Vorsorgevollmacht / Patientenverfügung / Betreuungsverfügung: Vorkehrungen für den Fall der Fälle

Auch wenn wir im Alltag versuchen, diesen Gedanken fernzuhalten: Jeder Mensch in jedem Alter kann durch Unfall oder Krankheit plötzlich in eine Situation geraten, in der er nicht mehr in der Lage ist, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. Kann eine volljährige Person in wichtigen Fragen nicht mehr selbst entscheiden, muss das Betreuungsgericht einen Betreuer einsetzen.

Die Betreuungsgerichte ihrerseits sind zunächst einmal stark belastet und Verfahren können erhebliche Zeit in Anspruch nehmen. Darüber hinaus ist das Verfahren vor dem Betreuungsgericht nicht selten für die Beteiligten auch psychologisch belastend und löst Kosten aus, z.B. dafür, dass das Betreuungsgericht zunächst Sachverständigengutachten einholen muss zu der Frage, ob der Betroffene wirklich geschäftsunfähig ist. Darüber hinaus müssen die Angehörigen angehört werden. Letztlich ist es so, dass auch nach der Bestellung des Betreuers für viele Entscheidungen, die der Betreuer zu treffen hat, die Genehmigung des Betreuungsgerichts einzuholen ist. Dies löst wiederum zeitlichen Verzug aus und erheblichen Abstimmungsbedarf mit dem Betreuungsgericht, das nicht selten, z.B. beim Verkauf von Vermögenswerten, auch entsprechende Gutachten abfordert. Insgesamt ist die Situation durch die Geschäftsunfähigkeit so belastend, dass man den Angehörigen die weiteren Belastungen durch ein aufwendiges Betreuungsverfahren nicht auferlegen sollte.

Die Beteiligten müssen sich darüber im Klaren sein, dass die Eltern oder andere Verwandte (bisher selbst Ehegatten) für die betroffene Person keinerlei Entscheidungen treffen können, bis der entsprechende Betreuer ernannt ist. Häufig werden noch nicht einmal Auskünfte erteilt, weil es insoweit an gesetzlichen Vertretungsregeln fehlt. Mit der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts wird es zum 01.01.2023 in diesem Zusammenhang zumindest zwischen Ehegatten eine wichtige Neuregelung geben. Eingeführt wird künftig ein Recht der Ehegatten zur gegenseitigen Vertretung in Gesundheitsangelegenheiten (Ehegattenvertretungsrecht), welches besteht, wenn der andere Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit nicht in der Lage ist, die in der Vorschrift genannten Angelegenheiten der Gesundheitssorge rechtlich zu besorgen. Die künftigen Auswirkungen des Ehegattenvertretungsrechts auf das Betreuungsrecht sind im Einzelnen allerdings noch unklar.

All dies gilt nicht, wenn der Betroffene rechtzeitig entsprechende Vorkehrungen in Form von rechtsgültigen und im Idealfall notariellen Dokumenten getroffen hat:

  • Vorsorgevollmacht
  • Patientenverfügung
  • Betreuungsverfügung

sind hier die Urkunden, die jeder errichten sollte, der volljährig ist.

Das Dresdner Notariat Heckschen & van de Loo unterstützt Sie bei der Abfassung, Beurkundung und Hinterlegung dieser wichtigen Dokumente. Wir beraten Sie zu den vielfältigen Fragen rund um die für Ihre persönliche Situation passende Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung oder Betreuungsverfügung.

 


Die Patientenverfügung - Alles, was Sie wissen müssen

Die Abfassung von Patientenverfügungen hat in den letzten Jahren nicht nur durch die Rechtsprechung, sondern auch durch ein geändertes Bewusstsein der Bevölkerung enorm an Bedeutung gewonnen. Immer mehr Menschen wollen gerade für den Moment, in dem sie nicht mehr selbst in der Lage sind, über ihr Schicksal zu bestimmen, Anordnungen insbesondere für die Situation treffen, in der aus ärztlicher Sicht ein bewusstes, umweltbezogenes Leben nicht mehr möglich ist. Die geänderte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Inhalt der Patientenverfügung sollte auch diejenigen zur Überprüfung ihrer bereits errichteten Patientenverfügung veranlassen, die diese insbesondere vor 2016 verfasst haben. Angesichts der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage des selbstbestimmten Sterbens können in diesem Rahmen auch insoweit Anordnungen getroffen werden.

