Direkte Sterbehilfe in der Patientenverfügung

Nur wenige rechtspolitische Themen beschäftigen die Öffentlichkeit so sehr wie die Möglichkeit der Inanspruchnahme von (direkter) Sterbehilfe. In der Debatte um die Sterbehilfe brachte zuletzt eine fraktionsübergreifende Gruppe im Januar 2022 einen Vorschlag zur Neuregelung der Sterbehilfe, insb. des § 217 StGB, in den Bundestag ein. Der Gesetzesentwurf soll den für die Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung besonders sensiblen Bereich der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung regeln (BT-Drucks. 20/904, S. 2). Hintergrund hierfür war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.03.2020 -  2 BvR 2347/15, mit dem das bestehende Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt wurde.

 

1. Strafbarkeit der direkten Sterbehilfe

Sterbehilfe umfasst zunächst den Behandlungsabbruch, also das Unterlassen, Beenden oder Begrenzen lebenserhaltender Maßnahmen. Liegt kein reiner Behandlungsabbruch vor, kann es sich um direkte Sterbehilfe, also eine gezielte Lebensverkürzung, oder indirekte Sterbehilfe handeln. Bei indirekter Sterbehilfe ist die Lebensverkürzung eine „Nebenwirkung“.
Die direkte Sterbehilfe ist nach § 216 Abs. 1 StGB (Tötung auf Verlangen durch einen Dritten) strafbar. Das gilt auch dann, wenn der Betroffene ausdrücklich und ernstlich das Verlangen nach der Beendigung des Lebens äußert.

Mit Urteil vom 26.03.2020 - 2 BvR 2347/15 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG als Ausdruck persönlicher Autonomie auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, mit ein. Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen. Das in § 217 Abs. 1 StGB strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung macht es Sterbewilligen praktisch unmöglich, Hilfe zur Selbsttötung in Anspruch zu nehmen. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in § 217 Abs. 1 StGB verengt die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung in einem solchen Umfang, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit verbleibt.

Im Ergebnis ist § 217 Abs. 1 StGB aufgrund des unverhältnismäßigen Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Sterbewilligen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verfassungswidrig.
Es stellt sich anschließend die Frage, ob auch § 216 Abs. 1 StGB, in Anlehnung an die Entscheidung zu § 217 Abs. 1 StGB,  in bestimmten Fällen verfassungswidrig sein könnte.

 

a) Betroffener kann noch aktiv seinen Tod herbeiführen

Kann der Betroffene noch selbst aktiv seinen Tod herbeiführen, ist die Beschaffung der tödlichen Medikamente nicht (mehr) nach § 217 StGB aufgrund dessen Verfassungswidrigkeit strafbar. Wird die direkte Sterbehilfe in diesem Fall von einer anderen Person durchgeführt, liegt jedoch ein Fall des § 216 StGB vor. Eine Verfassungswidrigkeit des § 216 StGB kommt in diesem Fall nicht in Betracht. Zwar könnte ein Eingriff in die Grundrechte des Sterbewilligen bejaht werden, dieser dürfte jedoch nicht unverhältnismäßig sein, da die Strafbarkeit nach § 217 StGB weggefallen ist. Kann die Person selbst aktiv ihren Tod herbeiführen, ist sie nicht zwingend auf direkte Sterbehilfe durch einen Dritten angewiesen.

 

b) Betroffener kann seinen Tod nicht mehr selbst aktiv herbeiführen

In extremen Ausnahmefällen, in denen die Person ihren Tod nicht mehr selbst herbeiführen kann und einen Sterbewunsch äußert,  könnte § 216 StGB verfassungswidrig sein. Hier liegt ein Eingriff in die Grundrechte des Sterbewilligen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG vor, der nach oben ausgeführter Argumentation des BVerfG nicht gerechtfertigt werden kann. Ohne die direkte Sterbehilfe eines Dritten kann die Person nicht selbst über ihren Tod entscheiden.

 

2. Vorschläge der Literatur zur Neuregelung des § 216 StGB

In der Literatur (siehe dazu auch Lindner, NStZ 2020, 505) wird vorgeschlagen, einen neuen dritten Absatz einzufügen. In diesem sollte eine Ausnahme geregelt werden für den Fall, dass die sterbewillige Person aufgrund tatsächlicher Umstände zu einer Suizidhandlung auch unter Inanspruchnahme der Hilfe Dritter und technischer Unterstützung nicht mehr in der Lage ist.  In einem vierten Absatz sollte geregelt werden, dass die Tötung auf Verlangen unter den Voraussetzungen des Absatzes 3 nur zulässig ist, wenn der frei verantwortlich gebildete Wille der sterbewilligen Person zweifelsfrei erkennbar ist. Davon haben sich zwei Personen, darunter ein Arzt oder eine Ärztin, unabhängig voneinander zu überzeugen und die schriftlich zu begründen. Darüber hinaus müssen zwei Ärzte unabhängig voneinander feststellen und schriftlich begründen und dokumentieren, dass der betreffenden Person eine suizidale Handlung aus tatsächlichen Gründen auch unter Inanspruchnahme technischer Unterstützung nicht möglich ist.

 

3. Möglichkeiten für die Patientenverfügung

Kann die betreffende Person die Tötungshandlung nicht mehr selbstständig vornehmen, könnte zwar eine partielle Verfassungswidrigkeit des § 216 StGB vorliegen. Das BVerfG hat hierüber jedoch noch nicht entschieden. Bisher liegen auch keine Gesetzesvorschläge zur Änderung des § 216 StGB vor.

Sollte es jedoch zu einer Änderung des § 216 StGB angelehnt an oben beschriebene Formulierungsmöglichkeit kommen, ist der Sterbewille des Betroffenen eindeutig festzustellen. Dieser Sterbewille könnte bereits jetzt vorsorglich in einer Patientenverfügung festgehalten werden.

