BGH V ZR 213/21
Prozessführungsbefugnis einer WEG bei Mängeln

25.03.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
11.11.2022
V ZR 213/21
NJW 2023, 217

Leitsatz | BGH V ZR 213/21

  1. Die auf Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum gerichteten Rechte der Erwerber von Wohnungseigentum (hier: Nachbesserung nach § 439 I BGB) unterfallen nicht der Ausübungsbefugnis gem. § 9a II WEG. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann solche Rechte auch nach der Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes weiterhin durch Mehrheitsbeschluss zur alleinigen Durchsetzung an sich ziehen; die Kompetenz für einen solchen Beschluss folgt aus § 18 I, § 19 II Nr. 2 WEG.
  2. Die von dem Verkäufer wegen eines Altlastenverdachts gem. § 439 I BGB geschuldete Nachbesserung umfasst zunächst nur die Ausräumung des Verdachts durch Aufklärungsmaßnahmen. Die Beseitigung von Altlasten kann der Käufer erst dann verlangen, wenn sich der Verdacht bestätigt.
  3. Eine von der üblichen Beschaffenheit abweichende Belastung eines Grundstücks mit Schadstoffen ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn nach öffentlich-rechtlichen Kriterien eine schädliche Bodenveränderung oder eine Altlast im Sinn des Bundesbodenschutzgesetzes vorliegt.
  4. Verschweigt der Verkäufer arglistig einen ihm bekannten Altlastenverdacht und bestätigt sich später der Verdacht, handelt er in aller Regel auch im Hinblick auf die tatsächlich vorhandenen Altlasten arglistig.
  5. Der Käufer einer gebrauchten Eigentumswohnung hat nach § 439 I BGB einen Anspruch auf volle Nacherfüllung in Bezug auf Mängel des gemeinschaftlichen Eigentums und nicht nur einen auf die Quote des Miteigentumsanteils beschränkten Anspruch auf Freistellung von den Mängelbeseitigungskosten (Fortführung von Senat, BGHZ 225, 1 = NJW 2020, 2104 Rn. 45 ff.)

 

Sachverhalt | BGH V ZR 213/21

Die vorliegende Klägerin ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG). Die Beklagte war ursprünglich die Eigentümerin eines Grundstücks mit Gebäude, welches sie im Jahr 2012 in einzelne Wohnungseigentumseinheiten aufteilte und veräußerte. Aufgrund der geplanten Errichtung einer Tiefgarage im Jahr 2013 ließ die Beklagte den Boden im Außenbereich auf Schadstoffbelastung prüfen. Dabei wurde festgestellt, dass sich unterhalb des Bodens eine ehemalige Kiesgrube mit Schadstoffen befand. In einem anschließenden Gutachten wurde daher ein Bodenaustausch bis zu einer Tiefe von 30 cm empfohlen. Ein Austausch der tieferen Bodenschichten wurde als nicht erforderlich erachtet, da dieser bei Bau der Tiefgarage ohnehin stattfinden würde.

In den folgenden Kaufverträgen für die einzelnen Wohnungen wies die Beklagte lediglich auf die von der Stadt München festgestellten Altlasten im Innenhof hin und verpflichtete sich zur Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen. Die Haftung für eine Altlastenfreiheit außerhalb des Grundstücks wurde vertraglich ausgeschlossen. Der Boden wurde bis zu einer Tiefe von 20 cm ausgetauscht, die geplante Tiefgarage jedoch nicht gebaut.

Durch einen Mehrheitsbeschluss der Wohnungseigentümer wurde die gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche wegen der Altlasten auf dem gesamten Grundstück beschlossen. Das Landgericht gab der mit dem Hauptantrag verfolgten Feststellung des Bestehens von Mängelansprüchen der Klägerin teilweise statt. Das Berufungsgericht lehnte jedoch den Hauptantrag als unzulässig ab und verurteilte die Beklagte gemäß dem Hilfsantrag zur Beseitigung der Altlasten durch Sanierung des Innenhofs und des Außenbereichs, soweit dort ein Wert von 0,5 mg/kg Benzoapyren überschritten werde.

Entscheidung | BGH V ZR 213/21

Die Revision der Beklagten ist erfolgreich. Der Hauptantrag, den die Klägerin mit der Anschlussrevision weiter verfolgt, ist unzulässig, womit die Bedingung für die Entscheidung über den Hilfsantrag eingetreten ist. Der Hilfsantrag ist hinreichend bestimmt i.S.d. § 253 Abs. 2 ZPO. Durch Auslegung lässt sich ermitteln, dass die Klägerin Nacherfüllung begehrt und die Mängel hinreichend konkretisiert hat. Da jedoch Feststellungen zum Sachmangel fehlen, verweist der BGH den Rechtsstreit zurück an das OLG.

