeinsames Vereinsrecht für die EU? - Initiative für die „European cross-border association”

Wenn es nach dem Willen des EU-Parlamentes und der Kommission geht, soll mit der „European cross-border association“ (ECBA) in der EU eine neue Rechtsform für gemeinnützige Vereine eingeführt werden. Europäische Vereine sollen dabei den Zusatz „EA“ bzw. „European Association“ tragen. Bislang ist das Vereinswesen den unterschiedlichen nationalen Rechtsrahmen der 27 EU-Mitgliedsstaaten unterworfen. Dies erschwert länderübergreifende Aktivitäten und den Zugang zu Finanzmitteln erheblich. Die Einführung eines europäischen Vereinsstatuts könnte einen europäischen Binnenmarkt für gemeinnützige Organisationen schaffen. Dieser Artikel untersucht vorangegangene Bemühungen und stellt die Kernpunkte des Verordnungsentwurfs dar.

 

I. Bisherige Rechtslage

1. Nationales Vereinsrecht

Vereine ohne Erwerbszwecke sind in Schlüsselbereichen des gesellschaftspolitischen Lebens tätig. Sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag hinsichtlich der Bereitstellung von Bildungsangeboten, Sozialdiensten, Pflegeeinrichtungen und nicht zuletzt auch sportlichen oder wissenschaftlichen Initiativen. In der EU existieren derzeit etwa 3,8 Millionen eingetragene Vereine. Diese tragen ca. 2,9 Prozent zum europäischen BIP bei. Über 600.000 nichterwerbswirtschaftliche Vereine entfallen davon nach Erhebungen der Friedrich-Ebert-Stiftung allein auf Deutschland.

Bislang wird das Vereinsrecht allerdings individuell von den Mitgliedsstaaten geregelt. Eine länderübergreifende Tätigkeit ist für die Akteure mit hohen administrativen und rechtlichen Hürden verbunden. So können in der Praxis etwa Probleme bei der Eröffnung eines Bankkontos, der Beschaffung und Abrechnung ausländischer Mittel oder der Beantragung von öffentlichen Fördergeldern auftreten. Zusätzlich erschwert werden grenzüberschreitende Vorhaben von Vereinen ohne Erwerbszweck durch steuerrechtliche Fragen. Ferner führt ein erhöhter Verwaltungsaufwand zu höheren Transaktionskosten.

Der EU-Parlamentsabgeordnete Sergey Lagodinsky unterbreitete daher am 19.01.2022 eine Initiative für ein europäisches Vereinsstatut. Dies mündete am 17.02.2022 in einer Richtlinien-Empfehlung des Europäischen Parlaments für länderübergreifende Europäische Vereine und Organisationen ohne Erwerbszweck gemäß Art. 225 AEUV. Die Kommission stimmte dem Vorschlag am 5.9.2023 zu, sodass er erneut dem Europäischen Parlament und Rat zur Billigung vorgelegt ist.

 

2. Historische Legislativvorhaben

Die Idee vereinheitlichender Rahmenbedingungen für gemeinnützige Vereine stellt keineswegs ein Novum in der EU dar. Bereits seit rund 40 Jahren wird die Idee eines europäischen Vereinsstatutes diskutiert. So hob etwa der Bericht vom damalig belgischen Ministerpräsidenten Leo Tindemanns aus dem Jahr 1975 die Bedeutung von Vereinen und Stiftungen als „basisdemokratisches Element“ für ein bürgernahes Europa hervor.

Am 12.03.1987 diskutierte das europäische Parlament nach Initiative von Nicolas Fontaine erstmals über Steuererleichterungen und ein harmonisiertes Besteuerungsregime für gemeinnützige Vereine. Dabei wurde die Machbarkeit eines solchen Vorhabens evaluiert. Die Europäische Kommission griff den Vorschlag im Jahr 1993 wieder auf und unterbreitete einen Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über das Statut des Europäischen Vereins. Der Vorschlag scheiterte insbesondere am Widerstand der Regierungsvertreter Dänemarks, des Vereinigten Königreiches und Deutschlands. Zum einen wurde die Zuständigkeit des europäischen Gesetzgebers für gemeinnützige Vereine in Frage gestellt. Zum anderen ging der Entwurf den Kritikern nicht weit genug, da weiterhin eine Vielzahl administrativer und rechtlicher Hürden in dem Entwurf existiere. Offiziell wurde das Legislativvorhaben im Jahr 2005 zurückgenommen.