Hieraus könnten sich jedoch auch Folgeprobleme entwickeln:

 

a) Wäre ein zulässiger Behandlungsabbruch ausreichend, wenn eine Person direkt Sterbehilfe benötigt?

Die direkte Sterbehilfe kommt vermutlich nur bei Personen in Betracht, die selbst ihren Tod nicht mehr herbeiführen können. Wenn jedoch keine motorische Handlung mehr vorgenommen werden kann, genüge dann noch in einer Vielzahl von Fällen der einfache Behandlungsabbruch?

 

b) Ist eine Willensäußerung zum jetzigen Zeitpunkt schon bestimmt genug, wenn noch nicht klar ist, wie eine mögliche gesetzliche Regelung formuliert sein wird?

Hier könnte das Problem entstehen, dass der Gesetzgeber in einer zukünftigen Regelung nur ein bestimmtes Medikament oder eine bestimmte Methode für die direkte Sterbehilfe zulässt. Dieses Mittel oder diese Methode könnte den moralischen oder religiösen Vorstellungen des Betroffenen widersprechen. Kann der Betroffene für den Fall des Eingreifens der direkten Sterbehilfe nicht mehr aktiv seinen Willen äußern, könnte die Vornahme der direkten Sterbehilfe nach der neuen gesetzlichen Regelung gegen dessen tatsächlichen Willen widersprechen.

 

c) Es ist zu empfehlen, dass der Betroffene in seiner Patientenverfügung (angelehnt an den Behandlungsabbruch) Fallgruppen bestimmt, in denen er eine direkte Sterbehilfe in Anspruch nehmen möchte. Was passiert, wenn keine der zuvor bestimmten Fallgruppen eingreift, der Betroffene aber dennoch direkte Sterbehilfe wünscht?

Möglich wäre, dass, ähnlich wie beim Behandlungsabbruch, der behandelnde Arzt entscheidet. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass die direkte Sterbehilfe einen stärkeren Eingriff darstellt als der Behandlungsabbruch. Darüber hinaus könnte Missbrauchsgefahr bestehen. Dass in diesem Fall keine direkte Sterbehilfe in Anspruch genommen werden kann, würde in diesem Fall dem tatsächlichen Willen des Betroffenen widersprechen.

Die vorgenannten Punkte zeigen, dass es sich empfiehlt, eine entsprechende Patientenverfügung regelmäßig zu aktualisieren und bspw. Fallgruppen zu ergänzen oder Behandlungsmethoden auszuschließen.

 

4. Triage Entscheidungen in der Patientenverfügung

Daran anknüpfend stellt sich die Frage, ob der Betroffene in einer Patientenverfügung den behandelnden Ärzten die Triage-Entscheidung abnehmen und zu Gunsten eines Dritten einen Verzicht erklären kann. Ein solcher Selbstverzicht ist im Sinne der Privatautonomie möglich.

In der Literatur (Neumann, notar 2022, 22 ff.) findet sich folgendes Formulierungsbeispiel:

 

a)    Bestimmungen für den Fall einer Triage:

Sollte es zum – von zwei voneinander in jeglicher Hinsicht unabhängiger Ärztinnen oder Ärzten bestätigen – Fall einer Triage oder Allokation medizinischer Ressourcen im Falle eines Kapazitätsmangels kommen, so weise ich alle mich behandelnden Ärztinnen oder Ärzte an, einem Menschen mit Behinderung mir gegenüber ohne Rücksicht auf alle anderen ärztlichen Kriterien den absoluten Vorrang zu gewähren.

Ich verzichte bereits jetzt endgültig und ausdrücklich zugunsten eines Menschen mit Behinderung auf eine intensivmedizinische Behandlung im Falle der Triage oder Allokation medizinischer Ressourcen im Falle eines Kapazitätsmangels.

In jeglicher Hinsicht unabhängig sind Ärztinnen und Ärzte, wenn weder

(i) der eine Arzt bei dem anderen Arzt angestellt oder in anderer Weise für diesen tätig ist,
(ii) noch der eine Arzt sich in einem Fort- oder Ausbildungsverhältnis zu dem anderen Arzt befand oder noch befindet,
(iii) noch der eine Arzt dem anderen Arzt direkt noch indirekt weisungsgebunden (z. B. im Rahmen einer Anstellung bei ein und demselben Anstellungsträger) ist.

 

b)    Salvatorische Klausel

Sollten einzelne der vorstehenden Anordnungen gegenwärtig oder aber zukünftig rechtsunwirksam sein oder werden oder ich als undurchführbar erweisen, so sollen alle übrigen Anordnungen gleichwohl wirksam bleiben. Weiterhin wünsche ich, dass in einem solchen Fall die undurchführbare oder unwirksame Anordnung durch eine Anordnung ersetzt wird, die wirksam und durchführbar ist und dem Sinn und Zweck der rechtsunwirksamen oder undurchführbaren Anordnung möglichst nachkommt. Entsprechendes soll gelten, falls vorstehenden Anordnungen ergänzungsbedürftige Lücken aufweisen. Die Notarin/der Notar hat mich darüber belehrt, dass derzeit nicht sicher beurteilt werden kann, ob die Anordnung in Abschnitt II zur vorweggenommenen Triage-Entscheidung Wirkung entfalten werden. Dies gilt insbesondere von dem Hintergrund einer zu erwartenden gesetzlichen Regelung in diesem Bereich aufgrund des Beschlusses des BVerfG vom 28.12.2022 (1 BvR 1541/20).

 

» Zum Fachgebiet "Patientenverfügung"

» Zur Startseite