Zunächst ist die Klägerin für die Geltendmachung des Nachbesserungsanspruchs prozessführungsbefugt, was aus den in den Eigentümerversammlungen getroffenen Beschlüssen folgt. Nach Rechtsprechung des BGH zum Wohnungseigentumsgesetzes in der bis zum 30. November 2020 geltenden Form konnte eine WEG im Rahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung die Ausübung der den einzelnen Erwerbern aus den Verträgen zustehenden Rechte auf ordnungsgemäße Herstellung des Gemeinschaftseigentums gem. § 10 Abs. 6 S. 3 Hs. 2 i.V.m. § 21 Abs.1, Abs. 5 Nr. 2 WEG aF durch Mehrheitsbeschluss an sich ziehen. Darunter fielen auch die auf Mängelbeseitigung am Gemeinschaftseigentum gerichteten kaufvertragliche Nacherfüllungsansprüche, wenn diese auf Beseitigung der Mängel am Gemeinschaftseigentum und damit auf das gleiche Ziel gerichtet waren.

Zwar ist die Regelung zur Vergemeinschaftung durch Mehrheitsbeschluss in § 10 Abs. 6 S. 3 HS 2 WEG a.F durch die Reform des Wohnungseigentumsgesetzes entfallen. Nunmehr regelt § 9a Abs. 2 WEG nur noch die „geborene Ausübungsbefugnis“, wonach die Gemeinschaft die sich aus dem Gemeinschaftseigentum ergebenden Rechte und solche Rechte der Wohnungseigentümer ausüben kann, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern. Eine "Vergemeinschaftung durch Mehrheitsbeschluss" der Mängelrechte ist in der neuen Regelung nicht mehr enthalten. Die primären Mängelrechte der Wohnungseigentümer unterfallen aber nicht § 9a Abs. 2 WEG. Denn die Ansprüche ergeben sich nicht aus dem Gemeinschaftseigentum, sondern aus dem jeweiligen Erwerbsvertrag und fordern daher auch keine einheitliche Rechtsverfolgung i.S.d. § 9a Abs. 2 WEG. Die WEG kann aber solche Rechte auch weiterhin nach der Änderung des WEG durch Mehrheitsbeschluss zur alleinigen Durchsetzung an sich ziehen; die Kompetenz für einen solchen Beschluss folgt aus der Verwaltungsbefugnis für das gemeinschaftliche Eigentum, § 18 Abs. 1 WEG, und der in § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG geregelten Pflicht zu dessen Erhaltung. Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung, der zufolge die bisherige Rechtsprechung des BGH zum Bauträgerrecht beibehalten werden soll, wonach eine Vergemeinschaftung von werkvertraglichen Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüchen möglich war. Entsprechendes muss für die Vergemeinschaftung von kaufrechtlichen Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüchen gelten. Nur diese Sichtweise trägt der nach der Gesetzesänderung unveränderten Interessenlage der Wohnungseigentümer hinreichend Rechnung.

Das Berufungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass durch den Verdacht von Altlasten in der ehemaligen Kiesgrube ein offenbarungspflichtiger Mangel vorliegt. Allerdings umfasst die von der Beklagten geschuldete Nacherfüllung zunächst nur die Aufklärung des Verdachtes, da auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht von einem tatsächlichen Vorliegen ausgegangen werden kann. Sollte sich der Verdacht bewahrheiten, kann die Beseitigung der Altlasten verlangt werden. Die Überschreitung von Prüfwerten, die das Berufungsgericht für seine Entscheidung angenommen hat, begründen noch keinen Sachmangel, sondern erhärten nur den anfänglichen Altlastenverdacht. Da entsprechende Feststellungen zum Sachmangel fehlen, verweist der BGH den Rechtsstreit zurück an das OLG. Auf den Haftungsausschluss kann sich die Beklagte jedoch gem. § 444 BGB nicht berufen, da sie zumindest bei den nach dem 07.03.2013 abgeschlossenen Verträgen arglistig nicht auf die Altlastproblematik hingewiesen hat.

 

Praxishinweis | BGH V ZR 213/21

Der BGH stellt in der vorliegenden Entscheidung klar, dass auch nach der Reform des WEG Mängelansprüche aus den Erwerbsverträgen durch Mehrheitsbeschluss "vergemeinschaftet" werden können. Allein diese Sichtweise trage der nach der Reform unveränderten Interessenlage der Wohnungseigentümer hinreichend Rechnung. Denn vorteilhaft bei einer Übertragung auf die Gesellschaft ist insbesondere, dass die Kosten auf alle Eigentümer, die hiervon profitieren, zu verteilen ist.