04.10.2023
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
BGH
29.06.2023
IX ZR 56/22
BeckRS 2023, 19515
Hinweis- und Warnpflicht des Rechtsberaters bei möglichem Insolvenzgrund [ PDF ]
Die Klägerin nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer eines in Insolvenz gefallenen Rechtsanwalts in Anspruch. Sie macht geltend, dass ihr Schadensersatzansprüche aus abgetretenem Recht gegen den versicherten Rechtsanwalt aufgrund der Verletzung von Hinweis- und Warnpflichten zustünden. Zedenten des abgetretenen Schadensersatzanspruches sind ein Vater und sein Sohn als tatsächlicher bzw. faktischer Geschäftsführer der Komplementärgesellschaft einer GmbH & Co. KG. Trotz Insolvenzreife nahmen sie verschiedene Zahlungen der GmbH & Co. KG vor, für welche sie der spätere Insolvenzverwalter im Wege eines Vergleichs erfolgreich als Gesamtschuldner in Anspruch nahm. Die Klägerin fordert nun Schadensersatz in Höhe des Vergleichsbetrags von 85.000 € mit dem Argument, der Rechtsanwalt habe seine Beratungspflichten im Hinblick auf die bestehende Insolvenzreife der GmbH & Co. KG verletzt. Die Geschäftsführer seien in den Schutzbereich des mit der GmbH & Co. KG geschlossenen Mandatsvertrags einbezogen gewesen. Das LG hat der Klage stattgegeben, das OLG hat das Urteil des LG auf die Berufung der Beklagten hin aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Der BGH führt aus, dass bei einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter die vertraglich geschuldete (Haupt-)Leistung allein dem tatsächlichen Vertragspartner als Gläubiger zustehe. Allerdings sei der Dritte in der Weise in die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten einbezogen, dass er bei einer Verletzung vertragliche Schadensersatzansprüche geltend machen kann. An den Einbezug Dritter sind zur Begrenzung des Haftungsrisikos strenge Anforderungen zu stellen. Die Ablehnung der Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich des Vertrags anhand des vom Berufungsgericht angelegten Maßstabs der Qualität der dem Rechtsanwalt unterstellten Pflichtverletzung findet in der Rechtsprechung des BGH keine Grundlage und ist rechtsfehlerhaft. Nach ständiger Rechtsprechung kann auch die Verletzung von Schutz- und Fürsorgepflichten zu einem Schadensersatzanspruch im Rahmen eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter führen.
Im Hinblick auf mögliche Insolvenzgründe hat der BGH bisher einen Drittschutz nur angenommen, wenn ein Steuerberater im Rahmen der Erstellung eines Jahresabschlusses Kenntnis von möglichen Insolvenzgründen erlangt oder Hauptleistungspflicht einer Mandatsvereinbarung die Prüfung der Insolvenzreife einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist. Bei reinen Vermögensschäden ist für die Einbeziehung eines Dritten in die Schutzwirkungen des Vertrags entscheidend, ob der Dritte bestimmungsgemäß mit der Hauptleistung in Berührung kommt. Dieses Näheverhältnis liegt nur dann vor, wenn der Rechtsberater eine Leistung erbringt, die nach dem objektiven Empfängerhorizont zumindest auch dazu bestimmt ist, dem Dritten Schutz vor möglichen Vermögensschäden zu vermitteln. Maßgeblich sind hier die Ausprägung und der Inhalt des anwaltlichen Beratungsvertrags. Die Hauptpflicht selbst muss dabei nicht drittschützend sein. Vielmehr ist es ausreichend, wenn das geschützte Interesse des Dritten bei der Erbringung der Hauptleistung typischerweise beeinträchtigt werden kann.
Vorliegend folgt das geschützte Drittinteresse aus der Insolvenzantragspflicht und den bei ihrer Missachtung drohenden Haftstrafen. Eine Beeinträchtigung dieses Interesses scheidet regelmäßig aus, wenn der Rechtsberater lediglich mit der Durchsetzung eines konkreten Anspruchs beauftragt ist oder eine rechtliche Gestaltung unabhängig von einer Krise der Mandantin vornehmen soll.
Der Drittschutz der Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund birgt auch kein unbilliges Haftungsrisiko für den Rechtsberater, da eine solche Verpflichtung nur unter engen Voraussetzungen eingreift. Dem Rechtsberater muss der mögliche Insolvenzgrund bekannt sein, er muss offenkundig sein und sich bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Mandats aufdrängen. Die bloße Erkennbarkeit ist ausdrücklich nicht ausreichend. Des Weiteren muss der Rechtsberater Grund zur Annahme haben, dass sich der Geschäftsführer nicht über den möglichen Insolvenzgrund und die daraus folgenden Haftungspflichten bewusst ist.
Der Drittschutz der Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund kann auch für den faktischen Geschäftsführer gelten, da er zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet ist und für die zivilrechtlichen Folgen einer verspäteten Antragsstellung einzustehen hat. Die Existenz des faktischen Geschäftsführers muss allerdings für den Rechtsberater erkennbar sein. Unter welchen Voraussetzungen das der Fall ist, lässt der BGH in seiner Entscheidung offen.
Der BGH hat in der vorliegenden Entscheidung erstmals höchstrichterlich festgestellt, dass die Hinweis- und Warnpflicht eines Rechtsberaters bei möglichem Insolvenzgrund Drittschutz entfalten kann, obwohl Hauptleistung des anwaltlichen Beratungsvertrags nicht die Beratung über Insolvenzgründe ist. Die Ausweitung des Drittschutzes von Geschäftsführern bei anwaltlichen Pflichtverletzungen gegen die Gesellschaft führt zu einer verschärften Beraterhaftung. Auch wenn der BGH in seiner Entscheidung noch Einschränkungen dergestalt macht, dass der Insolvenzgrund offenkundig sein oder sich aufdrängen muss, ist für Rechtsberater, die regelmäßig Unternehmen beraten, erhöhte Vorsicht insbesondere bei Randthemen und Annexfragen geboten. Bei Anzeichen einer Krise sollte zur Vermeidung einer Haftung ein Experte für Insolvenzrecht in das Mandat einbezogen werden (Maier, FD-InsR 2023, 460280).