Die Verantwortungsgemeinschaft – Ein Modell für die Zukunft?

1.    Einleitung

Im Koalitionsvertrag für die laufende Legislaturperiode haben die Regierungsparteien die Einführung des Instituts der Verantwortungsgemeinschaft vereinbart, das volljährigen Personen jenseits von Liebesbeziehung oder Ehe ermöglichen soll, rechtlich Verantwortung füreinander zu übernehmen. Das Bundesministerium der Justiz hat im Februar 2024 ein Eckpunktepapier zur Umsetzung dieser Vereinbarung vorgelegt. Durch die Verantwortungsgemeinschaft soll ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden, um persönliche Näheverhältnisse durch einen mehrseitigen Verantwortungsgemeinschaftsvertrag rechtlich abzusichern. Dabei soll der besondere Schutz der Ehe nach Art. 6 GG unberührt bleiben. Die Rechte und Rechtsfolgen der Verantwortungsgemeinschaft sollen sich an dem Maß der gewünschten Verantwortungsübernahme orientieren. Die Vertragsparteien sollen zwischen Stufen und Modulen mit klar definierten Rechtsfolgen wählen können.

 

2.    Die Eckpunkte im Einzelnen

Der Vertrag über die Verantwortungsgemeinschaft soll in einem „Gesetz über die Verantwortungsgemeinschaft“ geregelt werden, welches in einen Allgemeinen und einen Besonderen Teil gegliedert wird. Der Allgemeine Teil beinhaltet dabei grundsätzliche Regelungen zum Abschluss und zur Auflösung sowie zu den allgemeinen Wirkungen des Vertrages. Der Besondere Teil soll typisierte, zusätzlich abschließbare Modalitäten für besondere Arten der Verantwortungsübernahme normieren.

 

a)    Voraussetzungen der Verantwortungsgemeinschaft

Der Allgemeine Teil soll die grundsätzlichen Voraussetzungen der Verantwortungsgemeinschaft regeln. Für die Verantwortungsgemeinschaft ist eine Maximalgröße von sechs Vertragspartnern angedacht. Diese müssen volljährig und geschäftsfähig sein. Dabei bleibt allerdings ungeklärt, wie es sich auswirkt, wenn die Geschäftsunfähigkeit nach Gründung der Verantwortungsgemeinschaft eintritt. Des Weiteren soll ein Vertragspartner nicht zugleich Teil einer anderen Verantwortungsgemeinschaft sein können. Die Parteien müssen ein persönliches Näheverhältnis zueinander haben, das sie im Rahmen der Verantwortungsgemeinschaft fortführen wollen. Der Vertrag über die Verantwortungsgemeinschaft soll der notariellen Form bedürfen. Bezugspunkt ist das Formerfordernis bei Eheverträgen. Offen bleibt, ob, wie bei § 1410 BGB, die gleichzeitige Anwesenheit der Parteien bei Vertragsschluss verlangt wird und ob ein Formverstoß, wie bei § 1410 BGB, zur Nichtigkeit des Vertrages führt (Schwab, FamRZ 2024, 497). Hintergrund ist, dass die Parteien umfassend aufgeklärt und beraten und ihnen die persönlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen der gewünschten Ausgestaltung der Verantwortungsgemeinschaft aufgezeigt werden. Eine Eintragung der Verantwortungsgemeinschaft in ein staatliches Register ist nicht vorgesehen. Der Vertragsabschluss soll demnach nicht beim Standesamt oder einer anderen staatlichen Stelle beurkundet und registriert werden. Problematisch im Hinblick auf die Formvorschrift ist, dass viele Wirkungen, die an das Bestehen einer Verantwortungsgemeinschaft angeknüpft werden können, der Privatautonomie unterliegen und schon jetzt von den Beteiligten vereinbart werden könnten. Daran schließt sich die Frage an, was der Formzwang für Vereinbarungen bedeutet, die auch außerhalb der Verantwortungsgemeinschaftsverträge geschlossen werden können. Grundsätzlich wird eine Formpflicht für diese Vereinbarungen wohl vor dem Hintergrund zu verneinen sein, dass durch die Einführung der Verantwortungsgemeinschaft nicht die Vertragsfreiheit im Übrigen beschränkt werden kann. Dann ist allerdings fraglich, was genau einen Vertrag zu einem „Verantwortungsgemeinschaftsvertrag“ macht und welche Inhalte zusammenkommen müssen, um die Formpflicht auszulösen (Schwab, FamRZ 2024, 497).

