OLG Düsseldorf 12 U 23/21
Zur Geschäftsführerhaftung bei Gehaltszahlung nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit als masseschmälernde Zahlungen i.S.v. § 64 GmbHG a.F.

08.08.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Düsseldorf
09.12.2021
12 U 23/21
GmbHR 2022, 414

Leitsatz | OLG Düsseldorf 12 U 23/21

  1. Eine masseschmälernde Zahlung iSv § 64 S. 1 GmbHG liegt auch dann vor, wenn der Geschäftsführer nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit Gehälter an Mitarbeiter der Gesellschaft zahlt, weil Arbeits- oder Dienstleistungen regelmäßig für eine Verwertung durch die Gläubiger nicht geeignet sind.
  2. Zahlungen zur vorübergehenden Aufrechterhaltung des Betriebs sind nur dann iSd § 64 S. 2 GmbHG mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar, wenn ohne die Zahlung der Betrieb sofort eingestellt werden müsste und damit eine ernsthafte Chance auf Sanierung oder Fortführung im Insolvenzverfahren zunichte gemacht würde. Das Bestehen einer ernsthaften Sanierungschance ist vom Geschäftsführer darzulegen und zu beweisen.
  3. Weisungen des Gesellschafters können Zahlungen des Geschäftsführers nach Insolvenzreife regelmäßig nicht rechtfertigen, weil der von ihm zu leistende Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist § 64 S. 4 iVm § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG).
  4. Wird der Geschäftsführer gem. § 64 S. 1 GmbHG verurteilt, ist ihm – damit es nicht zu einer Bereicherung der Masse kommt – von Amts wegen in dem Urteil vorzubehalten, nach Erstattung an die Masse Gegenansprüche, die sich nach Rang und Höhe mit den Beträgen decken, die die begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, gegen den Insolvenzverwalter geltend zu machen.

Sachverhalt | OLG Düsseldorf 12 U 23/21

Die Parteien streiten über Ansprüche aus Geschäftsführerhaftung gem. § 64 S. 1 GmbHG idF bis zum 31.12.2020. Der Kläger ist Insolvenzverwalter im aufgrund Eigen- und Gläubigerantrags 2016 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der E-GmbH (Schuldnerin). Gründungsgesellschafter und seit dem 19.8.2010 Alleingesellschafter der Schuldnerin war D, der bis zum 5.8.2015 und seit dem 6.10.2015 auch deren alleiniger Geschäftsführer war. Der Beklagte war in der Zwischenzeit (dh vom 5.8.2015 bis 6.10.2015) alleiniger Geschäftsführer der Schuldnerin. Gegenstand der Klage sind vier Barabhebungen von dem Geschäftskonto der Schuldnerin zwischen 28.8.2015 und 2.10.2015 iHv insgesamt 78.150 EUR. Das Geld wurde verbraucht. Der Kläger trägt vor, dass die GmbH schon am 01.09.2009 überschuldet und seit Januar 2010 auch zahlungsunfähig war. Er forderte vom Beklagten Ersatz.

Dieser macht geltend, dass die Abhebungen auf Weisung des Gesellschafters geschehen sei und die Gelder insbesondere für die Bezahlung von Mitarbeitern verwendet wurden. Darüber hinaus habe die alleinige Kontovollmacht erst ab dem 18.09.2015 vorgelegen. Zum Zeitpunkt der Abhebungen sei ihm die finanzielle Situation der GmbH noch nicht bekannt gewesen, da der vorherige Geschäftsführer die entsprechenden Unterlagen trotz mehrfacher Aufforderung nicht vorgelegt hätte. Daraufhin habe er sein Amt am 06.10.2015 niedergelegt. In seiner Zeit als Geschäftsführer seien mind. 130.000 EUR bei der GmbH eingegangen weswegen keine Zahlungsunfähigkeit vorgelegen habe.

Entscheidung | OLG Düsseldorf 12 U 23/21

Das OLG Düsseldorf hat die Berufung – mit Ausnahme des von Amts wegen in den Tenor des angefochtenen Urteils zu seinen Gunsten aufzunehmenden Vorbehalts – als unbegründet abgewiesen. Der Beklagte habe gegen das Zahlungsverbot verstoßen. Gemäß § 64 S. 1 GmbHG aF seien die Geschäftsführer der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden.

Zurecht habe das LG Düsseldorf festgestellt, dass es sich bei sämtlichen streitgegenständlichen Kontobewegungen um Zahlungen iSd § 64 S. 1 GmbHG aF handelte. Zwar stelle ein Transfer vom Bankkonto der Gesellschaft in deren eigene Kasse noch keine Zahlung § 64 S. 1 GmbHG aF dar. Sofern hieraus wiederum Auszahlungen vorgenommen würden – hier unstreitig– sei aber eine Zahlung im Sinne der Vorschrift gegeben.