In Patientenverfügungen kann insbesondere auch bestimmt werden, ob man anstelle der Durchführung von schmerzlindernden Maßnahmen in dem Moment, in dem nach Ansicht der Ärzte ein bewusstes, umweltbezogenes Leben nicht mehr wiederherstellbar ist, eine sog. befristete Maximalbetreuung wünscht. Dies bedeutet, dass über den Zeitpunkt einer Diagnose der Ärzte in die Richtung, dass ein bewusstes, umweltbezogenes Leben nicht mehr möglich sein wird, trotzdem festgelegt werden kann, dass z.B. für drei, sechs, neun oder zwölf Monate weiterhin eine medizinische Maximalbehandlung erwünscht ist. Man kann aber auch ganz generell anordnen, dass man trotz der Diagnose der Ärzte eine Maximalbehandlung wünscht. Letztlich können in der Patientenverfügung auch ganz spezielle Anordnungen für Maßnahmen, die gewünscht sind oder aber auch gerade nicht gewünscht sind, getroffen werden. Hier sollte vorher aber insbesondere bei vorerkrankten Personen eine Rücksprache mit dem Arzt erfolgen.

Sowohl im Rahmen der Patientenverfügung als auch im Rahmen einer Vorsorgevollmacht kann darüber hinaus festgelegt werden, ob man mit einer Obduktion auch in den Fällen einverstanden ist, in denen nicht ohnehin aus strafrechtlicher Sicht Anlass für eine Obduktion gegeben ist. Dies kann insbesondere ermöglichen, dass aus wissenschaftlichem Interesse eine Obduktion vorgenommen wird.

Wir empfehlen darüber hinaus eine eindeutige Erklärung zur Thematik der Organentnahme. Nicht selten entstehen Unklarheiten oder sogar Streit über die Frage, ob derjenige, der seinen Willen nicht mehr selber äußern kann, mit einer Organentnahme einverstanden war oder nicht. Hier können auch ganz spezielle Anordnungen getroffen werden, bspw. dahingehend, dass nur bestimmte Organe entnommen werden dürfen oder die Organe nur einem bestimmten Personenkreis, z.B. Angehörigen, zur Verfügung gestellt werden sollen. Darüber hinaus ist es wichtig zu erklären, dass der Wille zur Organentnahme dem Willen vorgeht, keine lebensverlängernden Maßnahmen durchzuführen. In der Regel muss jedenfalls eine kurzfristige lebensverlängernde Maßnahme durchgeführt werden, um die Organe noch entnehmen zu können.

Auch wenn die notarielle Form für eine Patientenverfügung nicht vorgeschrieben ist: Als Mandanten von Heckschen & van de Loo profitieren Sie von objektiver Beratung und können sicher sein, dass Ihre Verfügung unmissverständlich und klar formuliert ist und den Anforderungen der aktuellen Rechtsprechung entspricht. So stellen Sie sicher, dass niemand gegen Ihren Willen handelt.


Die Vorsorgevollmacht - Alles, was Sie wissen müssen

Mit einer Vorsorgevollmacht legen Sie fest,

  • wer in Ihrem Namen Sie betreffende Entscheidungen in allen Bereichen der Vermögens- und Gesundheitssorge vornehmen darf,
  • welche Verfügungen im vermögensrechtlichen oder im Gesundheitsbereich vom Bevollmächtigten nicht getroffen werden sollen,
  • ob bei der Ernennung von mehreren Bevollmächtigten diese nur gemeinsam handeln können oder insgesamt oder in Teilbereichen einzeln handeln dürfen,
  • ob der Bevollmächtigte auch unentgeltliche Verfügungen (Schenkungen) vornehmen darf oder nicht,
  • ob die Vollmacht auch im Todesfall weitergelten soll oder ob sie mit diesem Ereignis enden soll,
  • wer ggf. dann zuständig ist, wenn die von Ihnen ausgesuchte Person ihrerseits verhindert ist,
  • wer für Sie das Totenfürsorgerecht wahrnehmen soll, also insbesondere über ihr Begräbnis entscheiden soll etc.,
  • was gelten soll, wenn der Vorsorgefall im Ausland eintritt und - wer die Ausfertigungen einer entsprechenden Urkunde in Empfang nehmen darf.