 

b)    Rechtsfolgen der Verantwortungsgemeinschaft

Rechtsfolge der Verantwortungsgemeinschaft soll nicht die Begründung durchsetzbarer Rechte auf und durchsetzbarer Pflichten zur Verantwortungsübernahme sein. Insbesondere sollen keine familienrechtlichen Dienst- und Beistandspflichten entstehen. Stattdessen sieht das Echtpunktepapier des BMJ ein Stufenmodell vor, welches nach dem Willen der Vertragsparteien ausgestaltet werden kann und unterschiedliche Rechtsfolgen herbeiführt. Dabei ist zunächst fraglich, was genau mit dem Ausschluss der Durchsetzbarkeit gemeint ist. Nach dem Vorbild des Eherechts liegt es nahe, den Ausschluss der Durchsetzbarkeit so zu verstehen, dass nicht auf Erfüllung geklagt bzw. aus einem auf Erfüllung gerichteten Titel nicht vollstreckt werden kann (Schwab, FamRZ 2024, 500). Unklar ist außerdem, welche genauen Rechte und Pflichten durch den Verantwortungsgemeinschaftsvertrag nicht durchsetzbar begründet werden können und ob sich der Ausschluss der Durchsetzbarkeit auf alle Rechte und Pflichten bezieht, die von den Vertragsparteien vereinbart werden können (Schwab, FamRZ 2024, 500). Änderung und Auflösung des Vertrages werden im Eckpunktepapier des BMJ nur kurz angerissen. Der Vertrag kann jederzeit übereinstimmend abgeändert oder aufgelöst werden. Betreffen die Vertragsänderungen die Hinzuziehung zusätzlicher Module oder eine Erweiterung des Bestands der Mitglieder der Verantwortungsgemeinschaft, soll eine notarielle Beurkundung erforderlich sein. Auch die einseitige Kündigung eines Vertragspartners soll möglich und nicht an die Einhaltung einer Frist gebunden sein. Die Verantwortungsgemeinschaft soll in diesem Fall mit den verbleibenden Vertragspartnern fortgesetzt werden. Den Parteien steht es allerdings frei, abweichende vertragliche Regelungen zu treffen.

 

(1)    Die Grundstufe

Für die Grundstufe sollen zwischen den Vertragspartnern lediglich die rechtlichen Vorschriften Anwendung finden, die an das Bestehen des persönlichen Näheverhältnisses anknüpfen, beispielsweise § 1816 BGB und § 8 Transplantationsgesetz. Die Zugehörigkeit zu einer Verantwortungsgemeinschaft soll dabei nicht nur dort hinzugerechnet werden, wo eine Vorschrift wörtlich auf eine „persönliche Nähebeziehung“ abzielt, sondern vielmehr auch, wenn Normen der Sache nach auf eine persönliche Bindung Rücksicht nehmen (Schwab, FamRZ 2024, 501). Die Bezugsbegriffe „Angehörige“, „nahe Angehörige“, „Familienpersonen“, „Vertrauenspersonen“ etc. beziehen sich auf persönliche Beziehungen unterschiedlicher Intensität. Dies lässt den Schluss zu, dass zur Einbringung der Zugehörigkeit zur Verantwortungsgemeinschaft in diese Begriffsvielfalt eine Generalklausel wohl nicht in Betracht kommt. Vielmehr wird bei jeder Norm zu prüfen sein, ob eine Ableitung der erforderlichen persönlichen Nähe aus der Zugehörigkeit zur Verantwortungsgemeinschaft möglich ist. Unerlässlich ist dies insbesondere bei abschließenden Katalogen der „Angehörigen“, wie beispielsweise in § 11 StGB, oder bei den Zeugnisverweigerungsrechten (Schwab, FamRZ 2024, 502).

 

(2)    Die Aufbaustufe

Ob noch weitere Rechtsfolgen bestehen, hängt von dem Willen der Vertragspartner ab. In dieser sog. Aufbaustufe sollen die Vertragspartner unter verschiedenen Modulen mit klar bestimmten Rechtsfolgen wählen und die Module dabei beliebig miteinander kombinieren können.

Durch die Wahl des Moduls 1 „Auskunft und Vertretung in Gesundheitsangelegenheiten“ sollen die Vertragspartner in einer gesundheitlichen Notsituation entsprechend dem Ehegattennotvertretungsrecht nach § 1358 BGB Auskunft von behandelnden Ärzten des jeweils anderen Partners verlangen und diesen vertreten können. Voraussetzung ist demnach, dass der Vertretene aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit seine Angelegenheiten der Gesundheitsvorsorge rechtlich nicht selbst besorgen kann. In diesem Fall wäre ohne eine bestehende Vorsorgevollmacht ein Betreuer zu bestellen. Durch die Verantwortungsgemeinschaft kann dies vermieden werden, da deren Mitglieder für den Vertretenen tätig werden können.

