BGH V ZR 233/20
Zur Möglichkeit der Beendigung des Nießbrauchs bei Pflichtverletzungen des Nießbrauchers

07.04.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
21.01.2022
V ZR 233/20
RNotZ 2022, 548

Leitsatz | BGH V ZR 233/20

  1. Der Nießbrauch und das mit seiner Bestellung zwischen dem Eigentümer und dem Nießbraucher entstehende besondere gesetzliche Schuldverhältnis sind einer Kündigung gemäß § 314 Abs. 1 BGB nicht zugänglich.
  2. Ist in dem der Nießbrauchsbestellung zugrunde liegenden Kausalgeschäft die Zahlung eines wiederkehrenden Entgelts vereinbart und zahlt der Nießbraucher das Entgelt nicht, kann der Eigentümer das Kausalverhältnis unter den weiteren Voraussetzungen des § 314 BGB kündigen und den Nießbrauch kondizieren (Abgrenzung von Senat, Urteil vom 13. November 1998 – V ZR 29/98, NJW-RR 1999, 376, 377).
  3. Hiervon zu unterscheiden sind Vereinbarungen, die das durch die Bestellung des Nießbrauchs entstehende gesetzliche Schuldverhältnis zwischen Nießbraucher und Eigentümer betreffen. Eine Verletzung daraus folgender Pflichten berechtigt den Eigentümer nicht zu einer Beendigung des Nießbrauchs nach den Vorschriften des Leistungsstörungsrechts.

Sachverhalt | BGH V ZR 233/20

Die Klägerin, Eigentümerin eines bebauten Grundstücks, räumte dem Beklagten am 23.09.2009 ein lebenslanges Nießbrauchrecht ein. Es wird vereinbart, dass der Nießbraucher sämtliche private und öffentliche Lasten zu tragen hat, einschließlich der von Gesetzes wegen eigentlich dem Eigentümer obliegenden privaten Lasten. Zusätzlich hat der Beklagte ein monatliches Entgelt in Höhe von 370,00€ zu leisten. Diese Pflicht ist Bestandteil des dinglichen Rechts. Später berichtigte die beurkundende Notarin die Urkunde gegenüber dem Grundbuchamt wie folgt: Die Entgeltlichkeit des Nießbrauchrechts soll nur als schuldrechtliche Vereinbarung gelten. Das monatlich zu leistende Entgelt wurde mit weiterer notarieller Vereinbarung auf 1 € herabgesetzt. Ab 2012 entrichtete der Beklagte die Grundsteuer nicht mehr. Ob er das vereinbarte Entgelt zahlte, ist zwischen den Parteien streitig. Mit Schreiben vom 8.11.2016 forderte die Klägerin den Beklagten auf, seine Verpflichtungen aus der notariellen Urkunde bis zum 22.11.2016 zu erfüllen. Gleichzeitig erklärte sie die außerordentliche fristlose Kündigung des Vertrags und nimmt den Beklagten auf Zustimmung zur Löschung des Nießbrauchs in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat ihr stattgegeben.

Entscheidung | BGH V ZR 233/20

Die Klägerin kann, anders als vom Berufungsgericht angenommen, von dem Beklagten nicht wegen Rücktritt von dem der Nießbrauchsbestellung zugrundeliegenden Kausalverhältnis gem. § 323 Abs. 1 BGB die Rückübertragung des Nießbrauchs gem. § 346 Abs. 1 BGB verlangen.

Grundsätzlich können auf das Kausalverhältnis, welches der Nießbrauchsbestellung zugrunde liegt, die allgemeinen Regelungen des Leistungsstörungsrechts der §§ 320 ff. BGB angewendet werden. Allerdings ist das Kausalverhältnis von den Vereinbarungen, die das Verhältnis zwischen dem Eigentümer und dem Nießbraucher während des Nießbrauchs regeln, zu trennen. Das Kausalverhältnis bildet den Rechtsgrund für das dingliche Recht. Ist das Kausalverhältnis unwirksam, kann das dingliche Recht nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB kondiziert werden; erbringt der Nießbrauchberechtigte die geschuldete Gegenleistung nicht, kann der Eigentümer nach § 323 Abs. 1 BGB von dem Vertrag zurücktreten. Hiervon zu unterscheiden sind Vereinbarungen, die das, durch die Bestellung des Nießbrauchs entstehende, gesetzliche Schuldverhältnis betreffen.

Das Gesetz gibt die Rechte und Pflichten von Eigentümer und Nießbraucher in den §§ 1030 ff. BGB vor; diese Bestimmungen sind aber teilweise abdingbar. Zulässige Abweichungen können mit dinglicher Wirkung vereinbart werden und werden mit der Grundbucheintragung zum Inhalt des Rechts. Die Beteiligten können sich aber auch auf schuldrechtliche Vereinbarungen beschränken. Solche Vereinbarungen sind nicht Teil des Kausalverhältnisses, insbesondere sind die Lastentragungspflichten keine Gegenleistung für den Nießbrauch. Eine Verletzung dieser Pflichten berechtigt den Eigentümer somit nicht zu einer Beendigung des Nießbrauchs nach den Vorschriften des Leistungsstörungsrechts. Die Parteien haben durch ihre Vereinbarung das gesetzliche Schuldverhältnis ausgestaltet. Indem der Beklagte die Grundsteuer nicht entrichtete, hat er zwar seine Pflichten als Nießbraucher, nicht aber die aus dem zugrundeliegenden Kausalverhältnis verletzt. Folglich kann der Rücktritt der Klägerin vom Kausalverhältnis nach § 323 Abs. 1 BGB nicht auf diese Pflichtverletzung gestützt werden.

Praxishinweis | BGH V ZR 233/20

Bei einem Nießbrauch sind stets das der Nießbrauchsbestellung zugrunde liegende Kausalverhältnis und das, infolge der Bestellung entstehende, gesetzliche Schuldverhältnis zu unterscheiden.

Folglich ist auch zu unterscheiden, gegen welche Pflichten der Nießbraucher verstoßen hat. Hinsichtlich des Kausalverhältnisses findet das allgemeine Leistungsstörungsrecht nur Anwendung, wenn gerade eine Pflicht verletzt wird, die das Kausalverhältnis betrifft. Eine Verletzung von Pflichten aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis berechtigt den Eigentümer nicht zu einer Beendigung des Kausalverhältnisses und somit auch nicht zu einer Rückforderung bzw. Löschung des Nießbrauchs.

Der BGH weist in seiner Entscheidung auch darauf hin, dass die Löschung des Nießbrauchs gem. § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB verlangt werden kann, wenn die Klägerin das Kausalverhältnis gem. § 314 BGB gekündigt hat. Hierzu müsste das Berufungsgericht feststellen, ob der Beklagte das Entgelt gezahlt oder aber seine Gegenleistungspflicht für das Nießbrauchsrecht verletzt hat. Es ist grundsätzlich umstritten, ob eine Kündigung gem. § 314 BGB möglich ist. Allerdings wird dies vom BGH hier angenommen. Zwar sind der Nießbrauch und das mit seiner Bestellung entstehende gesetzliche Schuldverhältnis einer Kündigung gem. § 314 Abs. 1 BGB nicht zugänglich. Allerdings enthält das Kausalverhältnis bei der Vereinbarung eines laufenden Entgelts Elemente eines Dauerschuldverhältnisses. Deshalb ist die Anwendung der allgemeinen Kündigungsvorschrift für Dauerschuldverhältnisse in § 314 Abs. 1 BGB auf das Kausalverhältnis gerechtfertigt.