Im Internet und in anderweitig zugänglichen Formularen werden häufig Muster zum Ankreuzen empfohlen. Wir warnen davor, diese ohne juristischen Rat zu nutzen. Unsere Erfahrung zeigt, dass hier häufig durch juristische Unkenntnis Kreuze nicht gesetzt werden oder ganz entscheidende Sequenzen übersehen werden. Ermöglicht man bspw. dem Bevollmächtigten nicht, Vermögensverfügungen vorzunehmen, so kann er für den Vollmachtgeber bspw. keine Rechnungen bezahlen. Der Handlungsspielraum ist dann für diesen Bevollmächtigten stark eingeschränkt.

Ein häufiger Fehler bei Vorsorgevollmachten besteht auch darin, dass die Vorsorgevollmacht unter einer Bedingung erteilt wird. Die Vollmacht beginnt dann mit Formulierungen wie „für den Fall, dass ich nicht mehr selber entscheiden kann …“. Diese bedingten Vollmachten sind im Rechtsverkehr völlig untauglich, da Dritte den Eintritt dieser Bedingungen nicht überprüfen können. Es gibt eine gefestigte Rechtsprechung, die bei der Verwendung solcher bedingten Vollmachten feststellt, dass sie praxisuntauglich sind und deswegen ein Betreuer zu bestellen ist.

Gleiches gilt, wenn bspw. eine sog. Ersatzbevollmächtigung angeordnet wird. Hier wird häufig formuliert, dass für den Fall, dass der zunächst eingesetzte Bevollmächtigte nicht handeln kann oder will, eine dritte Person eingesetzt wird. Auch diese Bedingung ist im Rechtsverkehr nicht nachweisbar und führt damit zu einer stark eingeschränkten Verwendbarkeit der Vorsorgevollmacht.

Von enormer Bedeutung ist die Errichtung von Vorsorgevollmachten für alle, die Gesellschafter einer Personen- oder Kapitalgesellschaft sind (sog. Unternehmervollmacht). Es ist in weiten Kreisen unbekannt, dass ein Gesellschafter, der keine entsprechende Vollmacht errichtet hat, dann aber geschäftsunfähig wird, zu einer Gesellschafterversammlung nicht geladen werden kann und daher Gesellschafterversammlungen für den Fall, dass nur ein einziger Gesellschafter geschäftsunfähig ist, nicht mehr durchgeführt werden können. Hier besteht ein Interesse der Gesellschaft, aber auch jedes einzelnen Gesellschafters daran, dass alle Mitglieder einer Personen- oder Kapitalgesellschaft entsprechende Vorsorgevollmachten errichtet haben und diese wiederum mit den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages verzahnt sind. Hier muss insbesondere vorgesehen werden, dass eine Bevollmächtigung zulässig ist und der Kreis der Bevollmächtigten sollte nicht zu eng gezogen werden. Es handelt sich um eine komplexe Beratungsaufgabe, bei der wir Sie gerne unterstützen.

Wenn Sie eine Vorsorgevollmacht errichten, betreiben Sie für den Fall Vorsorge, dass Sie selbst nicht mehr entscheiden können. Wir verleihen Ihrem Willen mit unserer Erfahrung den richtigen Ausdruck, erläutern Ihnen die zahlreichen verschiedenen Optionen und stellen entsprechende Vollmachtsurkunden aus, ggf. kann von den bei uns erstellten Urkunden dann auch eine weitere Ausfertigung erteilt werden.


Die Betreuungsverfügung - Alles, was Sie wissen müssen


Die Betreuungsverfügung betrifft bei denjenigen, die gar keinen Vorsorgebevollmächtigten einsetzen können, weil sie über eine derartige Vertrauensperson nicht verfügen, die Regelungen, die dann an den Betreuer gerichtet sind. Die Betreuungsverfügung ergibt aber auch als Auffangmaßnahme für die Situation Sinn, dass keiner der Vorsorgebevollmächtigten handeln kann oder will. Wir unterstützen Sie bei der Abfassung der Anweisungen, die Sie an den vom Gericht ernannten Betreuer richten möchten.

Durch die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts wird es künftig auch in diesem Punkt eine erfreuliche Neuerung geben. So kann bisher prinzipiell jeder beruflicher Betreuer werden, ohne dafür den Nachweis der Sachkenntnis erbringen zu müssen. In Zukunft wird dagegen als beruflicher Betreuer nur noch zugelassen, wer erfolgreich ein Registrierungsverfahren durchlaufen hat.