Auch, wenn der Beklagte bis zum 18.09.2015 noch keine alleinige Verfügungsberechtigung über das Geschäftskonto gehabt habe, seien ihm die Zahlungen der Mitarbeiter zuzurechnen – selbst, wenn er von den Kontoverfügungen nichts gewusst habe. Der Beklagte müsse ab Insolvenzreife dafür sorgen, dass solche Zahlungen unterbleiben. Es reiche daher aus, dass er diese habe verhindern können.
Der Beklagte habe nicht dargelegt, warum die Zahlungen zu keiner Masseschmälerung führten. Nur wenn mit der Zahlung im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang ein entsprechender Gegenwert in das Vermögen der Gesellschaft geflossen und dort verblieben sei, greife das Zahlungsverbot nicht. Im zu entscheidenden Fall sei die Gegenleistung - Arbeits- oder Dienstleistungen - für die Verwertung durch die Gläubiger aber nicht geeignet gewesen.

Das OLG stellte fest, dass die Zahlung nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar gewesen sei. Insbesondere seien die Zahlungen nicht notwendig gewesen, um den Geschäftsbetrieb fortzuführen. Eine solche Betriebsfortführung sei nur schützenswert, wenn eine ernsthafte Chance auf Sanierung oder Fortführung im Insolvenzverfahren bestehe. Vorliegend sei dies noch nicht einmal im Ansatz dargelegt worden.

Der Beklagte habe nicht geltend machen könne, von der Krise keine Kenntnis gehabt zu haben. Ein Geschäftsführer sei verpflichtet, die Organisation der GmbH so auszugestalten, dass er die zur Wahrnehmung seiner Aufgaben notwendigen betriebswirtschaftlichen und finanziellen Informationen über die Gesellschaft auch erlange. Ein Geschäftsführer handele pflichtwidrig, wenn er sich nicht rechtzeitig die erforderlichen Informationen und Kenntnisse verschaffe, die er zur Prüfung benötige, ob er pflichtgemäß Insolvenzantrag stellen müsse. Einem neu angestellten Geschäftsführer sei zubilligen, sich zunächst in einzelfallabhängiger und angemessener Frist in die Situation des Unternehmens einzuarbeiten. Im zu entscheidenden Fall sei die Einarbeitungszeit nicht genutzt worden, die nötigen Informationen einzuholen und die ordnungsgemäße Buchführung sicherzustellen. Werde dem Geschäftsführer diese Information systematisch vorenthalten, sei ein gedeihliches, gesetzestreues Arbeiten für ihn unmöglich, was einen wichtigen Kündigungsgrund darstelle. Der Beklagte habe demnach sein Amt mit sofortiger Wirkung niederlegen können und müssen.

Die in dem entscheidenden Zeitraum eingegangenen Einzahlungen, änderten nichts an der Haftung. Der Beklagte könne nicht allein aus Zahlungseingängen den sicheren Rückschluss vornehmen, dass eine Zahlungsunfähigkeit nicht vorliege. Auch eine Weisung des Gesellschafters zur Zahlung sei irrelevant, da sie den geschützten Interessen der Gläubigergemeinschaft entgegenstehe.

Praxishinweis | OLG Düsseldorf 12 U 23/21

Die Geschäftsführerhaftung ist und bleibt ein wichtiges Thema, gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf unterstreicht wieder einmal, dass an den Geschäftsführer hohe Anforderungen gestellt werden. Insbesondere in der Krise sind die wirtschaftlichen Verhältnisse der GmbH laufend zu prüfen. Neu berufene Geschäftsführer haben sehr wenig Zeit, sich in die wirtschaftlichen Gegebenheiten der Gesellschaft einzuarbeiten. Tatsächliche Schwierigkeiten bei der Einarbeitung werden vor Gericht allenfalls begrenzt berücksichtigt. Sollte sich der frühere Geschäftsführer/Gesellschafter der Informationsgewinnung entgegenstellen, muss dies ein Warnsignal für den neuen Geschäftsführer sein. Notfalls muss er zum Eigenschutz sein Amt niederlegen.

Zur Absicherung des Haftungsrisikos sollte für den Geschäftsführer eine D&O-Versicherung abgeschlossen werden. Der Versicherungsschutz umfasst dabei meist die Erstattung der Abwehrkosten für den Fall der unbegründeten Inanspruchnahme (Rechtsschutzfunktion) als auch den Anspruch auf Freistellung von begründeten Schadensersatzforderungen (Freistellungsfunktion).