Infolge der Bemühungen einiger Interessenvertreter verabschiedete das EU-Parlament im März 2011 eine gemeinsame Erklärung, in welcher es die EU-Kommission dazu aufforderte, Schritte für ein gemeinsames Statut nicht nichterwerbswirtschaftlicher Verbände und Stiftungen zu unternehmen. Dieser Vorschlag wurde zunächst aufgegriffen. Die Bemühungen einer Europäischen Stiftung wurden jedoch im Jahr 2015 erfolglos eingestellt.

 

2. Etablierte supranationale Rechtsformen in der EU

Andere supranationale Rechtsformen wurden in der Vergangenheit dagegen erfolgreich geschaffen. Im Jahr 1985 wurde das eigenständige Rechtssubjekt der Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) eingeführt. Ferner wurde im Jahr 2001 die Europäische Aktiengesellschaft (SE) nach fast vierzigjähriger Planungszeit geschaffen. Zwei Jahre später kam die Europäische Genossenschaft (SCE) hinzu. Außerdem werden europapolitische Parteien und damit verbundene politische Stiftungen seit dem Jahr 2014 als eigenständige Rechtsträger anerkannt.

 

II. Entwurfsinhalte

Zeitgleich mit der Initiative eines Europäischen Vereinsstatutes wurde ein Vorschlag für eine Richtlinie mit Mindeststandards für Non-Profit-Organisationen in der EU mit breiter Mehrheit vom EU-Parlament angenommen und der Kommission vorgelegt. Anders als die Vorentwürfe akzentuieren die beiden Initiativen einen verstärkten Schutz von regierungskritischen Institutionen vor staatlichen Repressalien und eine Stärkung der Vereinigungsfreiheit. So sollen vor allem zivilgesellschaftliche Aktivitäten in Osteuropa gewährleistet werden.

Der Europäische Verein wird gemäß Art. 1 Nr. 2 Verordnungsentwurf folgendermaßen definiert:

„Ein Europäischer Verein ist ein unabhängiges und selbstverwaltetes länderübergreifendes Rechtssubjekt, das durch freiwillige Vereinbarung zwischen natürlichen oder juristischen Personen auf dem Gebiet der Union auf Dauer gegründet wird, um einen gemeinsamen nicht gewinnorientierten Zweck zu verfolgen.“

Inhaltlich sieht das Vorhaben folgende Neuerungen vor:

 

1. Eigenständige Rechtsform

Nach Artikel 13 Verordnungsentwurf hat ein Europäischer Verein eigene Rechtspersönlichkeit. Er kann also durch Vertrag berechtigt und verpflichtet werden und unter eigenem Namen klagen oder verklagt werden. Parallel soll ein europäisches Vereinsregister in Form einer Datenbank geschaffen werden. Nach Bekanntmachung der Eintragung können Vereine uneingeschränkt ihre Rechte ausüben. Der neue Rechtsstatus soll einen ungehinderten und diskriminierungsfreien Zugang zu Finanzierungsmitteln in den Zielländern ermöglichen. Außerdem können Spenden oder Nachlässe erleichtert angenommen werden.

Die Gründung einer „EA“ erfolgt entweder durch Vereinbarung, Umwandlung oder Zusammenschluss von zwei bestehenden europäischen Vereinen. Bei einer Gründung durch Vereinbarung muss die zuständige Vereinsbehörde des Vereinssitzes spätestens innerhalb von 30 Tagen über den Antrag entscheiden.

 

2. Automatische Anerkennung

Mithilfe einer sogenannten ECBA-Bescheinigung sollen Europäische Vereine automatisch anerkannt werden. Diese Bescheinigung weist enge Parallelen zum EU-Gesellschaftszertifikat auf, welches mit dem Entwurf der zweiten Digitalisierungsrichtlinie eingeführt werden soll.
 