Hinterlegung der Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung


Hat man sich einmal entschlossen, eine Vorsorgevollmacht und/oder Patientenverfügung zu errichten, stellt sich die Frage, wo diese rechtssicher aufbewahrt wird und wer über die Errichtung informiert werden sollte. Zunächst muss der Vollmachtgeber eine Entscheidung darüber treffen, ob er die Vollmacht dem Bevollmächtigten direkt übergibt. Dies bietet den Vorteil, dass der Bevollmächtigte sofort handeln kann, wenn er dies soll. Das Risiko ist aber, dass mit der Vollmacht in der Hand auch Missbrauch verübt werden könnte. Viele Vollmachtgeber entscheiden sich daher dafür, die Vollmacht dem Bevollmächtigten nur in Abschrift zu übergeben und nicht in Ausfertigung. Dies bietet den Vorteil, dass der Rechtsverkehr nach Vorlage einer Fotokopie auf das Bestehen der Vollmacht nicht ohne Weiteres vertrauen darf. Es ist zwar wichtig, den Bevollmächtigten zu informieren, aber teilweise ist es sinnvoll, dass die Ausfertigung bei einer anderen Person verbleibt, die sie nur dann herausgeben soll, wenn sie sich davon überzeugt hat, dass die Situation eingetreten ist, für die der Vollmachtgeber die Vollmacht errichtet hat.

Wichtig ist aber auch, dass Betreuungsgerichte von der Erteilung einer Vorsorgevollmacht unterrichtet sind oder sich darüber informieren können, da ansonsten eine Betreuung angeordnet werden könnte, obwohl dies angesichts der errichteten Vollmacht unzulässig wäre.

Wo kann die Vorsorgevollmacht / Patientenverfügung registriert werden?

Seit 2005 hat der Bundesgesetzgeber die Bundesnotarkammer damit beauftragt, ein sog. Zentrales Vorsorgeregister zu errichten. Mittlerweile sind dort rund 5 Mio. Vorsorgevollmachten registriert. Diese zentrale Einrichtung in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft stellt im Gegensatz insbesondere zu privaten Unternehmen sicher, dass das Vorsorgeregister auf Dauer besteht. Das Register ist nicht auf Gewinnerzielung ausgelegt. Jede Betreuungsbehörde ist berechtigt, das Register einzusehen und ist verpflichtet, vor Anordnung einer Betreuung zu überprüfen, ob für den Betroffenen eine Vorsorgevollmacht registriert wurde. Das Zentrale Vorsorgeregister steht unter der Rechtsaufsicht des Bundesministers der Justiz und für Verbraucherschutz. Der Registerbetrieb wird streng kontrolliert und damit wird gesichert, dass die gespeicherten Daten nicht in falsche Hände geraten. In dem Zentralen Vorsorgeregister können Vorsorgevollmachten, Betreuungsverfügungen und Patientenverfügungen registriert werden. Auch Privatpersonen sind berechtigt, sich dort mit ihrer privatschriftlichen Vollmacht registrieren zu lassen. Notare und Rechtsanwälte werden in aller Regel ihre Klienten auf diese Registrierungsmöglichkeit hinweisen und arbeiten mit dem Zentralen Vorsorgeregister zusammen. Die Betreuungsgerichte haben einen Online-Zugang, können aber lediglich abfragen, ob eine Vollmacht errichtet worden ist oder nicht.

Kosten der Registrierung beim Zentralen Vorsorgeregister

Die Kosten für die Registrierung der Vorsorgevollmacht bewegen sich bei einer Online-Registrierung bei 13,00 € und bei einer Registrierung, die auf schriftlichem Weg erfolgt, bei 16,00 €. Soll mehr als ein Bevollmächtigter registriert werden, so fallen für jeden zusätzlichen Bevollmächtigten, der registriert werden soll, 2,50 € an. Bei einer, z.B. von Eheleuten, errichteten gegenseitigen Vorsorgevollmacht fallen lediglich 17,00 € an. Werden dann noch weitere Bevollmächtigte benannt (z.B. Kinder), so erhöht sich die Gebühr pro weiterem Bevollmächtigtem um 2,50 €.

Diese Gebühren fallen einmalig an und werden – anders als bei privaten und auf Gewinnerzielung ausgerichteten Unternehmen – unabhängig von dem Zeitraum, für den die Registrierung erfolgt oder erfolgt ist, erhoben. Es sind also sog. Einmalgebühren.