Bei der Wahl des Moduls 2 „Zusammenleben“ soll eine Spezialnorm die vorübergehende Wohnüberlassung bei Beendigung der Verantwortungsgemeinschaft nach dem Vorbild des § 1361b BGB regeln. Problematisch ist hier der Begriff der „vorübergehenden“ Wohnüberlassung. Im Vergleich zur Ehe, bei der die zeitliche Grenze durch die Ehescheidung gezogen wird, ist fraglich, was genau mit dem Begriff „vorübergehend“ in Bezug auf die Verantwortungsgemeinschaft gemeint ist (Schwab, FamRZ 2024, 503). Die Vertragspartner sollen sich außerdem eine gegenseitige Verpflichtungsermächtigung hinsichtlich der Haushaltsführung einräumen können. Dies umfasst die Berechtigung eines Vertragspartners bei Bedarf Grundnahrungsmittel und Haushaltsartikel mit Wirkung für und gegen alle zu kaufen. Ob die Vertragspartner diese Befugnis wahrnehmen und wie ggf. die Kosten im Innenverhältnis aufgeteilt werden, bestimmen die Parteien selbst. Die Wahl dieses Moduls begründet aber nicht automatisch eine sozialrechtliche Bedarfsgemeinschaft. Eine solche kann nur nach Prüfung im Einzelfall angenommen werden.

Durch die Vereinbarung des Zusatzmoduls 3 „Pflege und Fürsorge“ soll die Pflege des Vertragspartners als besondere Form der Verantwortungsübernahme gefördert werden, ohne dabei eine Verpflichtung zu schaffen. Es soll geprüft werden, inwieweit die Vertragspartner nahen Angehörigen im Sinne des § 7 Abs. 3 Pflegezeitgesetz im Fall der tatsächlichen und nicht erwerbsmäßigen Erbringung von Pflegeleistungen gleichgestellt werden können. Ggf. könnten die pflegenden Vertragspartner bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eine Freistellung von ihrer beruflichen Tätigkeit und finanzielle Unterstützung beanspruchen.

Das Zusatzmodul 4 „Zugewinngemeinschaft“ kann nur von zweiseitigen Verantwortungsgemeinschaften gewählt werden. Die für die Ehegatten geltenden Regelungen zur Zugewinngemeinschaft sollen dann Anwendung finden. Dies kann allerdings nicht unverändert geschehen. Es muss geprüft werden, welche Regelungen einen so speziellen Bezug zum Institut der Ehe haben, dass sie für die Verantwortungsgemeinschaft nicht passend sind. So ist beispielsweise fraglich, ob auch die rechtsgeschäftlichen Beschränkungen der §§ 1365 ff. BGB angewendet werden können (Schwab, FamRZ 2024, 503). Auch kann der Zugewinnausgleich nicht wie bei der Ehe durch Erhöhung des gesetzlichen Erbteils durchgeführt werden, da es einen solchen nicht gibt. Des Weiteren muss geregelt werden, welcher Zeitpunkt maßgeblich für die Berechnung des Zugewinns und die Höhe der Ausgleichsforderung sein soll (Schwab, FamRZ 2024, 503). Die steuerlichen Vorschriften für Ehegatten sollen ausdrücklich nicht anwendbar sein. Somit entfällt auch eine steuerliche Begünstigung der Vertragspartner durch das Erbschaftssteuer- und Schenkungsgesetz. Auch eine Ausweitung der Grunderwerbsteuerbefreiung ist nicht vorgesehen. Ob ein Rentensplitting nach § 120a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ermöglicht werden kann, soll noch geprüft werden. Ist ein Vertragspartner anderweitig verheiratet, soll ihm dieses Modul verschlossen bleiben, um eine Kollision mit dem ehelichen Güterrecht zu vermeiden.

 

3.    Fazit und Ausblick

Im Grundsatz hat das Regelungsvorhaben der Bundesregierung Zuspruch verdient. Insbesondere für ältere Menschen und Alleinstehende können die Neuregelungen deutlich mehr Sicherheit bieten, wenn es beispielsweise um das Auskunftsrecht gegenüber Ärzten oder andere Vertretungsfragen geht. Allerdings bestehen auch grundlegende Zweifel insbesondere an der Praxistauglichkeit des Regelungsvorhabens. Aus dem Eckpunktepapier ergibt sich deutlich, dass die Verantwortungsgemeinschaft nicht die besondere Stellung der Ehe untergraben und es keine vergleichbaren Steuervorteile für die Vertragspartner geben soll. Diese Vorgaben könnten von Anfang an eine sinnvolle Ausgestaltung der Verantwortungsgemeinschaft als Lebensgemeinschaft verhindern. Vielmehr besteht die Gefahr, dass die Verantwortungsgemeinschaft eine minderwertige Alternative zur Ehe werden könnte, welche die Bedürfnisse der Menschen nicht befriedigt und von den Bürgern nicht genutzt wird (Duden, FamRZ 2023, 1838, 1847).

 

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