BGH IX ZR 213/21
Wirksamkeit einer insolvenzabhängigen Kündigungsklausel in einem Schülerbeförderungsvertrag

17.01.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
27.10.2022
IX ZR 213/21
ZRI 2023, 11

Leitsatz | BGH IX ZR 213/21

  1. Eine insolvenzabhängige Lösungsklausel ist unwirksam, wenn der insolvenzabhängige Umstand für sich allein die Lösung vom Vertrag ermöglicht und die Lösungsklausel in Voraussetzungen oder Rechtsfolgen von gesetzlichen Lösungsmöglichkeiten abweicht, ohne dass für diese Abweichungen bei objektiver Betrachtung ex ante zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf der Grundlage der wechselseitigen Interessen der Parteien berechtigte Gründe bestehen (Ergänzung BGH, Urteil vom 15. November 2012 - IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348).
  2. Solche berechtigten Gründe können sich bei insolvenzabhängigen Lösungsklauseln allgemein aus einer insolvenzrechtlich gerechtfertigten Zielsetzung oder zugunsten eines Sach- oder Dienstleistungsgläubigers ergeben. Hingegen ist eine insolvenzabhängige Lösungsklausel zugunsten eines Geldleistungsgläubigers regelmäßig unwirksam.
  3. Vereinbaren die Parteien eines Schülerbeförderungsvertrags, dass eine Kündigung aus wichtigem Grund zulässig ist, ist die Klausel, dass der vom Erbringer der Leistungen gestellte Insolvenzantrag als wichtiger Grund gilt, wirksam, wenn der Besteller bei einer typisierten, objektiven Betrachtung ex ante zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein berechtigtes Interesse daran hatte, mit der Vereinbarung eines Insolvenzereignisses als wichtigem Grund Vorsorge für eine allgemein bei Schülerbeförderungsverträgen mit einem Insolvenzfall einhergehende besondere Risikoerhöhung zu treffen.

Sachverhalt | BGH IX ZR 213/21

Die Beklagte schloss mit dem Schuldner, einem Busunternehmer, am 21.06.2018 fünf auf unterschiedliche Schulen bezogene Beförderungsverträge ab. Diese sollten bis Ende des Schuljahres 2019/2020 gelten. Die Verträge enthielten in §16 Nr. 1e eine Regelung, wonach eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund möglich sei. Als solcher Grund wurden u.a. die Zahlungsunfähigkeit oder die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Schuldnervermögen festgelegt. Auf Eigenantrag wurde am 24.01.2019 der Kläger vom Insolvenzgericht als Insolvenzverwalter für das Schuldnervermögen bestellt. Er führte den Betrieb zunächst fort, am 1.02.2019 kündigte die Beklagte allerdings die geschlossenen Beförderungsverträge fristlos. Am 1.04.2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet.

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam und verlangt klageweise Zahlung von 228.310 €. Dabei bezieht er sich auf die vereinbarte Vergütung für die Zeit vom 01.02.2019 – 31.07.2020 und rechnet hierauf seine ersparten Aufwendungen an.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidung | BGH IX ZR 213/21

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Anders als vom Berufungsgericht angenommen, kann die Kündigung der Beklagten auf Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht als unwirksam angesehen werden.

Vereinbarungen, nach denen sich eine Vertragspartei bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder bei Insolvenzantrag oder -eröffnung allein aus diesem Grund lösen kann, werden insolvenzabhängige Lösungsklausel genannt. Diese sind in ihrer Wirksamkeit umstritten.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat hierzu noch keine abschließende Feststellung getroffen. Grundsätzlich bestehen vertraglich vereinbarte Kündigungsrechte auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fort. Allerdings sind gem. § 119 InsO Vereinbarungen unwirksam, durch die im Vorhinein die Anwendung der §§ 103 - 118 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird. Dabei beeinträchtigt eine vertragliche Lösungsklausel das Wahlrecht nach § 103 InsO nicht, wenn sie eng an gesetzliche Lösungsmöglichkeiten angelehnt ist. Das in § 648 BGB geregelte Kündigungsrecht besteht auch Eröffnung des Insolvenzverfahrens, weshalb auch entsprechende Lösungsklauseln im Werkvertrag zulässig sind. Bestimmte insolvenzabhängige Lösungsklauseln hat der BGH jedoch auch als unwirksam erachtet. Ausdrücklich offengelassen hat er, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung aus wichtigem Grund vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens möglich ist.