Notare sind insgesamt mit dem Vorsorgeregister verbunden und werden als sog. Vielmelder mit einer Gebührenermäßigung belegt. Dies bedeutet, dass sich die Gebühr für eine Online-Meldung (Notare melden stets online) signifikant auf 8,50 € ermäßigt. Bei einer späteren Änderung der Meldung fallen überhaupt keine Gebühren an. Der Notar selber erhält keine zusätzlichen Gebühren dafür, dass er die Errichtung der Vorsorgevollmacht / Patientenverfügung / Betreuungsverfügung an das Zentrale Vorsorgeregister meldet, wenn er das Dokument beurkundet oder beglaubigt hat.


Aktueller Fachbeitrag

Digitalisierungsrichtlinie II – Die Digitalisierung im Gesellschaftsrecht geht weiter!

I. Hintergrund

Die Digitalisierung im Gesellschaftsrecht ist weiterhin dynamisch und wird von der EU und dem Bundesjustizministerium vorangetrieben. Den Startschuss bildete die Digitalisierungsrichtlinie 2019/1151. Diese setzte die Vorgaben des sog. Company Law Packages (vgl. dazu Linke, NZG 2021, 309; Bormann/Stelmaszczyk, NZG 2019, 601; Heckschen, NotBZ 2020, 241) um. Deren Vorgaben sind in Deutschland im Jahr 2021 mit dem Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) implementiert worden. Hintergrund dieser neuen Regelungen ist ein angestrebter Gewinn an Kostenersparnis und Zeiteffizienz. Das Herzstück des DiRUG ist die Online-Gründung der GmbH (ausf. dazu Knaier, in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 5. Aufl. 2023, Kap. 2 Rz. 150 ff.). Auch für weitere Registeranmeldungen sind Online-Verfahren vorgesehen. Die im DiRUG enthaltenen Digitalisierungsfortschritte und Innovationen gingen der Bundesregierung jedoch nicht weit genug. Das DiRUG wurde daher – ebenfalls im Jahr 2022 – durch das DiREG ergänzt (ausf. dazu Heckschen, NZG 2022, 885). Durch dieses Gesetz wurde die Online-Beurkundung ausgeweitet. Darüber hinaus kam es zu Erleichterungen bei Online-Anmeldungen. Schließlich wurden erstmals Regelungen zu der virtuellen Gesellschafterversammlung in der GmbH getroffen.

 

II. Grundlagen

An diese jüngeren Entwicklungen knüpft die EU-Kommission, welche sich in ihrem Arbeitsprogramm das Motto „Ein Europa für das digitale Zeitalter“ auf die Fahne geschrieben hat, mit ihrem jüngsten Vorschlag an. Am 23.03.2023 hat die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Ausweitung des Einsatzes digitaler Werkzeuge und Verfahren im EU-Gesellschaftsrecht vorgestellt, durch welchen die Digitalisierungsrichtlinie durch die Aufnahme neuer Vorschriften und die Änderung bestehender Vorschriften weiterentwickelt werden soll (Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council amending Directives 2009/102/EC and (EU) 2017/1132 as regards further expanding and upgrading the use of digital tools and processes in company law, COM(2023) 177 final). Ziel dieser Gesetzgebungsinitiative ist es, bestehende Formalitäten bei grenzüberschreitenden Unternehmensaktivitäten weiter abzubauen und den Zugang zu registergebundenen Unternehmensinformationen zu verbessern. Dies gilt insbesondere für Konstellationen, in denen Unternehmen Informationen aus Unternehmensregistern in grenzüberschreitenden Situationen, wozu auch Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren gehören, verwenden. Durch diese neuen Vorgaben soll es zu stärker digitalisierten und vernetzten grenzüberschreitenden öffentlichen Dienstleistungen für Gesellschaften kommen. Die Kommission möchte auf diesem Weg auch die Transparenz und das Vertrauen der Binnenmarktteilnehmer in grenzüberschreitende Geschäftstätigkeiten stärken. Dies soll es schließlich auch anderen Behörden auch erleichtern, Missbrauch zu bekämpfen. Gleichzeitig soll der in dem Vorschlag verbundene Bürokratieabbau jährlich rund 437 Mio. EUR an Verwaltungskosten einsparen.  Insbesondere sollen kleine und mittlere Unternehmen entlastet werden. Ein Ziel besteht darin, die Gründung ausländischer Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften bzw. ganz allgemein grenzüberschreitende Geschäftsaktivitäten zu erleichtern.