3. Ausschuss für Europäische Vereine

Besonders hervorzuheben ist auch die Einrichtung eines neuen europäischen Behördenapparates. Der Ausschuss für Europäische Vereine gemäß Art. 5 Verordnungsentwurf soll an nationale Vereinsbehörden gekoppelt werden und ist für eine einheitliche Anwendung des Verordnungsentwurfes und die Entgegennahme von Beschwerden zuständig. Zum Beispiel bei einer Beschwerde des Antragstellers im Fall der Versagung des Gründungsantrages durch die nationale Vereinsbehörde. Der europäische Vereinsausschuss orientiert sich rechtstechnisch am „Europäischen Datenschutzausschuss“ im Sinne der DS-GVO.

 

4. Freie Sitzwahl

Art. 12 des Verordnungsentwurfes gewährleistet im Grundsatz eine freie Sitzwahl des Europäischen Vereins innerhalb des Hoheitsgebietes der EU. Dabei soll sichergestellt werden, dass der Rechtsträger seine Vermögenswerte und Unterlagen ohne zusätzliche Hindernisse verlegen kann. Eine Niederlassung in einem Mitgliedsstaat kann von diesem nur durch Einspruch innerhalb von zwei Monaten abgelehnt werden, sofern Sicherheitsbedenken bestehen, Art. 12 Abs. 8 Verordnungsentwurf. Zulässiges Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist eine Beschwerde vor dem oben benannten Ausschuss.

 

5. Europäische Gemeinnützigkeitsstatus

Von wichtiger Bedeutung ist die in Art. 20 Verordnungsentwurf Konkretisierung der „Gemeinnützigkeit“ eines Vereins. Dazu enthält die Norm eine katalogartige Aufzählung. Aus dem Wortlaut „unter anderem“ ergibt sich, dass diese Regelbeispiele nicht abschließender Natur sind. Die Bestimmung in Art. 20 Verordnungsentwurf wurde erst im zweiten Entwurf hinzugefügt. Eine vergleichbare Passage fand sich in der Art. 50 Abs. 2 im gescheiterten Verordnungsentwurf zur Europäischen Stiftung. Das unionsübergreifende Definieren des Status „Gemeinnützigkeit“ ist im Hinblick auf die kulturellen Unterschiede und zum Teil erheblich auseinanderfallenden Wertevorstellungen unter den Mitgliedsstaaten ein ambitioniertes Vorhaben. Eine Grundlage schafft dabei die EU-Grundrechtscharta, durch welche Wertevorstellung auf „einen Nenner“ gebracht werden.

 

6. Öffentliches Vereinsrecht

In Art. 28 Verordnungsentwurf wird neben der „freiwilligen Vereinsauflösung“ (Art. 27) die „unfreiwillige Auflösung“ eingeführt. Der EU-Gesetzgeber schafft damit faktisch ein „Europäisches Vereinsordnungsrecht“. Zwangsweise kann ein Europäischer Verein in drei Szenarien aufgelöst werden: (i) der Verein verlegt seinen Sitz außerhalb des Hoheitsgebietes der EU, (ii) der Verein erfüllt nicht mehr die Bedingungen für die Bildung eines Europäischen Vereins im Sinne des Verordnungsentwurfs oder (iii) der Verein verstößt gegen die Werteordnung der EU bzw. stellt eine schwerwiegende Bedrohung für die öffentliche Sicherheit dar.

 

III. Schlussfolgerungen

Der Verordnungsentwurf ist insgesamt zu begrüßen. Dadurch könnte ein europäischer Binnenmarkt für soziale und philanthropische Themen geschaffen werden. Die innereuropäische Zusammenarbeit könnte effizienter gestaltet werden. Auch wäre aufgrund einer Herabsetzung von rechtlichen Hürden und Transaktionskosten mit einer erhöhten Produktivität zu rechnen. Ob sich die Initiative jedoch dieses Mal durchsetzen sollte, bleibt dennoch fraglich. Die Einführung einer supranationalen Rechtsform stellt gemäß Art. 352 Abs. 1 AEUV eine Kompetenzänderung dar und kann nur durch Einstimmigkeit beschlossen werden. Im Verordnungsentwurf von 1993 konnte bereits unter 15 Mitgliedsstaaten kein Konsens erzielt werden. Aktuell hat die EU 27 stimmberechtigte Mitglieder. Eine einstimmige Entscheidung erscheint dabei heute mehr denn je fraglich, da durch das Vereinsstatut insbesondere regierungskritische Organisationen in Osteuropa gestärkt werden sollen.

 

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