BGH IX ZR 44/22
Jahresfrist vor Insolvenzantragstellung für Anwendbarkeit des Kleinbeteiligtenprivilegs gem. § 39 Abs. 5 InsO maßgeblich

28.09.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
20.04.2023
IX ZR 44/22
GmbHR 2023, 730

Leitsatz | BGH IX ZR 44/22

  1. Für das Kleinbeteiligtenprivileg im Fall der Anfechtung der Rückzahlung eines Darlehens oder einer darlehensgleichen Finanzierungsleistung des Gesellschafters genügt es, dass seine Voraussetzungen in dem Zeitraum von einem Jahr vor Beantragung des Insolvenzverfahrens vorliegen. Auf die Verhältnisse in der Zeit davor, insbesondere zum Zeitpunkt der Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters, kommt es grundsätzlich nicht an.
  2. Für die Annahme einer der Anwendbarkeit des Kleinbeteiligtenprivilegs entgegenstehenden koordinierten Finanzierung genügt es nicht, dass der geringfügig beteiligte Gesellschafter einer darlehensgleichen Finanzierungsleistung an den Schuldner in der Gesellschafterversammlung nur zustimmt, ohne damit zugleich eine über seine Rolle hinausgehende unternehmerische Verantwortung zu übernehmen.

Sachverhalt | BGH IX ZR 44/22

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der D. Verwaltungs- und Beteiligungs-GmbH. Das Insolvenzverfahren wurde auf Eigenantrag vom 04.04.2019 am 01.07.2019 eröffnet. Das Stammkapital der GmbH beträgt 230.000 €. Der Beklagte hält 10 % der Geschäftsanteile an der GmbH. Bis zum 29.12.2017 war der Beklagte außerdem ihr Geschäftsführer. Im Juni 2017 beschloss die Gesellschafterversammlung, den Überschuss aus dem Jahr 2016 sowie Gewinne aus den Vorjahren von insgesamt 685.000 € auf neue Rechnung vorzutragen. Im Juni 2018 wurde die Ausschüttung dieses Betrages an die Gesellschafter beschlossen. Der Beklagte erhielt 68.500 €. Im Wege der Insolvenzanfechtung verlangt der Kläger vom Beklagten die Erstattung des an ihn ausgeschütteten Betrages. Das LG hat der Klage stattgegeben. Das OLG hat die Klage auf die Berufung des Beklagten hin abgewiesen.

Entscheidung | BGH IX ZR 44/22

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.

Das Berufungsgericht führt aus, dass eine Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO gegenüber dem beklagten Gesellschafter bereits am Kleinbeteiligtenprivileg gem. § 39 Abs. 5 InsO scheitert, für dessen Anwendung ausschließlich auf den Zeitraum des letzten Jahres vor Beantragung des Insolvenzverfahrens abzustellen ist. In diesem Zeitraum hätten die Voraussetzungen des Privilegs vorgelegen, da der Beklagte bereits zuvor seine Tätigkeit als Gesellschafter der Schuldnerin beendet hatte. Diese vom Berufungsgericht vertretene rechtliche Einordnung ist umstritten.

Nach einer Auffassung kann das Kleinbeteiligtenprivileg nur in Anspruch genommen werden, wenn die Voraussetzungen des § 39 Abs. 5 InsO bereits im Zeitpunkt der Darlehensgewährung vorlagen. Der BGH hingegen folgt der überwiegenden Ansicht, wonach das Kleinbeteiligtenprivileg dann zur Anwendung kommt, wenn der Gesellschafter seine Beteiligung vor Beginn des in § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO benannten Zeitraums reduziert oder seine Tätigkeit als Geschäftsführer aufgibt, sodass er in diesem Zeitraum durchgehend nur noch geringfügig im Sinne des § 39 Abs. 5 InsO beteiligt ist. Der BGH führt aus, dass der Gesetzgeber des MoMiG das für das Eigenkapitalersatzrecht bestimmende Tatbestandsmerkmal der Krise und das damit einhergehende Erfordernis einer eigenkapitalersetzenden Finanzierungsleistung des Gesellschafters in § 32a Abs. 1 GmbHG wegen der mit diesem Begriff verbundenen Unsicherheiten bewusst aufgegeben und durch einen Zeitraum von einem Jahr vor Insolvenzantragstellung ersetzt hat. Deshalb kommt es für die Anfechtbarkeit ausschließlich auf Auszahlungen an Gesellschafter in dieser typischerweise kritischen Zeitspanne an.

Die bisherige Rechtsprechung des BGH stellt bereits fest, dass ein zeitlich unbegrenzter Nachrang der Darlehensforderung des ausgeschiedenen Gesellschafters gem. § 39 Abs. 5 InsO über den in § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO festgelegten Zeitraum von einem Jahr nach seinem Ausscheiden hinaus unangemessen wäre und somit abzulehnen ist. Dies gilt in gleicher Weise für den Gesellschafter, der seine Beteiligung unter die Schwelle von § 39 Abs. 5 InsO verringert oder seine Tätigkeit als Geschäftsführer aufgibt. Der nur geringfügig Beteiligte trägt typischerweise keine mitunternehmerische Mitverantwortung und er hat nur wenige Einflussmöglichkeiten. Da der Beklagte ca. eineinhalb Jahre vor Insolvenzantragsstellung aus der Geschäftsführung ausschied, ist § 39 Abs. 5 InsO im vorliegenden Fall anzuwenden.  

Es liegt auch keine, ggf. zu einer abweichenden Würdigung führende, koordinierte Finanzierung der Gesellschaft durch einen Minderheitsgesellschafter im Zusammenwirken mit dem Mehrheitsgesellschafter vor. Hierbei ist entscheidend, ob die Übernahme einer überschießenden, unternehmerischen Verantwortung des Kleinbeteiligten vorliegt, die in einer koordinierten Fremdfinanzierung zum Ausdruck kommt. Ein solches Vorliegen ist im Streitfall nicht ersichtlich. Das bloße Einvernehmen der Gesellschafter bei der Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung bzw. die Zustimmung des Beklagten zu dem Gewinnvortrag genügt für eine entsprechende Annahme nicht.   

 

Praxishinweis | BGH IX ZR 44/22

Das Urteil klärt die bislang umstrittene Frage, ob das Kleinbeteiligtenprivileg nur in Anspruch genommen werden kann, wenn die Voraussetzungen des § 39 Abs. 5 InsO bereits im Zeitpunkt der Darlehensgewährung vorlagen. Der BGH schließt mit der vorliegenden Entscheidung an seine Rechtsprechung zum Nachrang von Darlehensrückzahlungsansprüchen eines ausgeschiedenen Gesellschafters an (Dahl/Taras, NJW-Spezial 2023, 437).