Auch das Gesetz enthält keine abschließenden Regelungen zur Wirksamkeit von insolvenzabhängigen Lösungsklauseln. Gegen ein umfassendes Verbot spricht jedoch, dass der Rechtsausschuss des Bundestags i.R.d. § 137 Abs. 2 InsO-E feststellte, dass eine mittelbare Einschränkung des Wahlrechts des Insolvenzverwalters durch insolvenzabhängige Lösungsklauseln nicht einen schwerwiegenden Eingriff in die Vertragsfreiheit rechtfertigen würde. Auch die Aufhebung von §14 VVG aF wurde ausdrücklich abgelehnt, um die Zulässigkeit von Vereinbarungen über die Vertragsauflösung im Insolvenzfall nicht einzuschränken. Vielmehr enthält das Gesetz differenzierte Regelungen und ordnet die Unwirksamkeit solcher Abreden nur für bestimmte Konstellationen an, z.B. in § 112 InsO.

Eine Unwirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln gem. § 119 InsO liegt vor, wenn die zwingende Regelung des § 103 InsO unmittelbar umgangen wird. Anders als vom Berufungsgericht angenommen, enthält § 119 InsO aber keine ausdrückliche Regelung inwieweit vertragliche Vereinbarungen unwirksam sind, die nur mittelbar Einfluss auf die §§ 103 - 118 InsO haben. Dies gilt v.a. für insolvenzabhängige Lösungsklauseln die an Ereignisse vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens anknüpfen und davor ausgeübt werden, da letztlich alle vertraglichen Lösungsklauseln das Wahlrecht des Insolvenzverwalters leerlaufen lassen.

Somit bedarf es für die Unwirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln nach § 119 InsO einer besonderen Rechtfertigung, da der Grundsatz der Vertragsfreiheit auch in der Insolvenz zu respektieren ist. Eine Lösungsklausel ist wirksam, wenn bei objektiver ex ante Betrachtung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ein sachlicher Grund besteht, welcher nicht nur darauf ausgerichtet ist, die zwingenden Regelungen der §§ 103 - 118 InsO zu umgehen. Die Wirksamkeit hängt damit von den betroffenen Interessen ab und liegt vor, wenn bei Vertragsschluss eine insolvenzrechtlich gerechtfertigte Zielsetzung erfolgt. Eine Klausel kann z.B. dazu dienen, abschließend zu regeln worin ein wichtiger Kündigungsgrund liegt. Auch kann sie gerechtfertigt sein, wenn die Insolvenz zu einer Risikoerhöhung für den Vertragspartner führt. Ein sachlicher Grund wäre ebenfalls gegeben, wenn der Vertrag als Teil einer Sanierung des Schuldners zustande kommt und die Klausel die Risiken eines Scheiterns der Sanierung abmildern soll. Schließlich ist eine Klausel wirksam, wenn das Gesetz eine Kündigung aus wichtigem Grund zulässt und die vertragliche Ausgestaltung der wichtigen Gründe durch eine typisierte Interessenbewertung für die darin geregelten Fälle gerechtfertigt ist. Dies ist anzunehmen, wenn die Risiken der Insolvenz die weitere Vertragsdurchführung derart gefährden würden, dass dadurch ein wichtiger Grund vorläge. Unwirksam sind hingegen Lösungsklauseln zugunsten eines Geldleistungspflichtigen, die den gesetzlichen Rahmen überschreiten oder Klauseln die Regelungen umgehen, welche ausdrücklich auch für die Zeit vor der Insolvenzeröffnung gelten. Zu beachten bleibt, dass auch die Ausübung einer Lösungsklausel nach Treu und Glauben gehindert sein kann.

Nach den erfolgten Ausführungen hat die Entscheidung des Berufungsgerichts keinen Bestand. Nach den Feststellungen des OLG ist nicht auszuschließen, dass die Beklagte wirksam gekündigt hat. Auch wurde nicht aufgeklärt, ob sie ein berechtigtes Interesse daran hatte, mit der Vereinbarung eines Insolvenzereignisses als wichtigem Grund Vorsorge für eine allgemein mit einem Insolvenzfall einhergehende Risikoerhöhung bei Personenbeförderungsverträgen zur Schülerbeförderung zu treffen.

Praxishinweis | BGH IX ZR 213/21

In seinem Urteil trifft der BGH erstmals eine abschließende Entscheidung zur Wirksamkeit von insolvenzabhängigen Lösungsklauseln. Sie sind grundsätzlich möglich, wenn ein sachlicher Grund dafür vorliegt. Besondere Bedeutung erhalten hierbei die vom BGH aufgestellten Fallgruppen. Der Grundgedanke besteht darin, dass eine Rechtfertigung entweder aufgrund einer Sanierungsbemühung oder aufgrund eines Risikos des Vertragspartners, das über das übliche Insolvenzrisiko hinausgeht, gegeben ist. Es ist daher sinnvoll, eine konkrete Begründung in den Vertrag aufzunehmen.