13.05.2022
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
LG Stuttgart
23.02.2021
31 O 77/20 KfH
NZG 2021, 1227 = AG 2021, 927
Zwangseinziehung von Aktien nach einer Satzungsänderung [ PDF ]
(alle nicht amtl.)
Der Kläger ist Aktionär einer AG, deren Grundkapital in 300.000 Stammaktien und 200.000 Vorzugsaktien ohne Stimmrecht aufgeteilt ist. Seit Bestehen der AG (2014) hält er alle Vorzugsaktien. Auf einer Hauptversammlung in 2020 wurde durch die Stammaktieninhaber eine Satzungsänderung beschlossen, welche die zwangsweise Einziehung von Aktien durch HV-Beschluss gestattet. Als Einziehungsgründe werden insolvenzrechtliche Maßnahmen gegen den Aktionär, Pfändungen seiner Aktien und sonstige wichtige Gründe genannt.
P1: Kann eine einziehungsgestattende Satzungsbestimmung nach Zeichnung bzw. Erwerb der einzuziehenden Aktien eingeführt werden?
P2: Sind nicht stimmberechtigte Vorzugsaktionäre bei satzungsändernden HV-Beschlüssen, die die Zwangseinziehung von Aktien gestattet, ausnahmsweise stimmberechtigt?
zu P1
Das Gericht unterscheidet zwischen der angeordneten Zwangseinziehung und der die Zwangseinziehung gestattenden Satzungsänderung. Letztere könne unproblematisch nach § 237 AktG durch HV-Beschluss durchgeführt werden. Ob der die konkrete Einziehung anordnende HV-Beschluss für die vor Satzungsänderung erworbenen bzw. gezeichneten Aktien gefasst werden kann, lässt das Gericht offen.
zu P2
Einer Durchführung der Sonderversammlung mit dem Kläger als einzigen Vorzugsaktionär bedurfte es nicht. Weder die in Betracht kommenden Normen (§§ 141 Abs. 1, 179 Abs. 3, 222 Abs. 2 AktG) noch die GR-RL (RL EU 2017/1132) schreiben eine Sonderzustimmung der Vorzugsaktionäre zur einziehungsgestattenden Satzungsänderung vor.
Der § 141 Abs. 1 AktG, § 222 Abs. 2 AktG und die GR-RL scheitern zumindest auch daran, dass die Satzungsänderung nur die Grundlage für die Einziehung schafft, diese jedoch nicht anordnet. Zudem geht aus der Satzungsänderung nicht hervor, ob eine bestimmte Aktiengattung betroffen ist.
Da das LG Stuttgart nur zu entscheiden hatte, ob die Satzungsänderung nichtig oder anfechtbar war, blieb die Problematik eines darauf gefassten Eiziehungsbeschlusses offen. Jedenfalls ist die Vorbereitung eines solchen Beschlusses durch Einfügung einer entsprechenden Satzungsänderung unproblematisch.
In Bezug auf den konkreten Einziehungsbeschluss ist aber insbesondere bei Publikumsgesellschaften kein berechtigtes Interesse der AG ersichtlich, nicht stimmberechtigte Vorzugsaktien im Falle der Insolvenz des Aktionärs einzuziehen, da dieser keinen Einfluss auf wirtschaftliche Entscheidungen in der AG hat. Hingegen erscheint bei familiären AGs mit wenigen Aktionären im Hinblick auf die BGH-Rspr. ein anderes Ergebnis denkbar, da hier der Aktionärskreis bewusst vor dem Eintritt unbekannter Dritter mit Verkauf der Aktien durch den Insolvenzverwalter geschützt bleiben soll.
Aufgrund § 237 Abs. 1 S. 2 AktG gilt die den Einziehungsbeschluss gestattende Satzungsänderung aber nur ex nunc. Somit ist für die Einziehung von Gründungsaktien oder vor der Satzungsänderung erworbenen Aktien die Zustimmung der Betroffenen (auch nicht stimmberechtigter Vorzugsaktieninhaber) erforderlich.
Die Rechtssache ist gegenwärtig beim BGH anhängig unter dem Az. II ZR 104/21.