 

III. Der Entwurf im Einzelnen

Der bislang nur in englischer Sprache vorliegende Entwurf besteht im Wesentlichen aus den folgenden Vorschlägen, welche in die bestehende GesR-RL (RL 2017/1132), in der sich auch die Digitalisierungsrichtlinie wiederfindet, implementiert werden sollen, wobei Personenhandelsgesellschaften und Partnerschaftsgesellschaften sowie die EWiV ausdrücklich mit einbezogen werden. Anders als z. B. bei der Mobilitätsrichtlinie (ausf. dazu Habersack, ZHR 187 (2023), 48; Heckschen/Knaier, GmbHR 2023, 317) sind also nicht nur Kapitalgesellschaften Ziel der Kommission.

 

1. Zwingende vorbeugende Kontrolle bei Gründung und Satzungsänderungen

Der Kommissionsentwurf sieht eine Neufassung des Art. 10 GesR-RL-E vor. Die vorgeschlagene Neuregelung beinhaltet die vorbeugende Kontrolle durch Verwaltung oder Judikative im Falle der Gründung und bei jeder Änderung des Errichtungsakts oder der Satzung bei Personen- und Kapitalgesellschaften. Dies gilt unabhängig davon, ob die Gründungsform online, hybriden oder offline ist. Zudem sollen Mindeststandards für diese Rechtmäßigkeitsprüfung festlegt werden. Diese beinhalten gem. Art. 10 Abs. 2 GesR-RL-E die Einhaltung der formalen Anforderungen an den Gründungsakt bzw. die Satzung, das Nichtvorliegen offensichtlicher materiell-rechtlicher Unregelmäßigkeiten und die Kontrolle, dass die Geld- oder Sacheinlage im Einklang mit dem nationalen Recht geleistet worden ist. Der Entwurf sieht die Möglichkeit der Beteiligung von Notaren an dieser vorgelagerten Kontrolle ausdrücklich vor.

Spannend wird es sein, wie Länder, die im Prinzip nur Unternehmensdateien führen (Malta, Zypern, Irland), diese Vorgaben umsetzen.

 

2. Erweiterung der Registerinhalte

Zunächst sollen die bestehenden Registerinhalte erweitert wird. Dies gilt gem. Art. 14a GesR-RL-E in persönlicher Hinsicht für die Offenlegung von Informationen über Personengesellschaften. Diese sollen zukünftig Informationen wie beispielsweise den Namen, die Rechtsform oder den Vertragssitz in den nationalen Registern und über das durch die Digitalisierungsrichtlinie eingeführte System zur Verknüpfung von Unternehmensregistern (Business Registers Interconnection System bzw. BRIS) offenlegen müssen. Das BRIS verknüpft die mitgliedstaatlichen Register und ermöglicht die unionsweite Suche nach Informationen aus mitgliedstaatlichen Unternehmensregistern. Die erfassten deutschen Personengesellschaftsformen sind entsprechend des Annexes II zum Kommissionsentwurf die oHG und die KG. Die – ab dem 01.01.2024 durch das MoPeG (ausf. dazu Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 1. Auflage 2022; Wertenbruch, JZ 2023, 78) reformierte – (eingetragene) GbR wird hingegen nicht erfasst.

Darüber hinaus sollen zukünftig gem. Art. 14b GesR-RL-E auch konzernbezogenen Informationen offengelegt werden müssen. Dazu zählen beispielsweise der Name und die Rechtsform jeder Tochtergesellschaft sowie der Mitgliedstaat, in welchem diese eingetragen sind. Grundsätzlich soll die Muttergesellschaft in ihrem nationalen Register grundlegende Informationen auch über alle ihre Tochtergesellschaften offenlegen. Dies gilt jedoch nur insoweit, als die Muttergesellschaft dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegt. Unterliegt die oberste Muttergesellschaft dem Recht eines Drittlandes, solle die Offenlegungspflicht von der in einem Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft erfüllt werden, die der obersten Muttergesellschaft in der Kette am nächsten steht. Darüber hinaus soll auch eine Visualisierung der mitunter komplexen Konzernstrukturen durch das System der Registerverknüpfung zur Verfügung gestellt werden.

Schließlich sollen Kapitalgesellschaften künftig gem. Art. 14 lit. l, m GesR-RL-E auch die Lokalisierung ihrer Hauptverwaltung und ihre Hauptniederlassung offenlegen, wenn diese nicht in dem Mitgliedstaat, in dem der Satzungssitz lokalisiert sind, belegen sind. Diese Vorschrift dient dem Schutz der Stakeholder (insbes. Gläubiger) durch Transparenz. Sie werden dadurch in die Lage versetzt, fundierte Entscheidungen zu treffen und ihre Interessen schützen können.

