OLG Brandenburg 5 U 38/23
Unterlassungsanspruch des Vereinsmitglieds gegen Vorstandshandeln

19.04.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Brandenburg
11.05.2023
5 U 38/23
NJW-Spezial 2023, 431

Leitsatz | OLG Brandenburg 5 U 38/23

  1. Eine actio pro socio im Vereinsrecht kann Anwendung finden, wenn ein Rechtsschutz des Vereinsmitglieds durch die Einhaltung vereinsinterner Zuständigkeiten möglicherweise zu spät eingreift.
  2. Dem Vereinsmitglied kann ein Unterlassungs- bzw. Schadensersatzanspruch zustehen, wenn die Rechte des Mitglieds aufgrund einer vom Vorstand beabsichtigten Handlung, welche den Vereinszweck aushöhlt, beeinträchtigt werden und die Mitgliederversammlung nicht rechtzeitig eingreifen kann.  

 

Sachverhalt | OLG Brandenburg 5 U 38/23

Der Beklagte ist ein Verein, der als sog. Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege tätig ist. Nach seiner Satzung verfolgt er ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige sowie mildtätige Zwecke. Die Kläger sind als ebenfalls eingetragene gemeinnützige Vereine Mitglieder des Beklagten. Der Vorstand des beklagten Vereins und die angestellte Geschäftsführerin beabsichtigten im Herbst 2022, die restliche Vertragslaufzeit des Geschäftsführervertrags gegen Freistellung bei gleichzeitiger Zahlung von Gehaltsbestandteilen zu verkürzen. Die Kläger verlangten von dem Verein im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, den Abschluss des Aufhebungsvertrags mit der Geschäftsführerin zu unterlassen. Sie sind der Auffassung, die beabsichtigte Beendigungsvereinbarung zum 31.12.2023 verwirkliche den Tatbestand der Untreue nach § 266 StGB. Das Zahlungsversprechen sei somit nach § 134 BGB unwirksam. Die geplanten Zahlungen würden die Gemeinnützigkeit des Vereins für das Jahr 2023 gefährden. Das LG Potsdam hat die begehrte Verfügung erlassen. Es begründet seine Entscheidung damit, dass ein Anspruch aus dem Mitgliedsverhältnis i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB gegeben sei. Rechte, Rechtsgüter und Interessen seien damit wechselseitig zu schützen. Das LG Potsdam stellt fest, dass durch die Absicht, mit der Geschäftsführerin einen Aufhebungsvertrag zu schließen, die Gefahr besteht, dass die Gemeinnützigkeit des beklagten Vereins verloren geht. Etwaige bereits zu diesem Zeitpunkt verwirklichte Sachverhalte unterlägen erst zu einem späteren Zeitpunkt der steuerlichen Bewertung und ließen sich im Nachhinein nicht mehr rückgängig machen. Somit sei ein Verfügungsgrund gegeben. Dem folgt das OLG Brandenburg nicht.

Entscheidung | OLG Brandenburg 5 U 38/23

Das OLG Brandenburg stellt fest, dass die Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt weder einen Verfügungsanspruch noch einen Verfügungsgrund hinreichend schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht haben.

Der Abschluss eines Aufhebungsvertrags obliegt grundsätzlich dem Vorstand im Rahmen seiner Geschäftsführung mit Vertretungsmacht für den Verein. Die Geschäftsführung des Vorstands für den Verein richtet sich nach den Vorschriften des Auftrags (§§ 27 Abs. 3, 664 bis 670 BGB). Im Verhältnis zum Vorstand ist der Verein als Geschäftsherr anzusehen. Dieser kann dem Vorstand Weisungen erteilen. An solche Weisungen ist der Vorstand gebunden. Das Weisungsrecht steht dabei der Mitgliederversammlung als „Auftraggeber“ zu. Einzelne Vereinsmitglieder können dem Vorstand keine bestimmten Handlungen auferlegen, sondern vielmehr nur die Unterlassung bzw. Beseitigung konkreter Satzungsverstöße verlangen, in der Mitgliederversammlung Missstände aufzeigen, die Entlastung verweigern oder bei einer Schädigung des Vereins Schadensersatz verlangen. Ansprüche des einzelnen Mitglieds gegen den Vorstand kommen allenfalls ausnahmsweise in Form der actio  pro socio in Betracht. Eine solche wäre nur dann gegeben, wenn ein satzungs- oder gesetzeswidriger Zustand durch die Mitgliederversammlung nicht mehr rechtzeitig repariert werden könnte. Das betrifft insbesondere die Anfechtung rechtswidriger Beschlüsse der Versammlung. Die actio pro socio führt dabei nicht zu konkreten Handlungsansprüchen, sondern zu Unterlassungs- oder Schadensersatzpflichten. Für ihre Anwendbarkeit ist entscheidend, ob Rechte der Vereinsmitglieder betroffen sind, da durch die zu treffende Entscheidung der Vereinszweck ausgehöhlt wird. Hierunter fällt allerdings kein behaupteter drohender Verlust der Gemeinnützigkeit. Insoweit muss zwischen dem Vereinszweck und der finanziellen Auswirkung eines konkreten Geschäfts unterschieden werden. Die Satzung des Vereins selbst und der verfolgte Zweck ändert sich durch die behauptete Gefahr eines Verlustes der Gemeinnützigkeit nicht. Auch die satzungsmäßigen Rechte der Mitglieder bleiben unverändert bestehen. Die Frage, ob das konkrete Handeln des Vorstands dem verfolgten Ziel der Gemeinnützigkeit entspricht, ist somit lediglich eine Frage der Steuerbegünstigung.

Praxishinweis | OLG Brandenburg 5 U 38/23

Hinsichtlich der Frage, wann Vereinsmitglieder ein mitgliedschaftliches Abwehrrecht gegenüber dem Verband haben, bleibt auch nach der Entscheidung des OLG Brandenburg vieles ungeklärt. Wenn der Vorstand in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliederversammlung eingreift, ist ein mitgliedschaftliches Abwehrrecht des Vereinsmitglieds anzuerkennen (vgl. BGH, NJW 1982, 1703 m. Anm. Holzmüller). Darüber hinaus besteht in der Regel kein Abwehrrecht wegen rechtswidrigen oder unzweckmäßigen Verhaltens des Verbands innerhalb seines Aufgabenbereiches. Eine Ausnahme stellen die Konstellationen dar, in denen ein Mitglied aus dringenden Gründen auf einstweiligen Rechtsschutz im Vorfeld einer Mitgliederversammlung angewiesen ist. Hier ist ihm ein Verfügungsantrag aus eigenem Recht gestattet, denn insbesondere in Fällen, in denen ein dringender vorläufiger Regelungsbedarf besteht, hätte das betreffende Mitglied keine Möglichkeit, Rechtsschutz zu erlangen, bevor die Mitgliederversammlung zusammentreten kann (Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2023, 431).