OLG München 31 Wx 278/18
Zusammensetzung des Aufsichtsrats einer AG nach deren Umwandlung in eine SE

28.08.2020

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG München
26.03.2020
31 Wx 278/18
NZG 2020, 783

Leitsatz | OLG München 31 Wx 278/18

  1. Bei einer durch formwechselnde Umwandlung gegründeten, dualistisch aufgebauten Europäischen Gesellschaft (SE) richtet sich die im Rahmen eines gerichtlichen Statusverfahrens nach §§ 98, 99 AktG festzulegende Zusammensetzung des Aufsichtsorgans danach, wie der Aufsichtsrat vor der Umwandlung richtigerweise zusammenzusetzen war.
  2. Diese Anknüpfung an den rechtlich gebotenen Soll-Zustand gilt grundsätzlich nicht nur bei Anwendung der Auffangregelung über die Mitbestimmung kraft Gesetzes (§§ 34ff. SEBG), sondern auch in Konstellationen, in denen eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer iSd § 21 SEBG geschlossen wurde.
  3. Sofern vor der Eintragung der durch Umwandlung gegründeten SE in das Handelsregister ein gerichtliches Statusverfahren noch nicht eingeleitet wurde, gilt dies jedoch nur, wenn und soweit im Zeitpunkt der Umwandlung ein solches jedenfalls hätte eingeleitet werden können. Dazu muss schon zum damaligen Zeitpunkt Streit oder Ungewissheit iSd § 98 I AktG bestanden haben.

(amtliche Leitsätze)

Sachverhalt | OLG München 31 Wx 278/18

Der Antragssteller ist Aktionär einer Aktiengesellschaft und betrieb in den vergangenen Jahren mehrere Statusverfahren. Die Gesellschaft, die bis ins Jahr 2013 als AG fungierte, wurde aufgrund eines Umwandlungsplans vom 29.04.2013 in eine dualistisch organisierte europäische SE umgewandelt. Im Vorfeld der Umwandlung schlossen die AG und das besondere Verhandlungsgremium eine Beteiligungsvereinbarung, die in ihrer Schlussbestimmung wie folgt lautete: „Im Aufsichtsrat der S-AG sind Arbeitnehmer nicht vertreten. Die Parteien vereinbaren hiermit, dass Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der SE nicht vertreten sind; gleiches gilt auch für einen etwaigen künftigen Verwaltungsrat der SE.“

Zum Zeitpunkt der Umwandlung beschäftigte der Konzern deutschlandweit 1.751 Arbeitnehmer, weltweit deutlich über 2.000.

Der Antragssteller begehrte nach Eintragung der Umwandlung eine gerichtliche Entscheidung des Landgerichts über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der AG nach §98 AktG. Mit Beschluss vom 10.07.2018 hat das Gericht den Antrag abgewiesen, wogegen sich der Antragsteller mit der Beschwerde wendete.

Entscheidung | OLG München 31 Wx 278/18

Die Beschwerde hatte vorläufigen Erfolg und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung der angefochtenen Entscheidung an das Landgericht zur erneuten Behandlung und Entscheidung.

Das OLG München entschied, dass es für den Anknüpfungszeitpunkt der Zusammensetzung des Aufsichtsrats einer SE auf den „Soll-Zustand“ ankommt.

Bei der strittigen Fragestellung orientierte sich das Gericht an den im Jahr zuvor vom BGH entwickelten Grundsätzen (BGH, Beschluss vom 23.07.2019 – II ZB 20/18). Diesen lag zwar der Sachverhalt zugrunde, dass ein Statusverfahren noch vor Umwandlung eingeleitet worden war und auch keine Mitbestimmungsvereinbarung vorlag. Ebenso ließ der BGH offen, ob der Aufsichtsrat der umgewandelten SE sich im Fall des Scheiterns der Zusammensetzungsverhandlungen nach der tatsächlichen Zusammensetzung („Ist-Zustand“) oder der Zusammensetzung in richtiger Weise („Soll-Zustand“) richten soll.

Im Lichte von § 21 Abs. 6 und § 35 Abs. 1 SEBG hielt das OLG sämtliche Bedenken gegen den „Soll-Zustand“ für nicht durchgreifend, wenn im Zeitpunkt der Umwandlung ein solches Verfahren hätte eingeleitet werden können. Es sei nicht ersichtlich warum nur ein gerichtlicher Streit, nicht aber die Bekanntmachung des Vorstands über die seiner Auffassung nach gesetzeswidrige Zusammensetzung des Aufsichtsrats relevant sein sollen. Schließlich habe dieser bei Zweifeln grundsätzlich ein Wahlrecht: er könnte sowohl eine Bekanntmachung nach § 97 I AktG herausgeben oder unmittelbar ein Statusverfahre einleiten, da in dem Fall auch Ungewissheit im Sinne von § 98 I AktG herrsche. Bestünden Zweifel, dürfe die Eintragung der SE die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats nicht vereiteln. Anderenfalls käme es zufallsabhängig zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, ob zuerst das Gerichtsverfahren anhängig gemacht werde oder die Eintragung der SE erfolgte.

Selbst wenn zwar nicht beim Vorstand, aber bei einem anderen Beteiligten Zweifel an der Gesetzmäßigkeit der Aufsichtsratszusammensetzung bestehen, müsse das Recht auf Einleitung eines Statusverfahrens ebenfalls bestehen bleiben. Es sei auch hier nicht sachgerecht, die Korrekturmöglichkeit durch Eintragung einer SE zu vernichten.

Allen Konstellationen sei letztlich gemeinsam, dass die aktuelle Aufsichtsratszusammensetzung bereits infrage gestellt und der Weg für die Einleitung eines Statusverfahrens geebnet wurde. Die bestehenden und bereits nach außen getragenen Zweifel über die Gesetzmäßigkeit der aktuellen Zusammensetzung des Aufsichtsrats dürften unter dem Aspekt der Vermeidung einer „Flucht aus der Mitbestimmung“ nicht durch die Eintragung in eine SE festgezurrt werden.

Praxishinweis | OLG München 31 Wx 278/18

Wenngleich der BGH selbst die hier entschiedene und höchst umstrittene Problemstellung noch nicht entschied, werden sich Unternehmen an der Entscheidung des OLG künftig zu orientieren haben. Dies bedeutet, dass der mitbestimmungsrechtliche Status der Ausgangsgesellschaft regelmäßig überprüft werden muss. Nur hierdurch können etwaige Zweifel oder Anhaltspunkte auch zur Einleitung eines Statusverfahrens führen, das Rechtsunsicherheiten in ausreichender Weise begegnen könnte.