 

3. Grundsatz der einmaligen Erfassung („once-only principle“)

Gegenwärtig besteht die Bürde, dass grenzüberschreitend aktive Unternehmen dieselbe Information mehrfach in unterschiedlichen Mitgliedstaaten einreichen müssen. Dies verursacht für die Unternehmen unnötigen Aufwand und unnötige Kosten. Hier setzt die Kommission an. Nach dem vorgeschlagenen Grundsatz der einmaligen Erfassung müssen Unternehmen bei der Errichtung einer Zweigniederlassung oder eines Unternehmens in einem anderen Mitgliedstaat die bereits in ihrem nationalen Unternehmensregister verfügbaren Informationen künftig nicht erneut dem Register des Mitgliedstaats, in dem die Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung angemeldet werden soll, übermitteln. Stattdessen sollen die Unternehmensregister die entsprechenden Informationen über das durch die Digitalisierungsrichtlinie eingeführte und mittlerweile in der Praxis bewährte System BRIS austauschen (vgl. Art. 13g Abs. 2a, 28a Abs. 5a GesR-RL-E). Das Register, in dem die Gesellschaft gegründet werden soll, soll diese Informationen aus dem BRIS abrufen.

 

4. Verknüpfung des BRIS mit Registern über Insolvenz und wirtschaftliche Eigentümer

Das BRIS soll zukünftig mit den mitgliedstaatlichen Insolvenzregistern (insolvency registers interconnection – IRI) und den Registern wirtschaftlicher Eigentümer (beneficial ownership registers interconnection system – BORIS)) verknüpft werden. Dadurch soll eine vereinfachte Suche nach Informationen über in der EU ansässige Unternehmen ermöglicht werden. Den Unternehmen soll aufgetragen werden, dass die in den Registern enthaltenen Informationen stets auf dem neuesten Stand müssen. Dies soll einerseits dadurch gelingen, dass Gesellschaften gehalten sind, ihre Informationen in den Unternehmensregistern rechtzeitig zu aktualisieren und einmal jährlich zu bestätigen, dass die Informationen auf dem neuesten Stand sind (vgl. Art. 15 GesR-RL-E). Wenn innerhalb eines Jahres keine Änderung eingetreten ist, soll die Mutter- oder Tochtergesellschaft dies ihrem Register bestätigen. Zur Durchsetzung dieser Vorgaben sollen die Mitgliedstaaten gewährleisten müssen, dass Sanktionen verhängt werden, wenn Gesellschaften Informationen nicht oder verspätet bei den Registern einreichen.

 

5. Einheitliches EU-Gesellschaftszertifikat

Zukünftig soll gem. Art. 16b GesR-RL-E ein von dem Register ausgestelltes – analog und elektronisch verfügbares – EU-Gesellschaftszertifikat mit grundlegenden Informationen über das jeweilige Unternehmen in allen mitgliedstaatlichen Sprachen und kostenlos verfügbar sein. Dieses wird von den mitgliedstaatlichen Registern ausgestellt. Die Gesellschaft kann dadurch grundlegende Informationen wie beispielsweise Existenz, Rechtsform, Sitz, Vertretung nachweisen. In diesem Gesellschaftszertifikat werden darüber hinaus wesentliche Gesellschaftsinformationen wie beispielsweise die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen, in Steuerangelegenheiten oder Genehmigungsverfahren in einem anderen Mitgliedstaat, verfügbar sein. Das Zertifikat muss in allen Mitgliedstaaten als schlüssiger Beweis für die Gründung der Gesellschaft und die in ihm enthaltenen Informationen anerkannt werden. Es wird allerdings aus dem bisherigen Entwurfstext nicht hinreichend klar, ob ein ganz wesentliches Problem des derzeitigen grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs endlich gelöst wird: Aus vielen Registern in Europa ist zwar ersichtlich, wer die vertretungsberechtigten Personen eines Unternehmens sind, nicht aber, wie sie vertreten können, wenn mehrere Vertretungsberechtigte bestellt sind. Anders als in Deutschland ist z. B. in Frankreich oder in den Niederlanden aus dem Register nicht erkennbar, ob mehrere vertretungsberechtigte Personen einzeln oder nur gemeinsam und in welcher Weise sie vertretungsberechtigt sind. Art. 16b Abs. (2) lit. k) ist insoweit unklar, da bei gesamtvertretungsberechtigten Personen nicht eindeutig geregelt ist, in welcher Weise sie mit anderen vertretungsberechtigten Personen vertreten dürfen. Insoweit stellt sich zu diesem Zertifikat die Frage, ob es auch aus Staaten, die bisher keine Registerprüfung nach deutschem Verständnis vorsehen (Malta, Zypern, Irland), zu akzeptieren ist.

