BGH II ZR 81/21
Kein Anspruch auf Feststellung des Ausscheidens eines Gesellschafters (§ 242 BGB) bei Bestehen eines Wiederaufnahmeanspruchs

12.12.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
12.07.2022
II ZR 81/21
ZIP 2022, 1695

Leitsatz | BGH II ZR 81/21

Einer nach Kündigung der Gesellschaft durch einen Gesellschafter als Privatgläubiger auf Feststellung des Ausscheidens des gekündigten Gesellschafters gerichteten Klage kann ein aus der gesellschafterlichen Treuepflicht folgender Wiederaufnahmeanspruch entgegengehalten werden.

Sachverhalt | BGH II ZR 81/21

Der Kläger und die Beklagte, geschiedene Eheleute, waren Kommanditisten einer vermögensverwaltenden GmbH & Co. KG. In § 10 des Gesellschaftsvertrags der KG heißt es: „Ein Gesellschafter scheidet (…) aus, (…) wenn sein Auseinandersetzungsguthaben von einem Privatgläubiger gepfändet wird.“ Aus einem vom Kläger betriebenen familiengerichtlichen Verfahren, das nichts mit der Gesellschafterstellung der Beteiligten zu tun hatte, erging gegen die Beklagte ein Kostenersatzanspruch. Auf Grundlage eines Kostenfestsetzungsbeschlusses erwirkte der Kläger einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gegen die Beklagte, mit dem u.a. die Pfändung eines Auseinandersetzungsguthabens der Beklagten aus ihrem Kommanditanteil angeordnet wurde. Nachdem die Beklagte nicht zahlte, kündigte der Kläger mit an die Beklagte und die KG gerichteten Schreiben vom 13.12.2017 das Gesellschaftsverhältnis der Beklagten zu der KG mit Wirkung zum 31.12.2018. Dies stützte er auf den Gesellschaftsvertrag und auf § 135 HGB. Am 29.10.2018 zahlte die Beklagte auf die Kostenforderung des Klägers. Der Kläger hat beantragt festzustellen, dass die Beklagte mit Wirkung zum 31.12.2018 als Kommanditistin aus der KG ausgeschieden ist. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG Schleswig kam zu dem Ergebnis, dass die Beklagte als Kommanditistin ausgeschieden sei.

Entscheidung | BGH II ZR 81/21

Der BGH gab der Revision der Beklagten statt. Zwar seien die Voraussetzungen der gesellschaftsvertraglichen Ausscheidensklausel durch die Pfändung des Auseinandersetzungsguthabens durch den Kläger erfüllt. Gemäß der an § 135 HGB angelehnten Regelung im Gesellschaftsvertrag könne auch ein Mitgesellschafter „Privatgläubiger“ sein, wenn dieser – wie hier – einen außergesellschaftlichen Anspruch gegen den zu kündigenden Gesellschafter habe und damit bei der Durchsetzung seiner Kostenforderung der Gesellschaft wie ein fremder Dritter gegenüber stehe. Der Ausschluss der Beklagten durch die Kündigung des Klägers sei damit trotz Befriedigung des Klägers durch die Beklagte vor Wirksamwerden der Kündigung wirksam geworden.

Der auf Feststellung des Ausscheidens der Beklagten gerichteten Klage könne hier aber ein aus der gesellschafterlichen Treuepflicht folgender Wiederaufnahmeanspruch entgegengehalten werden. Es sei bei einem derartigen Sachverhalt regelmäßig zu prüfen, ob nicht den übrigen Gesellschaftern die Fortsetzung des Gesellschaftsverhältnisses mit dem gekündigten Gesellschafter unter dem Gesichtspunkt der gesellschafterlichen Treuepflicht zuzumuten sei. Wäre eine solche Fortsetzung der Gesellschaft zumutbar, seien die Mitgesellschafter dazu verpflichtet, den gekündigten Gesellschafter ggf mit rückwirkender Kraft vom Zeitpunkt seines Ausscheidens wieder in die Gesellschaft aufzunehmen. Der BGH widerspricht hierin dem OLG, da der Wiederaufnahmeanspruch nicht erfüllt sein müsse, sondern einer auf Feststellung des Ausscheidens eines gekündigten Gesellschafters gerichteten Klage nach allgemeinen Regeln entgegengehalten werden könne. Dem Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB, nach verbiete die dolo-agit-Einrede die Durchsetzung eines Anspruchs, wenn der Gläubiger das Erlangte wieder an den Schuldner herauszugeben hätte.

Praxishinweis | BGH II ZR 81/21

Für die gesellschaftsrechtliche Praxis ist diese Entscheidung in mehrerer Hinsicht interessant.

Der BGH unterstreicht, dass der Dolo-agit-Grundsatz nicht nur im Schuldrecht, sondern auch im Gesellschaftsrecht Anwendung findet. Ansonsten müsste ein gekündigter Gesellschafter, dessen Wiederaufnahmeanspruch bereits vor Wirksamwerden des Ausscheidens begründet ist, zunächst aus der Gesellschaft ausscheiden, um sodann vielleicht sogar gerichtlich seine Wiederaufnahme als Gesellschafter durchzusetzen. Damit hat der BGH wieder einmal die herausragende rechtliche Bedeutung unterstrichen, die er der aus dem Gesellschaftsverhältnis der Gesellschafter und letztlich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben resultierenden gesellschafterlichen Treuepflicht beimisst.

Ebenfalls konnte der BGH seine zu § 135 HGB vertretene Auffassung bestätigen, dass auch ein Mitgesellschafter „Privatgläubiger“ im Sinne der Vorschrift sein könne, wenn der Mitgesellschafter – wie ein Dritter – einen nicht aus dem Gesellschaftsverhältnis als solchen resultierenden, außergesellschaftlichen Anspruch gegen den zu kündigenden Gesellschafter hat.

In der Praxis ist bei der Kündigung eines Gesellschafters somit sorgfältig zu prüfen, ob und wie hierdurch die Treuepflicht unter den Gesellschaftern berührt wird und ggf. das Nichtvorliegen eines Treuepflichtverstoßes darzulegen und zu beweisen.