 

6. Standardisierte EU Power of Attorney

Darüber hinaus ist die Einführung einer mehrsprachige Mustervollmacht, mit der eine Person in digital beglaubigter Form zur Vertretung eines Unternehmens in einem anderen Mitgliedstaat ermächtigt wird, vorgesehen. Diese muss im gesamten Binnenmarkt akzeptiert werden. Die Vollmacht wird aber weiter nach nationalem Recht erstellt und kann auch nach nationalem Recht widerrufen werden. Die Vollmacht soll im Unternehmensregister des Unternehmens hinterlegt werden. Dritte mit einem berechtigten Interesse sollen sie dort abrufen können. Ob eine derartige Vollmacht wirklich großen Nutzen bringt, erscheint sehr fraglich, da die Vollmachtgeber in der Praxis stets eine Vielzahl von Einschränkungen etc. wünschen. An dem Vorschlag der Mustervollmacht wird zu arbeiten sein.

 

7. Beseitigung weiterer Formalitäten, z.B. Entbehrlichkeit einer Apostille

Um Bürokratieaufwand einzusparen, sieht der Entwurf in Art. 16d und 16f die Beseitigung von Formalitäten wie der Notwendigkeit einer Apostille oder beglaubigter Übersetzungen von Unternehmensdokumenten vor, wenn beglaubigte Register- oder notarielle Dokumente zu einem gesellschaftsrechtlichen Vorgang grenzüberschreitend in einem anderen Mitgliedstaat verwendet werden. Die Beseitigung der Notwendigkeit einer Apostille im europäischen Rechtsverkehr des Gesellschaftsrechts wäre ein Meilenstein. Die Einholung einer Apostille (vereinfacht: einer Bestätigung, dass z.B. der Notar auch wirklich Notar ist) nimmt in der Praxis viel Zeit in Anspruch und löst erheblichen finanziellen Aufwand aus. Die Apostille war bislang beispielsweise bei der Gründung einer Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat erforderlich und für fast jede notarielle Urkunde im grenzüberschreitenden Bereich, mit Ausnahme des Rechtsverkehrs mit Frankreich und Österreich, unerlässlich. Durch den Vorschlag würden Verwaltungshürden daher substantiell gesenkt. Das gleiche soll auch für Dokumente und Informationen gelten, die über das BRIS ausgetauscht werden sowie für notarielle Urkunden oder Verwaltungsdokumente im Zusammenhang mit den Verfahren nach der GesR-RL (z.B. Eintragung von Zweigniederlassungen oder grenzüberschreitende Umwandlungen).


IV. Fazit und Ausblick

Es ist sehr zu begrüßen, dass die Kommission bemüht ist, die Binnenmarktintegration weiter auszubauen und ein besseres wirtschaftliches Umfeld für Unternehmen, Verbraucher und Stakeholder wie beispielsweise Investoren und Gläubiger (Stichwort: Transparenz) zu erreichen. Der Entwurf scheint überwiegend ausgewogen und sehr zielführend. Die vorgeschlagenen Verbesserungen in puncto Digitalisierung fügen sich nahtlos in die vorangegangenen Maßnahmen ein und erscheinen geeignet, die anvisierten Ziele zu erreichen. Der Entwurf hat das Potential, die bestehenden bürokratischen Hürden spürbar abzusenken und dadurch den Binnenmarkt zu stärken. Hiervon werden insbesondere kleine und mittlere Unternehmen profitieren, die im gesamten Binnenmarkt rund 98 – 99 Prozent aller Unternehmen ausmachen. In den nächsten Monaten werden sich das Europäische Parlament und der Rat als Gesetzgebungsorgane mit dem Vorschlag beschäftigen. Es kann daher noch zu inhaltlichen Änderungen kommen. Der Kommissionsvorschlag sieht vor, dass die die Vorgaben innerhalb von zwei Jahren ab Inkrafttreten der neuen Richtlinie umsetzen müssen. Bis zum Inkrafttreten der neuen nationalen Regelungen wird daher noch einiges an Zeit vergehen.

 

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